Leistung? - Welche Leistung?

Wir holen uns einfach was uns zusteht. Oder vielleicht doch nicht? Es war wohl einer der doppelbödigsten politischen Slogans des letzten großen Bundeswahlkampfes.

Sie erinnern sich? Abgesehen davon, dass man das Original ja fast schon zum "Aufruf zur Revolte und Rebellion gegen die vermeintlichen Eliten" verstanden haben könnte, gegen jene "bösen Reichen und Erfolgreichen", die dies besitzen was auch andere gerne hätten, tappten wieder einmal viele in die Falle eines politischen Soundbites.

Welche Leistung? Wie bei allen gesellschaftspolitischen Streitthemen blieb und bleibt nämlich die differenzierte Sichtweise wieder auf der Strecke. Sprechen wir hier von der "Mindestleistung" eines werteorientierten Sozialstaates im Sinne einer materiell-intellektuellen Grundversorgung für seine Bürger und Zuwanderer? Oder sprechen wir von der unabdingbaren Gegenleistung eines jeden Einzelnen gemäß seinen zumindest minimalsten individuellen Fähigkeiten, um eben einerseits besagte Mindestleistungen zu erhalten aber nicht selten darüber hinaus "sich genau das holen zu können und zu dürfen, was einem vermeintlich zusteht"? Es wird wohl einen Sinn gehabt haben, dass John F. Kennedy und später Barack Obama sinngemäß Studenten gesagt hatten: "Fragt nicht was die Gesellschaft für euch tun kann, fragt euch, was könnt ihr für die Gesellschaft tun und ihr zurückgeben?"

Was steht mir denn überhaupt zu und wer definiert das? Das nächste Definitionsproblem! Was steht mir denn in einer Gesellschaft überhaupt zu? Persönlich gesprochen stehen die zuvor angesprochenen "Mindestleistungen" außer Streit, wiewohl ich durchaus auch hier der Auffassung bin, dass es ein Mindestmaß an Zurückgeben an die Gesellschaft, an den Staat geben muss, auch Bringschuld genannt.

Zutiefst bin ich aber überzeugt, dass dieser angesprochene Slogan nicht auf diese staatlichen Mindestpunkte abzielte, sondern von vielen in viel weiterem Sinne interpretiert und gespürt wurde. Nämlich, dass eine vermeintlich "böse, völlig egoistisch agierende Elite, reich geworden durch Vererbung oder erfolgreich durch das "richtige" Elternhaus genau jene – oft materiellen Dinge – besitzt, die doch auch mir zustehen: große Wohnung, großes Haus, Smart-Phone, gehobene Position und vieles mehr. Auch wenn der Ex-Bundeskanzler im Standard vom Dienstag, 3. April 2018/Seite 7 etwas anderes behauptet; Mit solchen Sagern wurden und werden Menschen absichtlich gegeneinander ausgespielt!

Doppelmoral beginnt nämlich genau hier: Leistung und Zustehen hat bei vielen Verantwortungsträgern nur so lange Gültigkeit, so lange man sich entweder mit fremden Federn schmücken kann oder in Bereichen diskutiert, die einem ideologisch nicht allzu schmerzen. So wird etwa ganz gerne der "Spitzensport" als Leuchtturm des Erfolgs, als Spitzenleistung und als "Alles-ist-möglich-Bereich" dargestellt. Ich bin sicher dass David Alaba, Marcel Hirscher oder Sebastian Vettel sehr wohl wussten, was sie dafür zu tun hatten.

Geht es aber plötzlich um gesellschaftspolitische Klientel, um ideologische Sichtweisen wie etwa die sogenannte Verteilungsproblematik, hat man dann keine Hemmungen mehr, jene zuvor gehuldigten Leistungsträger – sei es aus Spitzensport, Wirtschaft, Wissenschaft oder einfach der "Mittelschicht" –plötzlich negativ zu besetzen und sie gegen andere Gruppierungen auszuspielen. Das ist klassischer Klassenkampf. Ganz ungeniert spricht man dann etwa von einem "vererbten Reichtum", der einem entweder nicht zusteht oder von dem ein Stück abzugeben sei. Was nicht gesagt wird, dass viele dieser "Reichtümer" über Generationen hin erarbeitet und erwirtschaftet wurden und von der jeweils leitenden Generation auch erhalten werden müssen! Also, warum nochmal, müssen diese Generationen sich für diese Leistung rechtfertigen? Mitnichten!

Noch doppelmoralischer geht es aber in der Bildung zu! Gemäß vielen Einflüsterern und Bildungstheoretikern sollte es im Bildungsbereich am besten gar keine Leistung, keinen Druck, keine Differenzierung, keine schlechte Leistungsbeurteilung mit allfälligen negativen Konsequenzen und nur Chancengleichheit geben. Alles fließt spielerisch, völlig individuell, losgelöst von den Systemen des Elternhauses. Auf den ersten Blick vielleicht ein guter Ansatz, aber trügerisch, verlogen und falsch: Denn die Stunde der Wahrheit wird kommen!

Schule und somit der Anreiz zur Bildung werden so "ad absurdum" geführt. Fast jedes Kind, jeder Jugendliche und jeder Elternteil erkennt bald, dass mit diesem Ansatz schlechte Leistungen oder gar keine Leistungen wenig bis gar keine Konsequenzen haben – zumindest bis zum Zeitpunkt einer Leistungswahrheit. Diese Leistungswahrheit wird von den jeweiligen Bildungs- und Schulverantwortlichen immer an die nächste Ebene weitergeschoben, um ja nicht selbst die "Realität" ansprechen zu müssen.

So glauben dann irgendwann tatsächlich viele Schüler und Eltern daran, nur ein Mindestmaß an Leistung erbringen zu müssen, um aber dann, in den nächsten Bildungsebenen oder bei Berufseintritt, brutal aus ihren Illusionen gerissen zu werden! Dies hat dann wieder zur Folge, dass die Gesellschaft, das Bildungssystem, die Leistungsgesellschaft dafür verantwortlich gemacht werden. Denn diese Illusion wurde ihnen ja jahrelang von vielen Bildungsverantwortlichen erzählt und vorgegaukelt. Und eben diese Bildungsverantwortlichen flüchten dann entweder in die Verantwortungslosigkeit oder predigen die immer wieder gleichen Argumente wie etwa: "Bildungserfolg ist vererbt und hängt von der sozialen Schicht ab." Na so was – das ist aber neu! (Vielleicht einmal daran gedacht die Erziehungsberechtigten in die Pflicht zu nehmen?)

Die Krönung der Heuchelei ist aber dann, wenn genau jene, die die leistungsfreie Schule und Gesellschaft propagieren, sich im eigenen Leben aber dann exakt jene Menschen holen, die ihnen zu ihrem Vorteil die "beste Leistung" bieten: den besten Arzt, Rechtsanwalt, Makler, Baumeister, Therapeuten, Pädagogen, Notar, Maurer, Elektriker, Mechaniker etc. Ob diese "Besten der Besten" das wohl ohne Leistungserbringung, harte Arbeit, Mühen, Einsatz und Durchhaltevermögen geworden sind?

Leistung darf also niemals negativ besetzt sein. Manchmal tut sie weh, ist unangenehm, löst Druck oder Stress aus oder ist verbunden mit Misserfolg, Regeln, Erwartungen oder Konsequenzen. Dies gesellschaftspolitisch auszusprechen und beizubringen, damit umzugehen ist oberstes Gebot, nicht es zu verschweigen, anzuprangern oder als rückschrittlich zu sehen. Die individuelle Leistung ist unabdingbar, um sozial, wirtschaftlich oder ausbildungsmäßig das holen zu können, was zusteht.

Der Bildungsexperte Fachautor SObl. Wolfgang Weissgärber ist seit 1987 als Klassenlehrer am "Zentrum für Inklusions- und Sonderpädagogik" tätig.

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