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Ratlosigkeit hat einen Namen: Christian Kern

„Und jetzt wieder der Doskozil. Dieser Dauerwettkampf um den nationalen Meistertitel in Sachen Menschenrechtsignoranz wird immer widerlicher.“ Erstaunlich brutale Worte waren es, die da vor einigen Wochen auf Twitter zu lesen waren. Noch erstaunlicher ist, von wem diese Worte stammen, und wer ihnen heftig widersprochen hat.

Sie wurden nämlich von einem gewissen Stefan Albin Sengl veröffentlicht. Und dieser firmiert immerhin seit kurzem als „Leiter der Wahlkampagne von Bundeskanzler Christian Kern“. Für Außenstehende ist es interessant wie verblüffend, was ein Mann in dieser roten Schlüsselposition über einen SPÖ-Minister denkt und schreibt. Das zeigt, wie tief nicht nur die Meinungsverschiedenheiten, sondern auch der Hass innerhalb der sozialdemokratischen Parteispitze geht.

Dabei ist es in diesem Tweet noch gar nicht um das rote Kernspaltungsthema Nummer eins gegangen, das da lautet: „Wie ermögliche ich Rot-Blau, ohne dass der linke Parteiflügel es merkt?“ Anlass für diese aggressiven Worte war vielmehr lediglich der gemeinsame Wunsch der Minister Doskozil und Sobotka, dass Österreich keine „Flüchtlinge“ aus dem EU-Umverteilungsprogramm aufnehmen soll.

Ebenso aufschlussreich war, wer Sengl daraufhin in einem längeren Twitter-Duell mehrfach widersprochen hat. Es war ein Raphael Sternfeld, der sich auch gegen die Aufnahme umverteilter Flüchtlinge aussprach. Diesen wiederum hat vor sechs Jahren Werner Faymann ins Kabinett des Bundeskanzlers geholt.

Das zeigt, dass in der SPÖ wirklich die Fetzen fliegen. Das hat sich dann auch neuerlich gezeigt, als es zwischen Kanzlermitarbeitern und Mitarbeitern der SPÖ-Zentrale sogar handgreiflich geworden ist, und als ein Teilnehmer der eigentlich hinter verschlossenen Türen stattgefundenen Schlägerei diese auch Medien berichtet hat.

Das Führungsversagen

Jetzt geht es nicht um die an sich belanglosen Herren Sengl oder Sternfeld. Es geht vielmehr um einen weiteren Beweis eines katastrophalen Führungsversagens des SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzlers. In so essentiellen Fragen wie der Umverteilung von „Flüchtlingen“ oder der Koalitionstauglichkeit der FPÖ oder auch dem Sicherheitsgesetz ist Kern zu keiner klaren Führung imstande. Das ist schon deshalb sehr schwer, weil doch sein Vorgänger eigentlich wegen Rechtsabweichung gestürzt worden ist. Wie will sich Kern da trauen, selbst noch weiter nach rechts zu ziehen? Dazu kommen sein totales taktisches Versagen und sein Glaubwürdigkeitsverlust angesichts des Revirements in der ÖVP.

Nicht nur die Außenwelt kann da keinen Kurs erkennen, sondern offenbar auch die engsten Mitarbeiter nicht. Kern lässt die Dinge seit seinem Amtsantritt treiben, gibt zwar viele wortreiche Interviews, sagt darin aber zu allen wirklich heiklen Fragen nichts und begnügt sich mit Beschimpfungen der ÖVP (im Gegensatz zu seinen Vorgängern auffallend wenig der FPÖ). Er macht lieber rund um die Uhr PR-Auftritte als Pizzaverkäufer, als Gesprächspartner von Lehrlingen, als Besucher von Schulklassen, als Plauderer in Ö3, statt wenigstens zu versuchen, seine Partei zusammenzuhalten und ihr einen klaren Kurs vorzugeben.

Tricksen um Schul- und Sicherheitsgesetze

Immer öfter flüchtet er sich nun auch in ständige Absagen von Ministerrats-Sitzungen. Er glaubt, damit etwa dem Thema Sicherheitsgesetz aus dem Weg gehen zu können. Denn auch hierzu gibt es einen öffentlich gewordenen internen Disput in der SPÖ. Doskozil hat einem Gesetzesentwurf von Innenminister Sobotka ausdrücklich zugestimmt, welcher die Polizeiarbeit etwas erleichtern soll – aber im SPÖ-Klub hat der dortige Justizsprecher und Linksaußen Jarolim ein eisernes Njet verkündet. Auch hier schafft es Kern nicht, Klarheit herzustellen.

Er und die SPÖ nahen-Medien versuchen statt dessen die sogenannte Bildungsreform in den Vordergrund zu rücken. Bei dieser gibt es ja an sich einen Regierungskonsens. Dessen Realisierung scheitert nun nicht am SPÖ-Klub, sondern an der Notwendigkeit einer Verfassungsmehrheit und daran, dass weder Grün noch Blau ihre Stimmen ohne gravierende Konzessionen dafür hergeben wollen.

Rot und Grün behaupten, dass auch ÖVP-Minister Mahrer bei einer der vertraulichen Besprechungen der letzten Tage der Grün-Variante zugestimmt hätte (Was ich persönlich dem politisch recht ungeschickten und konsensgierigen Mahrer auch zutraue) und dann erst von Parteichef Kurz zurückgepfiffen worden sei. Das Pech der beiden Linksparteien ist nur: Sie können keine öffentlichen Aussagen und Beweise für den behaupteten ÖVP-internen Zwist vorlegen, während die eingangs erwähnten Kontroversen in der SPÖ öffentlich stattfinden und auch bis heute von Kern nicht inhaltlich geregelt werden konnten (wenn er es denn überhaupt versucht hat). Aber selbst wenn die rotgrüne Version zum Bildungsthema stimmen sollte, würde sie ja erst recht etwas für die SPÖ Unangenehmes bestätigen: In der ÖVP hat derzeit nur einer das Sagen, dem sich alle unterzuordnen haben. Und der heißt Kurz. In der SPÖ gibt es so jemanden, der die Spannweite Doskozil bis Jarolim überbrücken würde, nicht einmal in Ansätzen.

Wird sich der SPÖ-Wahlkampf auch weiterhin so holprig entwickeln? Wird Herr Sengl einmal noch bitter bereuen müssen, dass er sich stolz als Leiter dieses SPÖ-Wahlkampfs der Öffentlichkeit präsentiert hat?

Der ORF als treuer Wahlkampfhelfer

Nun, die SPÖ kann in der heißen Wahlkampfphase vor allem auf ihre medialen Fußtruppen zählen. Zwar zählt derzeit im Gegensatz zu den letzten Jahren die Gratiszeitung „Österreich“ nicht dazu (will sich der von politischen Inseraten lebende Zeitungschef Fellner vielleicht schon mit dem kommenden Machzentrum gut stellen? Oder ist er nur der Abwechslung willen auf Kurz-Kurs gegangen?). Aber umso strammer marschiert der ORF.

  • Das sieht man etwa daran, dass der ORF die „Sommergespräche“ ganz zufällig so programmiert hat, dass die anderen Parteichefs Kurz und Strache noch in der zuseherarmen Ferienzeit vor die Kamera müssen. Kern hingegen kann sich im September dann schon den aus dem Urlaub zurückgekommenen Österreichern präsentieren.
  • Das sieht man auch an dem unglaublich einseitigen Anti-Kurz-Filmbeitrag vor dessen Interview in der ZiB2.
  • Das sieht man auch daran, dass der ORF dem Team Stronach volle gleichberechtigte Auftritte im Wahlkampf zugesichert hat – noch bevor überhaupt klar war, ob dieses angesichts von Umfragen mit oft nicht einmal einem Prozent kandidieren wird.
    Der ORF tut dies ganz eindeutig in gehorsamer Umsetzung der roten Wahlkampfstrategie. Diese versucht derzeit nämlich, dem Team Stronach jede nur denkbare Hilfe zukommen zu lassen, während vom Milliardär selber kaum noch Unterstützung kommen dürfte. Die SPÖ kalkuliert dabei, dass die Partei des (selbst kaum noch aktiven) Ex-Industriellen primär Stimmen potentieller ÖVP- und FPÖ-Wähler anziehen kann. Damit würden sich die Chancen der SPÖ marginal verbessern, doch noch vor den beiden Rechtsparteien ins Ziel zu kommen, während gleichzeitig ziemlich sicher scheint, dass das Team Stronach nicht ins Parlament kommt, dass also dessen Stimmen neutralisiert bleiben.

Im Team Stronach hofft man übrigens sehr, in Person eines populären Kronenzeitungs-Kolumnisten und Rechtsanwalts doch noch einen attraktiven Kandidaten zu gewinnen. Das scheint freilich vorerst mehr Wunschdenken zu sein, da es doch recht überraschend wäre, wenn der Mann zugunsten einer erfolgsarmen Zählkandidatur auf eine attraktive mediale Plattform verzichtet.

Strache mauert Kerns Notausgang zu

Aber zurück zur SPÖ und ihren diversen Kernspaltungen. Die Partei am stärksten spalten wird zweifellos die Frage „Koalition mit der FPÖ“. Parteichef Kern will sich angesichts seines Hasses auf die ÖVP diese Option unbedingt öffnen, die sich ja die SPÖ einst durch einen Parteitagsbeschluss versperrt hat. Aber er will zugleich die linke Wählerschaft vor allem rund um den Wiener Bürgermeister nicht verlieren, die in der FPÖ seit 1986 den Leibhaftigen zu orten gewohnt ist. Nach langem Zögern glaubte Kern nun, die Königsidee gefunden zu haben: Die SPÖ werde erst nach der Wahl und nach Koalitionsverhandlungen eine Urabstimmung über das Ja oder Nein zur FPÖ abhalten.

Diesen Ausweg hat ihm aber sehr rasch FPÖ-Chef Strache abgeschnitten: Dieser erklärte, keinesfalls bereit zu sein, mit der SPÖ auch nur zu verhandeln, wenn diese nicht noch vor der Wahl deutlich klarstellt, dass auch die FPÖ ein potentieller Koalitionspartner ist. Außerdem verlangt Strache eine verbindliche Volksabstimmung über den Zwang, diversen Kammern anzugehören. Das ist vor allem für die Arbeiterkammer, das finanzielle Kraftzentrum der SPÖ, eine tödliche Bedrohung.

Daher weiß die SPÖ, dass sie bei Ausstellung eines Persilscheins für die FPÖ vor der Wahl mit Sicherheit nach links Richtung Grün Stimmen verlieren wird, dass aber auch die Arbeiterkammer ihre Unterstützung sofort einstellen würde. Beides muss sie fürchten.

Mit dem völlig nichtssagenden und verwaschenen "Kriterienkatalog", den die Partei nun präsentieren wird, kann Kern das FPÖ-Problem erst recht nicht lösen. Denn diese Kriterien hat die FPÖ auch schon zu Zeiten erfüllt, da die SPÖ in ihr ein braunes Gespenst erblickt hat, das mit einem eigenen Parteitagsbeschluss gebannt werden sollte.

Jetzt steht Kern so rat- und hilflos da als wie zuvor. Und er kann schon froh sein, wenn sich seine diversen Fußtruppen nicht wieder prügeln oder öffentlich befetzen …

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

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