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Erdogan, die EU und Österreich

Nur sehr naive Menschen hatten ein korrektes und demokratisches türkisches Wahlergebnis erwarten können. Dennoch ist das Ergebnis dieser Wahl aus österreichischer Sicht besonders deprimierend – aber auch besonders erhellend (mit nachträglicher Ergänzung).

Eine Wahl, vor der Zehntausende politische Gegner des Herrschers ins Gefängnis geworfen worden sind, vor der fast alle kritischen Journalisten entweder ihren Job oder auch ihre Freiheit verloren haben, bei der ein wichtiger Oppositionskandidat überhaupt nur aus dem Gefängnis heraus hat antreten können, bei der Wahlbeobachter am Wahltag niedergeschlagen werden, bei der sich das Hauptquartier der "siegreichen" Partei noch vor Auszählungsende in eine massiv eingeigelte Festung verwandelt hat – im Wissen, dass die Massen das Ergebnis nicht akzeptieren werden: Was, bitte, soll an einer solchen Wahl demokratisch sein?

Die meisten Faktoren, die eine solche Wahl zur Farce machen, sind schon lange vorher eindeutig klar gewesen. Umso grotesker ist das Schweigen der EU zur Wahl. Immerhin ist ja die Türkei noch immer formell EU-Beitrittskandidat. Da hätte die Brüsseler Kommission nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, laut und deutlich zu sagen, dass dort keine demokratischen Wahlen stattgefunden haben.

Aber Nein, die Brüsseler Kommission erregt sich lieber über die katholisch-konservative Regierung in Polen, weil diese (endlich) die aus kommunistischer Zeit stammenden Richter in Pension schickt. Das wird von den Linken Polens und des Auslands, damit auch der EU-Kommission als großes Verbrechen dargestellt.

Dabei findet in Wahrheit – einmal abgesehen vom Beitrittskandidaten Türkei – der große Rechtsstaatsskandal in EU-Europa ganz anderswo statt. Nämlich in Rumänien, wo die sozialistische Parlamentsmehrheit unterstützt vom Obersten Gerichtshof des Landes alle Verfahren wegen Korruption zu unterbinden versucht. In diese Verfahren ist nicht zuletzt der sozialistische Parteiführer als einer der Haupttäter involviert, der dennoch weiterhin sehr viel Macht hat. Wer Rumänien kennt, kann in diesen Tagen nur ausrufen: Wären doch auch dort die Richter aus kommunistischen Tagen in Pension geschickt worden!

Dennoch sind der EU-Kommission die Vorgänge in Rumänien egal, während sie sich über Polen maßlos erregt, und auch gleich Ungarn mit zu attackieren versucht. Davon gar nicht zu reden, wie viele eigene EU-Regeln durch die EU-Institutionen selbst verletzt worden sind, von Schengen bis zum Bailout-Verbot.

Zurück zu den türkischen Wahlen und zur schockierendsten Tatsache daran: Erdogan hat bei den Türken in Österreich einen besonders hohen Sieg errungen. Während er bei den Auslandstürken insgesamt weniger als 60 Prozent erreicht hat – was aber deutlich mehr ist als in der Türkei selber! –, hat er in Österreich weit mehr als 70 Prozent Zustimmung bekommen. Das ist ein gigantischer Wert.

Das verfestigt ein absolut bedrückendes Bild, das man von der türkischen Community in Österreich gewonnen hat. Dieses Bild deckt sich auch mit einer ganz anders gearteten Beobachtung: Während bei den türkischen Frauen in Österreich das Kopftuch dominiert, ist das Kopftuch in Städten wie Istanbul eher selten, und soziologisch ein reines Unterschichtsignal. Die Bosporus-Stadt macht jedenfalls einen viel moderneren und weltoffeneren Eindruck als beispielsweise die Wiener Bezirke Favoriten oder Brigittenau. Aber freilich: Die Austrotürken kommen ja – fast – alle nicht aus Istanbul, sondern tief aus dem türkischen Osten.

Auch die besonders schlechten Schulerfolge türkischer Jugendlicher in Österreich zeigen: Nach Österreich ist vor allem der rückständige Teil der türkischen Gesellschaft gekommen. Das legt ein historisches Ausmaß an Schuld auf die Schultern der SPÖ, welche die türkische Zuwanderung nicht nur begrüßt, sondern auch erleichtert und gefördert hat. Sie tat dies in der Hoffnung auf eigene neue Wählermassen. Sie hat zugleich immer verhindert, dass den Türken in aller Deutlichkeit klargemacht worden ist: Wenn ihr nach Österreich zuwandert, müsst ihr die österreichischen Werte übernehmen.

Ein Teil der Schuld trifft aber auch die Industrie, die immer wieder geglaubt hat, durch den Import billiger Arbeitskräfte Branchen am Leben erhalten zu können, die in Wahrheit gar nicht zukunftsfähig waren, und deshalb – wie etwa die Textilindustrie – bald zusperren mussten. Jetzt haben wir mehr als eine Viertel Million Austrotürken – präzise: Menschen mit türkischem Migrationshintergrund – im Land, die sich in vierfacher Hinsicht "auszeichnen":

  1. hohe Arbeitslosigkeit (seit Jahren ein Vielfaches des sonstigen Schnitts),
  2. große Kinderzahl (2,4 pro Frau),
  3. großen Nationalismus (siehe die regelmäßigen türkischen Demonstrationen)
  4. und besonders große Erdogan-Begeisterung.

Was kann Österreich jetzt noch tun? Im Rahmen der bestehenden Gesetze wenig. Eines hat die Regierung aber immerhin angefangen: Sie hat endlich, wenn auch 30 Jahre zu spät, begonnen, islamische Imame hinauszuwerfen, die von Erdogan – formell: vom türkischen Religionsamt – bezahlt werden. Das ist ein wichtiger wie mutiger Anfang, der konsequent fortgesetzt werden muss.

Es gibt ja noch viel mehr solcher Erdogan-Imame in Österreich, was fast in jedem einzelnen Fall nicht nur rechtswidrig, sondern auch enorm problematisch ist. Denn diese Imame sind für viele türkische Familien aus einfachen Verhältnissen die einzige respektierte Autorität. Man kann sicher sein, dass diese Imame intensiv Stimmung für Erdogan gemacht haben und, solange sie können, weiter machen werden. Genauso wie sie hauptverantwortlich dafür sind, dass sich immer mehr türkische Frauen selbst im Sommer in lange schwarze Mäntel hüllen müssen.

Natürlich gäbe es aber noch viel mehr zu tun:

  • Etwa im Islamunterricht ist jeder Lehrer zu verabschieden, der auch die aggressiven, zur Gewalt aufrufenden Teile des Koran lehrt.
  • Etwa durch Entzug der Kinderbeihilfe, wenn Eltern nicht dafür gesorgt haben, dass Kinder, wenn sie seit der Geburt in Österreich leben, bei Schuleintritt altersadäquat Deutsch können.
  • Etwa durch die Gewerbebehörden, die dagegen durchgreifen müssten, dass sehr viele türkische Greißler jeden Sonntag ungeniert offen haben, als ob die österreichischen Gesetze für sie nicht gelten würden (wogegen die Gewerkschaften noch nie protestiert oder gar demonstriert haben …).
  • Etwa in den Schulen ist konsequent gegen jede Darstellung vorzugehen, die die undemokratische Türkei preist.
  • Etwa bei den vielen heimlichen Doppelstaatsbürgerschaften: Hier sollten viel strengere Strafen bis hin zur Ausweisung verhängt werden, wenn jemand erwischt wird. In einem Staat, der auf sich hält, hätten die Behörden in den letzten Tagen viel strenger geschaut, wer denn da aller in türkische Konsulate in Österreich wählen gegangen ist.

Ausgerechnet vom Golf kommt Licht

Dennoch sollte man nicht ganz in Depression verfallen: Denn während die Türkei in eine rückständige Despotie zurückzufallen scheint, gibt es gerade in bisher besonders streng islamischen Ländern Zeichen der Hoffnung – wenn auch einer sehr, sehr niederschwelligen Hoffnung.

So haben es im schiitischen Iran die Frauen in zähem Kampf durchgesetzt, dass auch sie Fußball schauen dürfen. Und beim sunnitischen Gegenspieler des Iran, in Saudi-Arabien, dürfen Frauen jetzt erstmals Autofahren. Was dabei besonders auffällt: Die Berichte über autofahrende Saudifrauen zeigen Frauen, bei denen der Kopfschleier schon sehr weit nach hinten gerückt ist – Bilder, die man früher gerade aus diesem Land nie zu sehen bekommen hat.

Das macht Hoffnung, dass da eine innere Dynamik in Gang gekommen ist, die vielleicht eines Tages zu mehr führen könnte. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass gerade in Iran und Saudi-Arabien das Bildungsniveau im Vergleich zur Türkei (mit Ausnahme der türkischen Westküste) deutlich höher liegt.

Gewiss, auch diese beiden Länder sind alles andere als eine Demokratie. Aber weil zwischen ihnen ein militärischer Konflikt um die Vorherrschaft am Golf und in der islamischen Welt an Wahrscheinlichkeit gewonnen hat, versuchen die beiden Länder offensichtlich intern Druck zu reduzieren (das erinnert übrigens an Stalin, der in den Jahren des Weltkriegs die innere Repression deutlich gemildert hat).

Daher gibt es jedenfalls in diesen beiden Ländern Ansätze in die richtige Richtung, in der Türkei hingegen nur in die falsche. Und unter den in Österreich lebenden Türken ganz besonders.

(Nachträgliche Ergänzung: Und nur einen Tag nach seinem "Wahlsieg" kündigt Erdogan eine Fortsetzung der militärischen Eroberungen in Syrien an ...)

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