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Die Psychologie der EZB-Menschen

Nie werden sie es offen zugeben, aber insgeheim wünschen sich die Machthaber in der Europäischen Zentralbank wohl: "Hoffentlich geht die Hochkonjunktur-Phase bald zu Ende – dann werden wir wieder von den Zurufen verschont, die Zinsen anzuheben."

Es wird nämlich derzeit immer schwieriger für Signore Draghi & Co, ihre Politik zu rechtfertigen. Sie finden kaum noch einen ökonomischen Indikator, mit dem sie zumindest verbal verteidigen könnten, dass sie ständig weiter Geld drucken.

Warum tun sie es dann? Warum handeln sie gegen den Ratschlag fast aller unabhängigen Ökonomen? Die erste sich aufdrängende Erklärung sieht die Ursache dieses Verhaltens in geistiger Inflexibilität: Wer einmal falsch abgebogen ist, der will seinen Fehler nur ungern zuzugeben, der verteidigt lieber den falschen Weg möglichst lange als richtig.

Aber so simpel geht es bei der EZB nicht zu. Relevanter sind vielmehr zwei andere Erklärungen für ihr Verhalten.

Die erste: Sobald die Zinsen im Euro-Raum anziehen, würden etliche Blasen platzen und massive Pleitenwellen losbrechen. Zwar kann niemand seriös sagen, wie hoch die sein werden. Manche Ökonomen meinen, dass sogar zehn Prozent der existierenden Unternehmen eigentlich todgeweihte Zombies sind. Die Möglichkeit, sich fast gratis refinanzieren zu können, ermöglicht jedenfalls auch vielen kranken Unternehmen seit Jahren ein Weiterleben.

Auch wenn man spätestens seit Schumpeter weiß, wie notwendig eigentlich das ständige Sterben kranker Unternehmen ist, scheut man sich als Verantwortlicher natürlich psychologisch davor, den Knopf zu drücken, der die Zombies wirklich sterben ließe. Das Teuflische ist freilich: Je länger man das hinauszögert, umso mehr solcher am Leben gehaltener Toter gibt es, umso schlimmer wird dann deren Massenexodus sein. Das hat man ja im Kommunismus schon genau beobachten können.

Der zweite Grund: Auch wenn die EZB rechtlich unabhängig ist, so ist doch jeder einzelne dort sitzende Präsident, Gouverneur, Direktor usw. auch Bürger seines Heimatlandes. Wer das ignoriert und den Beteuerungen glaubt, dass jeder dieser Machtträger rein dem europäischen Gedanken und den Verträgen verpflichtet wäre, der lebt auf dem Mond und hat keine Ahnung vom menschlichen Denken.

Jeder in der EZB sitzende Exponent eines besonders stark von Schulden geplagten Landes weiß: Wenn die Zinsen anziehen, dann stürzt mein Land ebenso in die offene Krise wie vor einigen Jahren Griechenland. Und wenn man aus Italien kommt, weiß man das ganz besonders gut.

Denn die meisten Euro-Regierungen haben nicht das getan, was die einzige Rechtfertigung dieser Nullzinspolitik wäre: mit deren vorübergehender Hilfe rasch zu sanieren und Schulden abzubauen. Hätten sie das getan, hätten sie heute so wie Deutschland einen Budgetüberschuss. Da aber beim Sanieren immer die Protestrufer am lautesten sind (und angeblich Wahlen beeinflussen können), lebt man lieber mit EZB-Hilfe weiter auf Kosten der Sparer und der Zukunft.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung "Börsen-Kurier" die Kolumne "Unterbergers Wochenschau".

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