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Das ist Brutalität: Kern+Krone vs. Stöger+ÖGB

Zieht Sozialminister Stöger den darbenden heimischen Zeitungen durch ein raffiniertes Manöver endgültig den Teppich unter den Füßen weg? Wie endet die hinter den Kulissen tobende Mega-Schlacht zwischen Kern sowie „Krone“ auf der einen Seite und Stöger sowie ÖGB auf der anderen? Hat Österreich bald 24.000 Arbeitslose mehr? Drei Fragen, deren Beantwortung für Österreichs Politik und (vor allem) Medienwelt wichtiger ist als alles, worüber die Zeitungen derzeit schreiben. Sie selbst haben freilich bisher keine Zeile dazu geschrieben. Über eigene Interessen und Nöte schreiben sie nie gerne.

Es geht um all jene Menschen, die nächtens die Zeitungen vor die Wohnungstür legen, eine Tätigkeit, für die sich kein Inländer findet. Das sind fast durchwegs Ausländer. Es sind immerhin solche, die wegen ihrer Erwerbstätigkeit den Sozialstaat nicht belasten, oder nicht allzu schwer. Sie sind für drei große Zeitungszustell-Organisationen tätig: Mediaprint (vor allem „Kronenzeitung“ und „Kurier“), Redmail (vor allem Bundesländerzeitungen, „Presse“ und „Standard“) und „Österreich“ (dieses aber nur noch marginal).

Hans Dichand, der einstige allmächtige Kronenzeitungs-Chef, hatte in den 90er Jahren durchgesetzt, dass all diese Zusteller keine Ausländerbeschäftigungs-Bewilligung brauchen. Er hat den Gesetzgebern eine Ausnahme von diesem Gesetz abgerungen, von der auch alle anderen Zeitungen profitiert haben.

Zusteller wurden bisher rechtlich als Selbständige behandelt. Das hat nun aber der Verwaltungsgerichtshof zum Schock der Zeitungen durch ein neues Judikat gestoppt. Er hat dekretiert, dass diese Zusteller eigentlich Angestellte seien. Das wäre zwar für die Gebietskrankenkasse wie warmer Regen nach langer Dürre. Das ist aber für die ohnedies schon aus dem letzten Loch pfeifenden Zeitungen eine absolute Katastrophe. Sie müssten jetzt die 24.000 Zusteller anstellen und sie nach den Vorgaben des Gerichts wohl auch rückwirkend so behandeln.

Mit absoluter Gewissheit kann sich keine Zeitung das leisten. Selbst die Krone ist längst nicht mehr so profitabel. Sie steht heute viel schlechter da als zu den Zeiten, da sie vom genialen – wenn auch oft zerstrittenen – Quartett Dichand-Falk-Dragon-Merkl zur erfolgreichsten Zeitung der Welt gemacht worden ist. Heute weiß man hingegen nicht mehr, ob die Krone verlegerisch oder journalistisch jammervoller beisammen ist. Statt wieder zu einer relevanten Boulevard-Zeitung werden zu wollen, ist die Zeitung heute Schoßhündchen des Wiener Rathauses (Online ist sie übrigens besser). Und sie engagiert sich noch dazu für den schlimmsten Anschlag auf das Wiener Stadtbild, den Hochhausturm neben dem Konzerthaus (während sie unter dem verstorbenen Gründer viele solcher Anschläge verhindert hat, wie etwa den skurrilen Leseturm im Museumsquartier).

Gewiss: In keinem anderen Land gibt es eine so dichte und gut funktionierende Hauszustellung wie in Österreich. Deshalb könnte man ja sagen: Macht nichts, wenn es diese nicht mehr gibt; die Zeitungen könnten auch nur über Kioske, Trafiken und Post vertrieben werden wie in den meisten anderen Ländern.

Ja eh. Nur wer so argumentiert, vergisst eines: Österreich hat nur dank der nächtlichen Hauszustellung eine noch relativ hohe Rate an Zeitungslesern. Die viel später kommenden Briefträger oder die für Autofahrer nicht erreichbaren Trafiken können damit an Bequemlichkeit nicht konkurrieren.

Gibt's die Hauszustellung nicht mehr, dann geht also die Quote der Zeitungsleser steil zurück. Dann werden etliche Zeitungen und Zeitschriften zusperren müssen, wie es in anderen Ländern ja auch schon oft geschehen ist.

Zusätzlich verschärfender Schock für die Zeitungsverlage neben dem VwGH-Spruch und dem ständigen, internetbedingten Leser- und Inserentenverlust: Auch die Bestechungsinserate aus Steuergeldern haben um 10 bis 20 Prozent abgenommen. Auch die öffentliche Hand muss sparen.

Man hätte diesen gerichtlichen Schlag für die Zeitungswelt wohl durch ein geschickteres juristisches Agieren VOR dem VwGH-Erkenntnis verhindern können. Aber zu einer vorausschauenden Strategie ist in der heutigen Verlagsszene niemand mehr imstande. Wachsen doch dort nirgendwo mehr Verlegerpersönlichkeiten der Dimension Dichand, Falk, Sassmann, Kainz, Bronner, Dasch oder Russ nach. Heute glauben ja die Verleger allen Ernstes, sich für die Leserverluste bei Google und Facebook kompensieren zu können.

Nun bestürmen sie (hinter Polstertüren) die Regierung, sie zu retten. Man könnte rein rechtlich in der Tat das Verwaltungsgerichts-Urteil mit einem einfachen Gesetz aushebeln. Die Herren Kern und Mitterlehner zeigten sich auch bereit dazu, offensichtlich um sich eine freundliche Behandlung durch die Medien zu erkaufen.

Einer ist jedoch strikt dagegen: Der ist aber noch dazu ressortzuständig. Nämlich Sozialminister Stöger. Mit einem guten Argument: Urteil ist Urteil. Und mit einem überaus starken Verbündeten: dem ÖGB.

Bei der Gewerkschaft und bei den Gebietskrankenkassen lehnt man Selbstständigkeit immer und überall geradezu instinktiv ab. Selbstständige sind für die ÖGB-Bosse genetisch der Klassenfeind. Daher hat Österreich heute eine so unternehmerfeindliche Gesetzgebung und Überregulierung.

Das haben schon viele Österreicher erfahren müssen, die von der Gebietskrankenkasse gegen ihren Willen aus Selbstständigen in Angestellte verwandelt worden sind (Übrigens: Ohne dass auch nur eine einzige Zeitung sie unterstützt hätte). Worauf etliche dann bald gekündigt worden sind, weil sich viele zwangsweise zu Arbeitgebern verwandelte Auftraggeber diese Verwandlung nicht leisten können.

Aber das ist für Gewerkschaft und Gebietskrankenkasse ja egal. Für sie ist nur der Arbeitnehmer ein Mensch. Ein Selbständiger kann ja kein ÖGB-Mitglied werden. Oder glauben sie in ihrer Funktionärswelt ernsthaft, dass die 24.000 Zusteller – oder die meisten von ihnen – jetzt einfach zu Angestellten werden können? Mit Nacht- und Wochenend-Zuschlägen, mit Urlaubsanspruch usw.?

Das wäre natürlich absoluter Nonsens. Ein solcher ist freilich bei Gewerkschaftern und Höchstrichtern nie auszuschließen.

Stöger und ÖGB haben jedenfalls vorerst einen Koalitionskonsens in dieser Frage blockiert. Vorerst wird es also ein solches Verlagsrettungsgesetz nicht geben. Damit ist aber auch unmöglich gemacht worden, was die Verlage eigentlich erreichen wollten: dass die Reparatur heimlich, still und leise hinter den Kulissen passiert.

Wie es weitergeht? Ich weiß es nicht. Es wird jedenfalls spannend.

Um viele ist nicht schade

Und was ich selbst davon halte? Nun, um viele „Medien“ ist wirklich nicht schade. Viele schreiben die gleichen (schlechten) APA-Nachrichten ab. Bei vielen ist die handwerkliche Qualität deutlich zurückgegangen (aus Führungsschwäche, als Folge von Personaleinsparungen, aus Rekrutierungsmängeln). Man kann fast an seinen Fingern die wirklich herausragenden Journalisten abzählen (zumindest in Wien, in den anderen Bundesländern kenne ich mich zu wenig aus).

Auch ist es absolut unbegreiflich, wie sehr bisher alle Zeitungen die Notwendigkeit übersehen haben, sich angesichts der Herausforderung Internet komplett neu zu definieren. So wie ja auch das Produkt Radio quer durch die Senderlandschaft komplett anders gestaltet worden ist, als Radio vor 50 Jahren war.

Geradezu selbstbeschädigend ist, wie sehr sie alle im gleichen engen ideologischen Mainstream schwimmen. Das Schlimmste aber ist, dass sich fast alle in unvorstellbarem Ausmaß als korrumpierbar erwiesen haben. Durch die Parteien, durch den ORF, durch kommerzielle Großinserenten. Lieber lässt man sich bestechen, als die Mühe auf sich zu nehmen, mutig Neuland zu betreten.

Aber dennoch bin ich überzeugt, dass wir Zeitungen brauchen. Eine Demokratie kann nur mit einer Pluralität an unabhängigen Medien überleben, in denen bezahlte Redakteure ohne jeden Druck und nur auf der Suche nach Wahrheit arbeiten. Und bisher fand nur eine sehr teilweise Ausfüllung dieser demokratiepolitischen Notwendigkeit durch die schöne neue Welt des Internets statt (auch wenn ich natürlich dieses Tagebuch für ganz toll und unverzichtbar halte :-)).

Dennoch wird hoffentlich, wenn auch in viel kleineren Dimensionen, die Zeitung überleben. Eine Zeitung aus Papier, mit ihrer haptischen Qualität, mit ihrer Übersichtlichkeit, mit ihrem Hinführen-zu-immer-wieder-Überraschendem, mit ihrer Überall-hin-Mitnehmbarkeit ist ein Teil der Lebensqualität. Lebensqualität, auf die zumindest der anspruchsvollere Teil der Menschheit nur ungern verzichten würde.

PS: Juristisch ist die Lawine durch eine Lappalie in Gang gekommen: Es ging um die Frage, ob ein einzelner Hauszusteller ein Vertretungsrecht hat, also nicht persönlich die Zeitungen austragen muss. Der VwGH hat gemeint, das hätte ein solcher Zusteller nicht. Wenn das wirklich stimmen sollte, dass sie das nicht haben, dann ist freilich nackte Dummheit der Zustellorganisationen die Ursache der Malaise.

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