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Ein unerträglicher Führungsanspruch

Gerhard Schröder zeigt sich 2018 als genauso zynischer und chauvinistischer Machtpolitiker wie im Jahr 2000. Der deutsche Altbundeskanzler erwies sich bei seinem jüngsten Wien-Besuch als schillernde, problematische und beängstigende Persönlichkeit.

Um aber zuerst der Wahrheit die Ehre zu geben: In einem Schlüsselaspekt seiner politischen Tätigkeit hat der deutsche Altbundeskanzler auch etwas sehr Wichtiges sehr richtig gemacht. Die von ihm gegen massiven Widerstand von Gewerkschaften, einem Teil seiner SPD und vielen gutmenschlich-naiven Medien durchgeboxte Agenda 2010 war eine historische Leistung. Er hat den Wohlfahrtsstaat zwischen 2003 und 2005 so stark zurückgeschnitten, dass Deutschland in der Folge zu neuer wirtschaftlicher Stärke aufgeblüht ist, die fast an die 50er Jahre unter Ludwig Erhard erinnert.

Diese Leistung kommt an jene von Margaret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den USA heran. In jedem dieser drei Fälle ging es darum, ein darniederliegendes und ausgeblutetes Land durch schmerzhafte und kurzfristig unpopuläre Reformen wieder auf die Überholspur zu bringen. Das ist in allen drei Fällen mit lang anhaltender Wirkung gelungen.

Dafür gebührt Schröder großer Respekt, unabhängig davon, dass die lange Liste teurer Wohlfahrtsmaßnahmen, welche sich die neue deutsche Regierung jetzt aufs Programm gesetzt hat, alles wieder zunichte zu machen droht.

Jedoch: Das historische Verdienst Schröders um die Agenda 2010 ändert freilich nichts daran, dass er vor allem in der Außenpolitik ein zynischer Machtpolitiker war und bis heute ist.

Das zeigte er bei seinem Auftritt in Wien ganz ungeschminkt. Er nützte diesen erstens zu aggressiven und ungehemmten Attacken auf die USA, zweitens zur Erhebung eines deutsch-französischen Machtanspruchs in Europa und drittens zur Forderung an die Europäer, sich an Russland und die Türkei anzunähern. Sein Argument: Diese würden sich sonst an China annähern.

Dabei ging Schröder jedoch mit keiner einzigen Silbe darauf ein, dass Russland erst in den letzten Tagen (wieder) bei heimtückischen Giftanschlägen auf EU-Boden ertappt worden ist, dass die Türkei seit einigen Tagen einen heftigen und unprovozierten Angriffskrieg gegen Syrien führt. Um nur jeweils die aktuellsten der zutiefst verstörenden Vorkommnisse aus den von Schröder zur Annäherung empfohlenen Staaten zu erwähnen. Sie zeigen, dass weder Russland noch die Türkei in der Reihe der zivilisierten Nationen stehen. Seitenweise könnte man weitere Beweise auflisten, dass beide weder Rechtsstaaten noch Demokratien sind, noch sich ans Völkerrecht halten.

An den im Gegensatz zu diesen beiden Ländern von Schröder heftig attackierten USA kann man gewiss vieles kritisieren, so etwa die jüngste Abkehr vom Freihandel und die Einführung neuer Zölle. Nur: Das sind Fehler auf einem ganz anderen, harmloseren Niveau als das, was Moskau und Ankara tun. Immerhin agiert ja auch die EU in vielen wirtschaftlichen Bereichen protektionistisch und verlangt etwa für Autos höhere Zölle als die USA. Wäre Schröder auch nur eine Sekunde fair, so hätte er auch zugeben müssen, dass die Anzeichen eines Einlenkens Nordkoreas (mehr gibt es ja vorerst noch nicht) mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die verschärften Sanktionen und das Herumpoltern Donald Trumps zurückgehen, während der dortige Diktator alle Bemühungen von Barack Obama & Co eiskalt ignoriert hatte.

Gewiss kann man wie Schröder die amerikanische Intervention im Irak 2003 mit etlichen Argumenten kritisieren. Nur ist es total unrichtig und verlogen, das heutige Schlamassel im Nahen Osten darauf zurückzuführen. Dessen Hauptursachen waren die primär von einigen europäischen Großmächten unterstützten und zum Teil sogar angezettelten Umstürze von Libyen bis Syrien im Jahr 2011. Es waren diese extrem blutig gewordenen Revolutionen viel mehr als der Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein, welche die bis heute anhaltenden und hunderttausende Opfer fordernden Bürgerkriege ausgelöst haben. Samt dem totalen, diese Länder um Jahrzehnte zurückwerfenden Zusammenbruch aller funktionierenden Strukturen, samt der Massenmigration nach Europa.

Statt der von naiven Europäern erträumten liberalen Demokratien erblühte dort überall vor allem der radikal-sunnitische Fundamentalismus von den ägyptischen Moslembrüdern bis hin zu Al-Kaida und dem "Islamischen Staat" (sowie deren Ablegern in vielen arabischen und afrikanischen Ländern). Diese europäische Hauptschuld zu verschweigen und alles den Amerikanern in die Schuhe zu schieben, ist eine Chuzpe besonderer Größenordnung, auch wenn die USA gewiss nicht von schweren Fehlern reinzuwaschen sind.

Ebenso eine Chuzpe ist es, mit der äußeren Attitüde eines Staatsmannes die US-Energiepolitik zu attackieren, weil sie amerikanisches Gas und Öl nach Europa "pressen" wolle, wenn man gleichzeitig selber höchstrangiger Lobbyist russischer Energieprojekte ist, insbesondere des Baus von "North Stream". Dabei wird dieser Bau einer neuen Pipeline durch die Ostsee von der Mehrzahl europäischer Staaten und auch der EU-Kommission strikt abgelehnt. Denn es gibt via Ukraine genug Leitungen. Denn Europa ist gut beraten, seine derzeit noch massiv von Russland abhängige Energieversorgung nicht noch mehr von Moskau abhängig zu machen, sondern zu diversifizieren – etwa auch in Richtung der neuentdeckten großen Funde im östlichen Mittelmeer.

Wie da Schröder sein Gewicht als ehemals mächtigster Mann der EU für seine Lobbyisten-Tätigkeit im Interesse Moskaus nutzt und dies als Analyse im europäischen Interesse tarnt, widert wirklich an. Das erinnert ganz an Alfred Gusenbauer und Eva Glawischnig.

Noch beängstigender ist, dass Schröder einen ungeschminkten Führungsanspruch für Deutschland und Frankreich innerhalb der EU erhebt. Er verlangt allen Ernstes unter Führung dieser beiden Länder ebenso eine gemeinsame europäische "Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik" wie einen europäischen "Außenminister" und eine gesamteuropäische "Flüchtlings"-Aufteilung.

Fast logisch folgt daraus die Aussage Schröders, dass die EU-Nettozahler künftig nach dem Brexit halt viel mehr zahlen müssen. Und seine Warnung, den Briten bei den Brexit-Verhandlungen ja nicht entgegenzukommen, hängt eindeutig damit zusammen, dass sonst noch andere Länder auch auf die Idee kommen könnten, dem deutsch-französischen Führungsanspruch durch einen EU-Austritt zu entkommen.

Menschen, deren Gedächtnis 18 Jahre zurückreicht, werden registrieren: Dieser machtpolitische Zyniker ist genau derselbe Schröder geblieben, unter dessen Führung 14 Länder im Jahr 2000 unter heuchlerisch-moralistischen Tönen die Bildung einer schwarz-blauen Regierung in Wien durch Sanktionen verhindern wollten. Dabei war diese Regierung vom ersten bis zum letzten Tag hundertprozentig demokratisch und rechtsstaatlich. Aber Deutschland wie Frankreich wollten damals rein aus Gründen ihrer eigenen Innenpolitik verhindern, dass einmal auch andere Parteien als die ewig gleichen ins politische Spiel kämen. Österreich sollte daher bestraft werden, um dann als abschreckendes Beispiel herumgezeigt zu werden: Seht her, so geht es einem Land, das rechtspopulistische Parteien wählt.

Das spätere krachende Scheitern dieser Strategie ist bekannt. Das ändert nichts an ihrem mies-egoistischen Charakter, der sich imperialistisch über die demokratische Souveränität eines Landes hinwegsetzen wollte.

Ausgerechnet dieser Schröder will uns jetzt allen Ernstes einreden, dass wir uns freiwillig unter deutsch-französische Führung begeben sollen, dass wir mehr "Vertrauen" zu Russland und Türkei entwickeln sollen.

In Österreich ist gleichzeitig mit Schröders Visite in geradezu epischer Breite an die Vorgänge des März 1938 erinnert worden. Jedoch hat keiner der heimischen "Nie wieder"-Salbader einen wirklichen Bezug zur Gegenwart hergestellt. Das "Nie Weder" kann doch nur bedeuten, dass Österreich seine Identität in jedem Fall verteidigen soll, dass es nie wieder unter die "Führung" anderer Mächte geraten will, auch wenn sie nicht im Zeichen des Hakenkreuzes kommen.

Seltsamerweise wissen viele andere europäische Nationen viel klarer als die Österreicher, wie wichtig die Bewahrung der eigenen Identität gegenüber einem solchen Führungsanspruch ist. Auch innerhalb der EU. Nicht nur Ungarn und Polen, nicht nur Slowaken und Tschechen, nicht nur die Niederländer und Schweizer, sondern auch sämtliche Länder, die rund um die Ostsee daheim sind (natürlich bis auf Deutschland und Russland). Für sie alle gilt: Ja zu konkreter Zusammenarbeit auf Augenhöhe dort, wo es allen nützt. Und ein absolutes Nein zur Führung durch Großmächte. Das gilt auch dann, wenn diese nicht schon so oft in der Geschichte verbrecherisch gehandelt hätten.

PS: Zu Recht werden manche Leser darauf hinweisen, dass auch Schröders Nachfolgerin Merkel kleine europäische Nationen sehr von oben herab behandelt. Das stimmt. Das positive Gegenmodell zu Schröder und Merkel war hingegen Helmut Kohl. Dieser hat genau gewusst, dass gerade Deutschland gut daran tut, seine kleinen Nachbarn respektvoll zu behandeln. Auch Willy Brandt davor hatte eine ähnliche Einstellung.

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