Seltsam: Eine Katastrophe ist passiert. Und niemand ist daran schuld. Nur der britische Premier. Der ist zwar am Brexit-Drama keineswegs unschuldig, aber es ist wirklich unglaublich, dass in der ganzen Rest-EU außer ihm kein einziger Mensch, keine einzige Institution, keine einzige Aktion wenigstens jetzt irgendwie am schweren Imageverfall der EU Schuld trägt. Dieser Imageverfall ist nicht von Cameron ausgelöst worden. Mit dieser gleichzeitigen Unschulds-Attitüde sind aber auch all die jetzt ertönenden Rufe „Neubeginn!“ oder „Das war ein Weckruf!“ reines Wortgeklingel. Ohne ein echtes Eingeständnis von Fehlern ist kein sinnvoller Neuanfang möglich.
Der ist überdies auch deshalb noch viel weniger möglich, da die Hauptschuldigen, also die EU-Zentralisten zwischen Brüssel und Berlin, jetzt sogar von „Vertiefung“ und „Noch mehr Europa“ schwätzen. Attacken auf Cameron sind da nur ein Ablenkungsmanöver von dieser Agenda. Insgeheim sind die Vertiefungs-Fanatiker ja wohl sogar froh, dass sie die Antizentralisten aus London los sind.
Das ist aber nicht die einzige Seltsamkeit im Gefolge des britischen Austrittsreferendums.
Seltsam ist neben der sofortigen Erklärung Camerons zum alleinigen Sündenbock auch ein weiteres Erklärungsmuster: Die jungen Briten sind für Europa; nur die Älteren haben dem Austritt eine Mehrheit verschafft. Das stimmt zwar tendenziell. Aber die daraus abgeleitete Folgerung stimmt nicht mehr: Man müsse nur warten, bis die Alten ausgestorben sind; die Jungen wüssten schon den richtigen Weg.
Diese (zynische) Gedankenkonstruktion übersieht, dass die gesellschaftliche Gesamtdynamik keineswegs in Richtung von wachsender Europabegeisterung geht, sondern ins Gegenteil. Denn die heute älteren Briten sind ja einst selber jung gewesen und sie haben damals mit ganz massiver Mehrheit (aller Briten!) für den Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gestimmt.
Warum aber haben sie in so großer Menge ihre Meinung geändert?
- Sie haben seit dem Beitritt erlebt, wie in der EU zynisch unzählige Verträge und Versprechungen gebrochen worden sind.
- Sie haben mitansehen müssen, wie eine Labour-Regierung der Umwandlung der Gemeinschaft in eine Politische Union zugestimmt hat, obwohl das nie bei einem Referendum eine Mehrheit gefunden hätte.
- Sie haben beobachtet, wie das Projekt Euro/EZB (das ja theoretisch auch für die Nicht-Euroländer ein noch immer verpflichtendes Ziel ist!) gegen die Wand gedonnert ist.
- Sie haben miterlebt, wie sich das EU-Europa ohne jeden Grund eine Grundrechts- und Sozialcharta gegeben hat, womit einer geradezu totalitären Überregulierung endgültig Tür und Tor geöffnet war.
- Sie sind zähneknirschend Zeuge gewesen, wie der Europäische Gerichtshof für immer noch mehr Zentralisierung judiziert hat.
- Sie haben also erleben müssen, dass nicht sie, sondern das Brüsseler Projekt sich fundamental gewandelt hat. Diese tiefe Enttäuschung über Politiker, die weit über ihren ursprünglichen Auftrag hinausgegangen waren, hat naturgemäß nur die ältere Generation miterlebt. Die ganz Jungen müssen erst noch ihre Frustrationserlebnisse machen.
Triumph der Mittel- und Unterschichten
Ganz sicher richtig ist die Beobachtung, dass die britische Mittelklasse über die Elite gesiegt hat. Das führt zwar jetzt in elitären Kreisen überall zu Naserümpfen: „In meiner Umgebung haben alle für die EU gestimmt.“ Das erinnert aber an einen weisen Gedanken Bruno Kreiskys: Eine Elite darf den Menschen immer nur so weit vorausgehen, dass sie nicht den Blickkontakt zu diesen verliert. Geht der verloren, geht die Elite zu rasch voran, dann muss ein Projekt scheitern.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Umstand, dass der geographisch EU-ferne Norden (Schottland, Nordirland) für die Mitgliedschaft ist, Wales und England (mit Ausnahme der globalisierten Stadt London) hingegen nicht. Das bedeutet wohl ganz unabhängig von der EU-Zukunft: Die Einheit Großbritanniens steht nun genauso auf dem Spiel wie die der EU.
Die Schotten werden jetzt erneut und mit verstärkten Kräften um Selbständigkeit und (Wieder-)Eintritt in die EU kämpfen. Und Nordirland wird wieder zum Problemfall werden, nachdem es – gerade durch Zusage der Selbstbestimmung! – weitgehend befriedet worden war. Der von den Katholiken sofort geforderte Anschluss an das EU-treue Irland wird freilich unwahrscheinlich bleiben, solange der Norden eine protestantische Mehrheit hat.
Die Schlacht Johnson vs. Cameron
Sicher besonders relevant für den Wahlausgang war die Tatsache, dass sich der langjährige Londoner Bürgermeister Boris Johnson an die Spitze von Brexit gestellt hat. Der unorthodoxe Konservative ist charismatisch, er ist nach Cameron der bekannteste Tory – und er hat gewusst: Jetzt oder nie kann er Cameron schlagen und die Regierungsführung übernehmen. Sein eigentlich aus persönlichem Ehrgeiz entstandener Anti-EU-Einsatz hat dem Brexit-Lager entscheidend geholfen.
Dazu kommt, dass Labour von einem schwachen und weit links stehenden Mann geführt wird, der lange eher EU-Gegner war. Daher ist Labour als eigentlich größte, aber nur scheinbar geschlossene EU-Befürworterpartei unglaubwürdig und ineffizient dagestanden. Gerade viele ihrer Stammwähler haben Desinteresse an der EU gezeigt.
Die Grünen als Totengräber Europas
Wechseln wir wieder auf die EU-Ebene. Dort haben – was selten gesagt wird – die europaweiten Grünen und die ihnen nahestehenden NGOs die weitaus größte Schuld an europäischen Fehlentwicklungen. Sie haben nämlich in den letzten Jahren mit Hilfe der panikmachenden Boulevardpresse eine wilde Kampagne ausgerechnet gegen jenen Teil der Integration geführt, der die EWG/EG in ihren ersten Jahren so erfolgreich, stark und attraktiv gemacht hat: Das sind der Freihandel, die Globalisierung und die wirtschaftliche Integration. Die Grünen haben sich zwar seit den 90er Jahren von erbitterten Gegnern zu lautstarken EU-Befürwortern entwickelt (wohl ab dem Zeitpunkt, da genug Grüne in der EU-Bürokratie untergebracht waren und von dort agitieren konnten). Aber sie lehnen gerade den einzig erfolgreichen Kern der EU ab.
Das zeigte sich insbesondere bei der grünen Agitation gegen TTIP und CETA. Dabei sind das klassische Freihandelsabkommen, wie es sie weltweit zu Hunderten gibt, und wie sie den ursprünglichen Kern der EU ausgemacht haben. Dieser Kern wird von den Grünen und anderen Linken abgelehnt. Marktwirtschaft ist halt noch immer igitt.
Gleichzeitig sind die Grünen Hauptbetreiber der Verwandlung des ökonomisch orientierten und so erfolgreichen Binnenmarkts:
- zum Völkerwanderungsförderungsprojekt,
- zum Überregulierungsprojekt (Hauptinstrument, mit dem sie alles und jedes verbieten wollen: „Klimarettung“),
- zum Gehirnwaschprojekt (siehe Political correctness und Verhetzungsparagraphen),
- zum Sozialprojekt (Wir retten ununterbrochen die Griechen, selbst wenn sie noch so hemmungslos und verschwenderisch agieren)
Diese Entwicklungen haben die EU weitgehend kaputt gemacht.
Das wollen zwar die meisten Europäer nicht. Und das wollen die Engländer schon gar nicht, die (bis auf Prinz Charles) nie sonderlich der Grünhysterie verfallen waren. Aber in der EU gibt Grün heute meritorisch den Ton an.
Das Resümee einen Tag danach ist nüchtern: Solange nicht in Europa eine echte Gewissenserforschung und mutige Analyse all dieser Ursachen stattfindet, sind die Chancen auf einen funktionierenden Neuanfang gleich Null. Wenn man nur noch von Viktor Orban kluge Reaktionen hört, dann muss man an der Lernfähigkeit der europäischen Elite endgültig verzweifeln.
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Rot, Grün, Liberal sind die Sargnägel der EU. Wenn die Vertiefung weitergeführt wird, wird die EU untergehen. Da bin ich mir sicher wie das Amen im Gebet.
Die Vertiefungspläne fressen jegliche Kraft und Motivation. Das erinnert mich an russische Kollegen, die sagten: Der Staat tut so als ob er uns bezahlt und wir tun so als ob wir für ihn arbeiten.
Schrecklich die Vorstellung, dass dieser Weg eingeschlagen wird. Die britischen Meckerer sind leider weg. Jetzt müssen wir eben selbst anpacken.
Mich wundert das Europa vor der EU überhaupt existieren konnte.
Mich wundert das es in der EU fast überall ca 50% Rechtspopulisten gibt.
Mich wundert das das linke Gesindel zwar gegen die Burschenschaften hetzen, weil sie angeblich den Anschluß an Deutschland anstreben, aber gleichzeitig hängt unser Kern am Rockzipfel von Merkel.
Was mich nicht wundert, das die Briten dieses Irrenhaus verlassen wollen.
Eine Katastrophe ist passiert.
Welche Katastrophe? Ein Mitglied der EU will von den in den Satzungen festgeschriebenen Möglichkeiten des Austritts Gebrauch machen. Und dies noch dazu nach einem Volksentscheid. Also demokratischer gehts wohl nicht mehr.
Wie weit der Radar der öffentlichen Wahrnehmung bereits verschoben wurde durch unablässige Propaganda der Politik und den von ihr gekauften Wahrheitsmedien, wird durch nichts klarer dokumentiert als durch die überzogenen Reaktionen der Systembonzen. Da ist die Rede vom traurigen Tag für GB, vom Sieg der Populisten, fremdenfeindlicher Hetzer, von der Katastrophe.
Die Katastrophe ist, daß ein demokratischer Vorgang zur Katastrophe hochstilisiert wird. Und daß sich diese von uns oft nicht einmal "demokratisch" gewählten, auf jeden Fall aber von uns alimentierten Bonzen und ihre Profiteure gar nicht mehr vorstellen können, daß das blöde, verhetzte Volk anders entscheidet als von ihnen vorgesehen.
Einzige Möglichkeit für die Priesterkaste der EUdSSR: künftig derartige Plebiszite zu verbieten, kann man solch wichtige Entscheidungen doch nicht den rechten Hetzern überlassen. Das dürfte nicht allzu schwer sein, denn eine Mehrheit aufrechter Schafe, denen Menschlichkeit, Humanität und der Schutz der Schutzsuchenden wichtiger sind als schnöder nationaler Egoismus, dürfte allemal zu finden sein für solche Politik in Europa.
Siehe BP-Wahl in Österreich.
Exzellent wie immer, aber trotzdem 2 Ergänzungen:
1. Es haben deutlich weniger als 50% der Jungen beim Referendum abgestimmt (qui tacet consentire videtur). Es ist wahrscheinlicher, dass hier ein künstlicher Generationenkonflikt heraufbeschworen werden soll und die Europabegeisterung der Jungen wohl eher dem peer-pressure geschuldet ist und sich im Grunde in überschaubaren Grenzen hält.
2. Das Völkerwanderungsprojekt, die Klimarettung, der Atomausstieg Deutschlands, die Griechenlandrettung werden von den Grünen zwar begrüßt und mitgetragen, aber - historische Ächtung, wem historische Ächtung gebührt - die Hauptbetreiberin ist jene kafkaeske, sauertöpfische Gestalt, deren Name ich nicht einmal mehr in den Mund nehmen will.
Ich hörte mir gestern die diversen Kommentare und Interviews tagsüber vor allem auf Euronews , NTV und etwas auch auf ZDF an - da bleibt tatsächlich keine Hoffnung auf Änderungen. Am Abend dann im ORF Sebastian Kurz mit den besten Aussagen des Tages - er hat verstanden, worum es geht und ging. Und Strache ebenfalls sachlich und in der Aussage richtig. Das übrige bla bla bla tagsüber zu vergessen, egal von wem und von welcher Seite.
Die allerhöchsten EU-Vertreter Schulz und Juncker sowie die großteils linke Mediengemeinschaft werfen den älteren britischen Bürgern vor, sie würden den Jüngeren ihre Zukunft rauben.
Was für eine infame Aussage, wie können sie es wagen!?
Griechenland, Spanien und Italien haben eine Jugendarbeitslosigkeit von respektive 51,4%, 45% und 36,9% (in Appulien und Sizilien über 50%). Welche Zukunft haben diese jungen Menschen?
http://de.statista.com/statistik/daten/studie/74795/umfrage/jugendarbeitslosigkeit-in-europa/
Personenfreizügigkeit?
Das letzte Jahr hat gezeigt, dass Menschen "aus aller Herren Ländern" (auch ohne Paß) mühelos durch ganz Europa marschieren können und dann vom Sozialleistungstopf großzügig bedient werden.
Es ist nicht zu übersehen, dass das Unbehagen über die EU in den letzten Jahren drastisch zugenommen hat. Die Gründe sind bekannt, sie werden oben genannt.
Ein ursprünglich gutes bürgerliches Projekt, dem ich von Anfang an zugestimmt habe, ist durch eine Clique Alt-68er ruiniert worden. Die Hauptverantwortlichen haben nichts verstanden, wie man in den Interviews vor allem der SPD- und Grünpolitiker hören konnte: Leeres Geplapper und wie immer aufgesetzte Betroffenheit.
Wie geht es weiter? Großbritannien wird es wie die Schweiz machen. Sie werden Sonderverträge abschließen und sich die Rosinen herauspicken. Kulturprogramme, Austauschprogramme, wissenschaftliche Zusammenarbeit - all das wird weiter bestehen, siehe Schweiz. Den übrigen EU-Wahnsinn werden die Briten aber nicht mitmachen.
Bei uns in Kontinentaleuropa wird etwas anderes passieren. Die EU wird sich vorerst nicht auflösen, dafür aber erodieren. Immer öfter werden sich Staaten nicht an diktatorische Vorschriften halten und Brüssel den Stinkefinger zeigen. Länder wie Ungarn, Slowakei und Polen werden den Anfang machen. Die EU wird weiter bestehen, aber innen wird sie immer hohler werden.
Nur eine neue Generation verantwortungsbewusster Politiker kann den Wahnsinn beseitigen, der da in Brüssel in die Welt gesetzt wurde.