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Die Choleriker sind von der Leine

In Ankara und Umgebung tobt der türkische Machthaber Erdogan (über Österreich und den Rest der Welt). Zwischen Washington, Ottawa und Singapur tobt der amerikanische Präsident Trump (über Europa und den Rest der Welt). Im Außenauftritt wirken beide Präsidenten mit ihrem für Choleriker ganz typischen wilden Wechsel zwischen freundlichem Gehabe und äußerster verbaler Aggression noch übler als der durch langjähriges Geheimdiensttraining eher zu scheinfreundlicher Verschlagenheit neigende Russe Putin.

Gewiss gehören viele der auch im Alltagsleben anzutreffenden Choleriker zum Typus "Viel bellen, wenig beißen". Sich daran zu gewöhnen, fällt aber auch dort sehr schwer. Welche Seite ist die echte eines Menschen, der einen Tag in die wildesten Beschimpfungen verfällt, und den nächsten wieder so tut, als ob nichts gewesen sei?

Überdies sind nicht alle Choleriker so harmlos. Sind sie – auf politischer Ebene – letztlich ein Hitler, der zwar zeitweise sehr charmant sein konnte, dann aber dennoch den schlimmsten Weltkrieg losgetreten hat? Oder sind sie ein Chruschtschow, der nach heftigen Aggressionsgesten plötzlich die russischen Atomwaffen aus Kuba wieder abgezogen hat?

Wenn man die Mächtigen der Politik nach ihren Taten beurteilt, dann ist unbestreitbar Putin jener Staatschef, der weitaus am meisten Eroberungskriege geführt hat. Aber auch Erdogan ist einer, der nicht nur gebellt, sondern auch gehandelt hat. Er hat einige, wenn auch kleine Gebiete Syriens erobert. Er unterdrückt die Kurden schlimmer denn je ein türkischer Machthaber. Er hat die türkische Demokratie de facto beendet und Zehntausende politische Gegner (oder vermeintliche Gegner) einfach einsperren lassen, weshalb die jetzigen Wahlen nur noch eine Farce sind – auch wenn ORF und andere Linksradikale jetzt die skurrile Polemik trompeten, dass Erdogan wegen der österreichischen Moscheen-Schließung gewinnen werde.

Trump wirkt zwar fast genauso unsympathisch, er hat aber trotz der Erzeugung vieler negativer Schlagzeilen eigentlich nicht sehr viel konkret angestellt, außer zwei Zollsätze kräftig in die Höhe zu schnalzen. In Sachen Nordkorea haben seine bisweiligen Drohungen möglicherweise sogar einen friedlichen Durchbruch an einer der seit Generationen gefährlichsten Frontlinien ausgelöst. Ob dieser wirklich - in der Begegnung mit einem ganz ähnlich gestrickten anderen Politiker - gelingt, werden vielleicht schon die nächsten Stunden zeigen.

Aber jedenfalls ist Trump in all seinen Phasen ein Typ, der gerne seine Verachtung für Süßholzraspeleien zeigt. Und damit können die Europäer so überhaupt nicht umgehen. Der Kern seiner politischen Weltsicht: Jeder Staat habe nur seine nationalen Interessen zu vertreten – er daher die amerikanischen –; und "Gemeinsame Werte" sind eine leere Phrase, wenn sie im Widerspruch zu diesen Interessen stehen.

Trump kann sich in dieser Weltsicht vor allem dadurch bestätigt fühlen, dass die Europäer immer dann am liebsten von den "Gemeinsamen Werten" reden, wenn sie damit in Wahrheit ein egoistisches Verhalten verteidigen oder vertuschen wollen. Etwa dass sie nur einen Bruchteil des eigenen Wirtschaftsprodukts für die "gemeinsame" Verteidigung ausgeben, den die USA aufwenden; etwa dass sie sich bei ihrem eigenen Schutz immer auf die Amerikaner verlassen haben, denen sie zugleich ständig moralistische Ratschläge gegeben haben; etwa dass Israel ohne USA und nur auf die Europäer hörend längst untergegangen wäre; etwa dass sie (konkret Franzosen und Briten) in Libyen und Syrien für Destabilisierung gesorgt, aber dann die Folgen den Amerikanern überlassen haben; etwa dass die EU in Summe wie in Prozentsätzen höhere Zölle auf US-Produkte einheben als umgekehrt.

Es ist zwar psychologisch nachvollziehbar, dass die Europäer, die sich in den letzten hundert Jahren so oft auf die USA verlassen konnten, ziemlich grantig sind, wenn sie jetzt so unsanft aus der umsorgten Dauerkinderstube hinausgeworfen werden; so wie manche junge Männer es halt gar nicht gern mögen, wenn sie mit Dreißig das Hotel Mama verlassen sollen.  Aber dieser Grant wird den Europäern nichts helfen. Da können sie noch so viele böse Politikerkommentare und Leitartikel wider die USA ausstoßen, da können sie noch so sehr darauf verweisen, dass es doch beim G7-Gipfel eigentlich 6:1 gegen Trump gestanden wäre, dass Trump zuerst einem Kompromiss-Kommunique zugestimmt hätte, dann dieses aber wieder verworfen hat.

Die Europäer täten anstelle ständigen Selbstmitleids und hohler Rhetorik von den Zöllen bis zur gemeinsamen Verteidigungslast besser daran, die amerikanischen Argumente zu verstehen und ernstzunehmen. Denn etwa beim Handel sind in den letzten Jahren vor allem die Europäer selbst schuld daran, dass es zu keinem umfassenden Freihandelsabkommen gekommen ist. Sie haben sich mit lächerlichen Argumenten aus der grünen und Kronenzeitungs-Ecke ins Bockshorn jagen lassen, wie mit dem "Chlorhuhn", dem "Genmais" und der Angst vor unparteiischen (also nicht durch nationale Interessen beeinflussbaren) Schiedsgerichten.

Und selbst beim Thema Global Warming, das ja zumindest für Deutsche und Franzosen längst die Bibel als oberste Glaubensbasis abgelöst hat, täten die Europäer gut daran, mit den US-Klimaskeptikern in einen nüchternen und wissenschaftlichen Dialog einzutreten, statt ihren missionarischen Besserwisserei-Monolog fortzusetzen. Denn ganz so dumm sind die amerikanischen Argumente auch in Sachen Klima nicht.

Europa sollte vor allem analysieren, warum die USA sowohl Russland als auch China soviel ernster nehmen. Wenn es eines Tages selbst wieder ernst genommen werden will, dann sollte es sich sowohl auf institutioneller, thematischer wie personeller Ebene ändern. Vereinfacht auf den Punkt gebracht: Mit Figuren wie Juncker, Merkel und May wird Europa nie mehr ernst genommen werden. Das heißt freilich keineswegs die Notwendigkeit eines europäischen Einheitsstaates.

Noch einmal zurück zum Thema Moscheenschließung. Österreich wird imstande sein, die türkischen Zornesreaktionen zu überstehen. Es wird es aushalten, wenn Ankara wieder einmal österreichischen Wissenschaftlern verbieten sollte, um österreichisches Steuergeld in Ephesos Schätze der griechischen Antike auszubuddeln, was letztlich nur die türkischen Tourismus-Einnahmen erhöht. Österreichische Touristen werden halt wieder einen noch größeren Bogen um die türkischen Strände machen. Und selbst die österreichische Post wird es überleben, wenn ihre türkische Beteiligung in Schwierigkeiten geraten sollte – das wird vor allem anderen die internationale Lust noch weiter reduzieren, in der Türkei zu investieren.

Unangenehmer könnte die Zukunft für die in Österreich lebenden Türken werden. Sie werden sich in der zweiten, dritten, vierten Generation endlich entscheiden müssen, ob sie Österreicher oder Türken sind. Ob sie aus ihrer Religion auch – wie viele es tun – politische Machtansprüche ableiten, oder ob sie diese als Privatsache behandeln. Die in Österreich lebenden Türken könnten – statt sich ständig selbstmitleidig verfolgt zu fühlen –, an den vielen Österreichern mit tschechischen, polnischen, serbokroatischen oder ungarischen Wurzeln ein Vorbild nehmen, die alle spätestens in der zweiten Generation zu stolzen und selbstverständlichen Österreichern geworden sind und an deren Herkunft nur noch der Name erinnert, ob er nun Novotny, Pospischil, Busek, Vranitzky, Nemeth oder Stepic lautet. Für alle hingegen, die ständig Probleme mit Österreich haben, gibt es einen klaren Weg.

Und ebenso sollte das ewige Doppelspiel der Islamischen Glaubensgemeinschaft unmöglich werden, das außer dem ORF ja schon längst niemand mehr ernst nimmt. Sie sollte damit aufhören, sich einerseits ständig selbstmitleidig als verfolgtes Opfer darzustellen, das doch insbesondere im Ramadan und an Freitagen eigentlich absolut sakrosankt zu sein hätte; und andererseits die vielen als radikal entlarvten Imame oder Moscheen immer als bedauerliche Einzelfälle darzustellen, die man strikt verurteilt, sobald sie aufgeflogen sind. Aber eben immer nur im Nachhinein, obwohl die Glaubensgemeinschaft im Vorhinein viel mehr gewusst hat.

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