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Das vergessene Drama

Hinter dem Völkerwanderungsdrama ist seit Monaten ein anderes für Österreich fast ebenso wichtiges Drama in erstaunliche Vergessenheit geraten: der wachsende Verlust der österreichischen Wettbewerbsfähigkeit.

Dieser ist doppelt schlimm, weil die Entwicklung im wichtigsten Nachbarland Österreichs, in Deutschland, in genau die andere Richtung geht. Im letzten Jahrzehnt hat sich sowohl bei den Lohnkosten als auch den noch wichtigeren Lohnstückkosten, die Schere geöffnet: Deutschland wurde immer wettbewerbsfähiger, Österreich immer weniger.

Das war nicht immer so. Nach der Jahrtausendwende hat Österreich eine Reihe wirtschaftsfördernder und sozialpolitischer Reformen gesetzt (Pensionen, Privatisierungen . . .), während Deutschland tief in einer Krise gesteckt ist. 2006 haben viele deutsche Medien sogar Kommentare mit dem Motto „Österreich, das bessere Deutschland“ veröffentlicht. Zehntausende Deutsche haben in Österreich einen Job gesucht.

Auch in den Jahrzehnten davor war die Alpenrepublik klug unterwegs. Das war auch Verdienst der Gewerkschaften: Diese haben fast nie gestreikt, sich bei ihren Lohnforderungen immer an der deutschen Konkurrenz orientiert – und dann ein oder zwei Zehntelprozent darunter abgeschlossen. So schaffte Österreich den Aufstieg vom 1945 ärmsten Land Europas an die Spitze. Wozu freilich auch das weitgehende Ausbleiben externer Schocks beitrug, wie es in Deutschland etwa die Wiedervereinigungskrise war.

Ab 2003 hat die deutsche Regierung zu reagieren begonnen: Mit der Agenda 2010 hat die rotgrüne Regierung Schröder in Kooperation mit der schwarzen Opposition dem Land zuerst eine mehrjährige Holperstrecke und dann einen kraftvollen Aufschwung verschafft. Dieser hat Deutschland etliche fette Jahre eingebracht. Dass die deutsche Sozialdemokratie damals sogar eine Konfrontation mit den Gewerkschaften und die Abspaltung der Linkspartei mit Oskar Lafontaine riskierte, war ein wichtiger und mutiger, aber für die SPD teurer Preis für diese später so erfolgreichen Sozial- und Wirtschaftsreformen war. Wenn man ganz optimistisch ist, könnte man jetzt übrigens auch für Griechenland einen ähnlichen Prozess erhoffen, seit sich der radikale Linksflügel von der Syriza-Partei abgespaltet hat.

Zurück nach Österreich: Beim ÖGB ist die kluge Zurückhaltung der Herrn Olah, Benya, Verzetnitsch vergessen. Und die Regierung ruhte sich seit 2008 auf den Lorbeeren aus. Ausruhen aber heißt für eine Nation genau dasselbe wie für ein Unternehmen: Man fällt mit Sicherheit rasch zurück. Das zeigt sich etwa an der im Gegensatz zu vielen anderen Ländern steigenden Arbeitslosigkeit. Das zeigt sich daran, dass nur noch in Krisenländern wie Spanien und Griechenland im Jahr 2014 die Einkommen pro Kopf der Gesamtbevölkerung noch stärker gesunken sind als in Österreich. Wobei heuer nun auch schon Spanien nach schmerzhaften Reformen wieder in die Wachstumskurve gekommen ist.

Wann endlich beginnt Österreich wieder zu agieren? Wann haben wir wieder eine lebende Bundesregierung? Wann wird die Politik entdecken, dass Österreich verloren ist, wenn es sich weiterhin auf die Gewerkschaft verlässt, dass diese zum Unterschied der ersten Nachkriegsjahrzehnte keine verantwortungsbewusste Kraft mehr ist?

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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