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Gesamtschule: Das Scheitern einer Ideologie

In der wohl merkwürdigsten Passage seiner Welser Wahlrede hat sich SPÖ-Chef Kern dafür entschuldigt, dass die Partei auf dem falschen Weg unterwegs gewesen ist. Er hat jedoch in keiner Weise konkretisiert, worin eigentlich die Fehler der Partei bestanden haben; gleichzeitig hat er eine Menge alter – jedoch weiterhin unfinanzierbarer – Versprechungen seiner Partei wiederholt, und ihnen etliche neue hinzugefügt. Er glaubt also weiter ans Schlaraffenland. Wo waren also die Fehler, die Kern jetzt immerhin zugibt?

Rhetorisch war diese Entschuldigung wohl nur eine geschickte Floskel, die Etliches an Bürgerwut und Dampf bei den (ehemaligen) Wählern ablassen sollte. In einem einzigen Bereich hat Kern jedoch trotz der schier unendlichen Geschwätzigkeit und supermarktartigen Alles-für-Alle-Philosophie seines „Plans A“ ein altes sozialdemokratisches Dogma weggelassen, das früher bei derlei Gelegenheiten immer angesprochen worden ist. Nämlich die „Gesamtschule“.

War das nur Zufall? War das Absicht? Ist das ein echtes Umdenken? Oder hat Kern einfach nur alles weggelassen, was in einem Wahlprogramm unpopulär ist (so hat er ja auch das Pensionsthema ignoriert und ebenso die Frage, wie er seine vielen Versprechungen konkret finanzieren will)?

Alles ist möglich. Aber für eine Abkehr vom Dogma Gesamtschule gibt es inzwischen auch einen neuen und geradezu zwingenden Grund. Bisher in der Öffentlichkeit unbekannte Daten zeigen nämlich neuerdings unwiderlegbar, dass die „Neue Mittelschule“ (NMS), also die von Rot-Schwarz eingeführte Form der Gesamtschule, ein totaler Flop geworden ist. Das sagen zwar seit längerem fast alle Lehrer, die damit Erfahrungen sammeln konnten. Das zeigen nun aber auch neue Daten der „Statistik Austria“, die von dieser zwar versteckt worden sind, die aber eindeutig sind.

Denn nun stellt sich heraus, dass die Fakten noch viel schlimmer sind, als der Rechnungshof in seiner NMS-Studie kritisiert hat: Er hat noch bemängelt, dass diese Gesamtschulen trotz viel höherer Kosten höchstens gleichwertig mit der zum Auslaufmodell degradierten Hauptschule wären. Jetzt aber stellt sich heraus, dass sie sogar deutlich schlechter sind.

Der Beleg findet sich in dem Band: „Bildung in Zahlen 2014/15 – Tabellenband (2016)“. Die dortigen Zahlen zeigen, welcher Prozentsatz der Schüler beim Wechsel in die Oberstufe nach dem ersten Jahr keinen Aufstieg in die nächste Klasse geschafft hat:

  am Oberstufenrealgymnasium an einer BHS (HAK, HTL, usw)
Absolventen der NMS 31,4 Prozent 31,5 Prozent
Absolventen der Hauptschule 20,0 Prozent 24,5 Prozent
Absolventen der AHS-Unterstufe 11,9 Prozent 11,0 Prozent

Das heißt im Klartext: An Oberstufengymnasien ist der Erfolgsabstand zwischen den Schülern aus einer AHS-Unterstufe und jenen aus einer Hauptschule sogar geringer als der Abstand zwischen Hauptschul- und NMS-Absolventen. Bei den berufsbildenden Schulen (Handelsakademien, HTL, usw.) ist der Unterschied ebenfalls groß, wenn auch nicht ganz so krass. Das widerlegt alle einstigen Polemiken regulierungswütiger Politiker gegen die Hauptschulen, dass diese eine überholte Fehlkonstruktion wären, dass sie sozial diskriminieren würden. Eine wirkliche Diskriminierung durch Schlechterausbildung trifft vielmehr erst jetzt alle jene Jahrgänge, für die es nur noch die NMS gibt.

Das ist auch deshalb wichtig festzuhalten, weil es in ein paar Jahren keine Hauptschulen mehr geben wird, deren Erfolg man noch mit denen der NMS vergleichen könnte. Diese verdrängen ja auf Beschluss der Koalition die Hauptschulen (die auf SP-Seite dafür verantwortlichen Ministerinnen wurden inzwischen zwar ins Nirwana geschickt, der Verhandler auf ÖVP-Seite ist dort allerdings heute zum Generalsekretär avanciert).

Dass die NMS scheitern muss, haben viele Pädagogen von Anfang an befürchtet, einige Ideologen haben aber starr das Gegenteil behauptet. Wichtigste Ursache des nunmehr feststehenden Scheiterns: In einer Hauptschule gibt es im Gegensatz zur Gesamtschule in allen Hauptgegenständen Leistungsgruppen, wo die Schüler je nach Können und Fleiß zusammengefasst und dadurch gezielt unterrichtet werden können.

Das bringt weit bessere Ergebnisse als das sozialdemokratische Prinzip, alle miteinander zu vermischen, also oft völlig Ungleiches gleich zu behandeln. In einer solchen Gesamtschulklasse werden zwingenderweise die Begabten unterfordert –  wodurch ihre Talente verkümmern –, während andere überfordert werden. Weshalb auch sie viel weniger erfolgreich sind, als wenn sie auf ihrem Niveau abgeholt würden.

Das kann auch durch das zweite NMS-Prinzip in keiner Weise ausgeglichen werden: dass es zwar strikt verboten ist, die Klassen irgendwie zu teilen, dass aber teilweise ein zweiter Lehrer in der Klasse anwesend ist. Das macht die Gesamtschule nicht nur sehr teuer, es ist nach Aussage vieler Schüler sogar sehr störend, wenn ein zweiter Lehrer gleichzeitig in der Klasse aktiv ist.

Diese Kritik an der NMS deckt sich genau mit dem, was Stefan Hopmann, Pädagogik-Professor an der Uni Wien, seit Jahren lehrt: „Ich muss den Schulen so viel Freiheit einräumen, damit sie den Unterricht für genau die Schüler gestalten können, die sie haben.“ Das gleichmacherische Gesamtschulprinzip ist genau das Gegenteil davon.

Inklusion als neue Gesamtschul-Variante

In die gleiche, für viele Kinder schädliche Richtung geht auch ein zweiter Modetrend. Er heißt „Inklusion“ und ist ebenfalls derzeit auf der Linken sehr beliebt. Er bedeutet, dass auch die Sonderschulen abgeschafft werden und alle dortigen Schüler in den Normalunterricht transferiert werden sollen.

Das ist zwar bei körperlichen Behinderungen meist, wenn auch mit etlichem Aufwand, gut machbar und sinnvoll. Bei geistigen Behinderungen und bei verhaltensgestörten Kindern ist das jedoch oft eine Katastrophe – für beide Seiten. Für die einen wird der normale Unterricht massiv gestört. Für die Behinderten hingegen gibt es deutlich weniger Förderung und Zuwendung als in den Sonderschulen.

Deswegen haben auch schon mehrere Initiativen von Eltern behinderter Kinder zum Kampf FÜR den Erhalt der Sonderschulen angesetzt. Sie wissen, dass diese für ihre Kinder viel besser sind. Das Wollen der Eltern hat aber die politischen Ideologen noch nie gestört. Sie haben vielmehr inzwischen auch schon die – wirklich hochklassig gewesene! – Spezialausbildung für Sonderschullehrer abgeschafft. Das ist ungefähr so idiotisch, wie wenn man in der Medizin die Facharztausbildung abschafft und behauptet, Allgemeinmediziner müssten eh von allem etwas verstehen.

In Wien sind die Gesamtschul-Ideologen besonders brutal unterwegs. Wohl können sie – mangels einer Mehrheit für die notwendigen Bundesgesetze – die achtklassigen Gymnasien mit ihren eindeutig besseren Bildungsergebnissen noch nicht abschaffen und so auch deren Unterstufen in die Gesamtschulen hineinzwingen. Aber die SPÖ hat seit vielen Jahren verhindert, dass in Wien neue Gymnasien entstehen. Dabei nimmt die Bevölkerungszahl in der Hauptstadt alljährlich um viele Zehntausende Menschen zu. Also wird es immer schwieriger, einen Platz im Gymnasium zu finden.

Anzumerken ist, dass auch die Gymnasien in den letzten Jahrzehnten durch viele schädliche Reformen (von der Abschaffung der Aufnahmsprüfungen über die Unterminierung der Lehrerautorität bis zur ständigen Senkung der Leistungsanforderungen) eindeutig an Qualität verloren haben. Die - in Wahrheit als einziges wirklich notwendige - Rücknahme dieser Verschlechterungsreformen im Schulsystem wäre aber für die Politik demütigend und ist daher tabu.

Gesamtschule droht durch Grün

Dass Kern das Wort „Gesamtschule“ nun auf über 140 geschwätzigen Seiten eines als Wahlprogramm erkenntlichen Papiers nicht verwendet, lässt etliche Lehrer, Eltern und Schüler wieder hoffen. Sie freuen sich aber vielleicht zu früh. Denn umgekehrt findet sich nirgendwo eine explizite Absage an die Gesamtschule. Sie wird halt nur nicht erwähnt.

Der Verdacht ist daher groß, dass Kern dies bloß deshalb tut, weil die Gesamtschule extrem unpopulär ist. Da stellt man lieber die Gleichmacher-Ideologie kurzfristig in die Garage, wo sie niemand sieht. Aber man gibt sie nicht auf.

Strafe für gute Schulen

Sehr wohl aber findet sich ein anderer für viele Schulen und Eltern bedrohlicher Punkt im Kern-Plan: Er will Geld von erfolgreichen Schulen zu weniger leistungsstarken Schulen umschichten. Das würde eindeutig gute, leistungsorientierte Schulen bestrafen. Das wäre möglicherweise auch gleichheits-(verfassungs-)widrig. Vertretbar und sinnvoll wäre eine gewisse Umschichtung von Geldern zwischen Schulen nur dann, wenn man als Grundlage dafür objektiv messen könnte, ob eine Schule als Gegenleistung überdurchschnittlich viele benachteiligte Schüler auf die Überholspur gebracht hat oder nicht (aber natürlich nicht dadurch, dass sie die guten Noten einfach herschenkt). Nur viel Geld allein dafür zu bekommen, dass man viele Bildungsunwillige (Migranten oder auch Nichtmigranten) aufnimmt, wäre hingegen absurd. Aber daher natürlich ganz auf der Linie der Schulpolitik der letzten Jahrzehnte.

Hintertür rot-grünes Wahlrecht?

Zugleich mit diesen eher vagen schulpolitischen Aussagen hat Kern auch ein recht konkretes Konzept einer Wahlreform präsentiert. Dieses würde den Weg zu einer rot-grünen Regierung erleichtern, die ja durchaus nicht verheimlichtes Wunschziel aller Sozialdemokraten ist. Auf die letzten Legislaturperioden umgerechnet hätte das Kern-Modell schon dreimal eine rot-grüne Regierung auch ohne Wählermehrheit ermöglicht. Und mit Pink als weiterem Reservepartner wäre ein Regieren auch ohne Mehrheit für einen roten Bundeskanzler noch viel leichter.

Wenn es nicht zu dieser – erstaunlicherweise derzeit auch von einigen in der ÖVP unterstützten – Wahlrechtsreform kommen sollte, scheint sehr wahrscheinlich, dass sich Rot-Schwarz nicht mehr ausgehen wird. Worauf dann der SPÖ eindeutig ein Rot-Schwarz-Grün am liebsten wäre.

Sitzt aber einmal Grün im Regierungsboot – in welcher dieser Varianten immer –, dann wäre die Gesamtschule wohl nicht mehr zu verhindern. Denn die Grünen verlangen diese mit noch viel größerem ideologischem Drive als die SPÖ. Auch die Neos haben sich im übrigen Pro-Gesamtschule geäußert. Und die ÖVP würde dann wohl wieder einmal die Interessen von Schüler und Eltern irgendwelchen Anliegen von Bauern oder Wirtschaftskämmerern opfern.

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

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