LIF, NEOS und das Problem des Liberalismus in Österreich

Liberale Parteien – so ein gebetsmühlenartig wiederholter Befund – hätten es hierzulande schwer, sich zu etablieren. Zu wenig greifbar seien liberale Ideen, zu schwer vermittelbar die unbequemen Forderungen für das (staats-)gläubige Volk. Dabei hätte der politische Liberalismus in Österreich keineswegs einen schweren Stand – wären echte liberale Parteien nur je existent gewesen.

In Österreich wird die lange Absenz beziehungsweise die marginalen Wahlerfolge von liberalen Bewegungen gerne auf Ursachen zurückgeführt, welche zum Teil mehrere hundert Jahre in der Geschichte zurückliegen. Der reaktionäre Neoabsolutismus unter Kaiser Franz Josef I. muss ebenso wie der autoritäre Ständestaat oder das nationalsozialistische Regime nicht selten als Erklärung dafür herhalten, weshalb der Liberalismus in Österreich schwierige Bedingungen vorfinden würde. Und überhaupt war Österreich ja immer schon stark katholisch und agrarisch geprägt. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass das Herumgrundeln vermeintlich liberaler Parteien zu einem guten Teil auf deren eigenes Verschulden zurückzuführen ist.

Der VdU und die daraus hervorgegangene FPÖ standen immer schon in einem Zwiespalt zwischen einer liberalen und einer nationalen Ausrichtung. Dass sich das liberale Element der Freiheitlichen zu keinem Zeitpunkt gänzlich ausbreiten konnte, liegt nicht zuletzt daran, dass bereits in den Anfangsjahren der Ersten Republik liberale Parteien von den großen Lagern aufgesogen wurden. Liberale Flügel fungierten damit mehr als parteiinterne Beiwagen innerhalb der Sozialisten, Christlich-Sozialen und Deutschnationalen, denn als tonangebende Strömungen.

Insofern ist es wenig verwunderlich, dass auch in den Anfangsjahren der Zweiten Republik das Dritte Lager weder weltanschaulich stringent noch vor ideologischen Grabenkämpfen gefeit war. Das letztliche Unterliegen der liberalen Facette im Jahre 1986 war zwar zum Teil einer bewussten strategischen Entscheidung der Delegierten geschuldet (immerhin konnte Jörg Haider in Kärnten – eine der Hochburgen des deutschnationalen Landbundes in der Ersten Republik – mit Wahlerfolgen aufwarten), andererseits wurde auch die Marginalität des Liberalismus in der Funktionärsstruktur der Freiheitlichen augenscheinlich. Dass die FPÖ seit der Parteivorsitzübernahme durch Haider weder gesellschafts- noch wirtschaftspolitisch durch Liberalität glänzt, wird sie angesichts der Konzentration auf ehemaliges SPÖ-Kernklientel und den daraus resultierenden Wahlerfolgen nicht weiter stören. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie zu keinem Zeitpunkt eine liberale Partei war.

Eine Partei jedoch, welche liberales Gedankengut nicht nur als Flügel duldete, sondern Liberalismus als oberste Maxime auf ihre Fahne heftete, war das Liberale Forum. Entstanden aufgrund eines plötzlichen Sinneswandels einer gewissen Frau Heide Schmidt stellte sich bald heraus, dass der propagierte Liberalismus der neuen Partei lediglich als Deckmantel für rot-grüne Forderungen diente.

Zur Erinnerung:

  • Eine liberale Partei würde auf Grundsätze wie Gleichberechtigung und Anti-Diskriminierung beharren. Das LIF unter Schmidt hingegen unterstützte das „Frauenvolksbegehren“, welches eine Diskriminierung von Unternehmen forderte, sollten diese nicht mindestens 50 Prozent der Stellen an Frauen vergeben.
  • Eine liberale Partei würde für Prinzipien wie Leistungsorientierung und Selbstverantwortung eintreten. Das Liberale Forum stattdessen verlangte die Einführung eines Mindestlohns.
  • Eine liberale Partei würde die Ungerechtigkeit des niedrigeren Pensionsantrittsalters von Frauen kritisieren (welches übrigens auch das Seine dazu beiträgt, dass Frauen in die Altersarmut abgleiten). Das LIF hingegen bekämpfte eine Anhebung des Antrittsalters.

Gewiss handelt es sich bei Fragen wie Mindesteinkommen oder Frauenpensionsalter um heiße Eisen. Und ebenso gewiss gibt es hierzu auch unterschiedliche, legitime Ansichten. Aber eine konsequente liberale Partei kann nie und nimmer für Quotenzwang oder die soziale Hängematte eintreten. Eine gesellschaftspolitische Anbiederung an linke Wählersegmente in den Themenbereichen Familie oder Migration kann unter Umständen noch verkraftet werden, eine staatsinterventionistische Ausrichtung jedoch ist der sichere Todesstoß einer jeden liberalen Partei.

Dabei zeigte gerade die Studentenorganisation der LIF/NEOS-Fusion bei den letzten ÖH-Wahlen, dass liberale Ansichten durchaus auf fruchtbaren Nährboden stoßen können. Mit erfrischend klar kommunizierten (liberalen) Positionen zu Reizthemen wie Einführung von Studiengebühren, Erhöhung der Drittmittelfinanzierung an den Universitäten oder Abschaffung der ÖH-Zwangsmitgliedschaft konnten sich die Jungen Liberalen (JULIS) beinahe verdoppeln. Wenn dieser Wählerzuwachs auf einem für Konservative und Bürgerlich-Liberale schwierigen Terrain wie der Hochschülerschaft möglich ist, kann man sich ausmalen, wie eine konsequente, ehrliche und mutige liberale Politik in den gesetzgebenden Körperschaften und Kommunen reüssieren könnte. Mit der Betonung auf „könnte“!

Kleines Detail am Rande: Es war bemerkenswert zu beobachten wie die JULIS in etlichen Diskussionsrunden zum Feindbild Nummer eins für die linken Vertreter von VSSTÖ, GRAS, Fachschaftslisten und die beiden kommunistischen Splittergruppen – ja die ÖH leistet sich zwei davon – avancierten, nachdem bisher stets der RFS als Antipode zum linken Hochschülerschafts-Kindergarten empfunden und dementsprechend attackiert wurde.

Doch auch der Hoffnungsschimmer dieser Vorfeldorganisation kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Mutterpartei von einem Fettnäpfchen ins Nächste tritt und mit beachtenswerter Kontinuität die Fehler ihrer Vorgängerpartei teils wiederholt, teils ganz neue Wege findet, sich ins politische Nirwana zu katapultieren. Die katastrophalsten Fehler lassen sich am besten mit den Begriffen Uneinheitlichkeit, Anbiederung und Irrelevanz erfassen:

Uneinheitlichkeit: Grundsätzlich möchte man meinen, dass sich kleine Parteien leichter tun würden hinsichtlich ihrer Geschlossenheit nach außen. Die NEOS zeigen, dass es auch anders geht. Man denke hierbei nur an den unkoordinierten Vorstoß der Legalisierung von Drogen oder dem beinahe devoten Zurückrudern nach dem Wasserprivatisierungs-Sager. Ob es aus wahltaktischer Sicht klug ist, bestimmte programmatische Positionen einzunehmen, sei dahingestellt. Dass eine neue Partei jedoch ihr Profil erst mit klaren Botschaften schärfen muss, ist ebenso ein Faktum wie die Tatsache, dass ein halbherziges Revidieren politischer Forderungen meist alle potenziellen Wähler vergrault. (Ein wahlstrategisch positives Gegenbeispiel wäre hierbei die FPÖ im Wiener Landtagswahlkampf 2005, die sich nach der Parteispaltung durch harte aber konsequent formulierte Botschaften wieder konsolidieren konnte.)

Anbiederung: Obwohl die zunehmende Entwicklung Österreichs hin zu einem Metternichschen Kontroll-, Verbots- und Regulierungsstaat ein aufgelegter Elfmeter ohne Tormann für liberale Bewegungen wäre, hört man bemerkenswert wenig von den NEOS zu Themen wie der Abschaffung des Bankgeheimnisses, der geplanten Einführung der Registrierkassenpflicht, der totalitär inspirierten Strafgesetznovelle, der mittelstandsfeindlichen Steuerreform und so weiter. Der Verdacht liegt nahe, dass man es sich mit den beiden Großparteien – oder was davon übrig geblieben ist – nicht verscherzen möchte, sind diese doch nach der nächsten Nationalratswahl sehr wahrscheinlich auf einen willfährigen Mehrheitsbeschaffer angewiesen. Liberales Engagement für Grundrechte sieht anders aus.

Irrelevanz: Den größten Bock jedoch schießt aktuell die Wiener Landesgruppe der NEOS. Nachdem die angeblich liberale Partei bereits bei der EU-Wahl und der Vorarlberger Landtagswahl am eigenen Leib erfahren musste, dass allein die Aufstellung von – sichtlich mit der Situation überforderten – Spitzenkandidatinnen nicht ausreicht, um auch Wählerstimmen lukrieren zu können (für eine leistungs- und kompetenzorientierte Partei eigentlich einleuchtend), darf nun NEOS-Frontfrau Beate Meinl-Reisinger das nächste wahltaktische Harakiri begehen.

Anstatt die Wiener SPÖ wegen des gewaltigen Schuldenberges der Stadt, den horrenden Wuchergebühren, der exorbitanten Ausgaben für Medienbestechungsinserate und Subventionen für SPÖ-nahe Unternehmen, der Postenschacherei im Rathaus oder der wirtschafts- und standortfeindlichen Bedingungen anzugreifen, geht Meinl-Reisinger allen Ernstes auf eine Oppositionspartei – namentlich die FPÖ – los. Mit ihrer Kampagne unter dem etwas holprigen Slogan „NEOS steht für eine Veränderung – aber ohne Strache!“ tragen sie nicht nur dazu bei, dass sich das von FPÖ-Chef Strache seit 2005 ausgerufene Duell um Wien in den Köpfen der Bürger verfestigt und damit Grüne, ÖVP aber auch die NEOS selbst zu Statisten degradiert werden. Die Liberalen machen damit vielmehr klar, dass es mit Ihnen überhaupt keine Veränderung gibt.

Denn bei aller Kritik an den Freiheitlichen ist es schlichtweg Realpolitik, dass eine Absetzung der seit Jahrzehnten regierenden Wiener Sozialdemokratie nur mit der FPÖ möglich sein kann. Die Weichen werden jedoch anscheinend lieber in Richtung billiger Mehrheitsbesorger für Rot-Grün gestellt, als für eine Alternativoption Blau-Schwarz-NEOS zumindest gesprächsbereit zu sein, welcher trotz aller gesellschaftspolitischer Differenzen in den Bereichen Entflechtung, Deregulierung und Budgetsanierung mehr zuzutrauen ist als der derzeitigen Stadtregierung. Da Frau Meinl-Reisinger und ihre NEOS „alles daran setzen [werden], dass Strache nicht Bürgermeister in Wien wird“ fungieren ironischerweise gerade die Liberalen als Steigbügelhalter für Machterhalt und Stagnation, weshalb sie auch für reformorientierte Wählerschichten nur mäßig attraktiv bis irrelevant sind.

Und damit wird auch schon das größte Defizit liberaler Parteien in Österreich offenkundig. Bereits Heide Schmidt hat einen Großteil ihres politischen Engagements in die Begleichung alter Rechnungen mit ihrem früheren Weggefährten Haider und in den K(r)ampf gegen Rechts gesteckt, anstatt die amtierenden Regierungsparteien für ihre politischen Fehlentscheidungen zu kritisieren. Bereits Heide Schmidt hat lieber versucht, sich mit den Grünen um ein paar linke Intellektuelle zu streiten als sich auf das eigentliche Wählersegment liberaler Parteien zu fokussieren.

Dabei ist dieses Verhalten gar nicht so überraschend, wenn man sich die personelle Struktur der NEOS vergegenwärtigt. Aus internen Quellen ist mir bekannt, dass über 30 Prozent der Gründungsmitglieder der Liberalen aus den Reihen der Grünen kommen. Dass man da auch in der neuen Partei gleich mal ordentlich den Anfängen wehren will, ist zwar verständlich, ebenso verständlich ist jedoch, dass die Leute lieber zum grünen Schmied gehen anstatt zum pinken Schmiedl.

Der Liberalismus hätte es nicht schwer in Österreich. Die Themenlage ist wie gemacht für Parteien, welche der überbordenden Regulierungswut, der zunehmenden Einschränkung der persönlichen Freiheit sowie der zukunftsgefährdenden Schuldenmacherei politisch entgegentreten würden. Das Problem ist nur, es gibt sie nicht. Es gab sie auch in der Zweiten Republik nie. Die in staatsinterventionistischen und gesellschaftspolitisch linken Themen versinkenden „Liberalen“ sollen ruhigen Gewissens in der Mainstream-Politik von SPÖVP-Grüne ihr Glück suchen. Nur: Sie sollen nie wieder behaupten, liberale Parteien hätten es wegen irgendwelcher historischer Bedingungen schwer in Österreich Fuß zu fassen. Die Bedeutungslosigkeit dieses politischen „Liberalismus“ ist hausgemacht.

Fabio Gruber, BA, ist ein 23-jähriger Student der Rechtswissenschaft und Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck.

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