Die ÖVP und der Konservativismus

„Die ÖVP will raus aus dem konservativen Eck“, titeln die „Salzburger Nachrichten“ in der Ausgabe vom 31. März 2014, und im Untertitel liest man: „Die Volkspartei will liberaler werden, um ihren Absturz zu stoppen“. „Willkommen im 21. Jahrhundert!“ heißt es gleich anschließend rechts oben auf Seite zwei, um mit der rhetorisch gemeinten Frage zu enden: „Ob es heute wohl die Neos gäbe, hätte Spindelegger die ÖVP bereits vor einem Jahr dem 21. Jahrhundert geöffnet?“

Worin die gepriesene Öffnung zum 21. Jahrhundert bestehe? Selbstredend in der völligen Gleichstellung homo- und heterosexueller Paare sowie in der Gesamtschule. Worin sonst? Dass auch dies noch nicht reichen wird, um endlich „liberal“ zu sein, erfährt man ebenfalls auf Seite zwei derselben Ausgabe, denn der „Forderungskatalog“ Homosexueller ist „noch lang“. So wird von der Homosexuelleninitiative (HOSI) „die Ausweitung der mit der Ehe bzw. der Eingetragenen Partnerschaft (EP) verbundenen Privilegien auf die Lebensgemeinschaft“ gefordert.

Doch zurück zur ÖVP: Deren Problem besteht nicht darin, dass sie konservative Positionen vertritt (diese vertreten im Fall der Fremdkindadoption wohl über 50 Prozent der Österreicher), sondern dass sie diese nicht (offensiv) vertritt. Geradezu symptomatisch hierfür ist das Totschweigen der Juristin und Theologin Gudrun Kugler, die bei der Nationalratswahl 2013 das drittbeste Vorzugsstimmenergebnis der ÖVP erzielt hatte.

Zudem ist noch lange nicht alles liberal, was nicht konservativ ist. Mag die Beibehaltung des Gymnasiums unter das Etikett „konservativ“ fallen – die verpflichtende Gesamtschule ist gewiss nicht liberal. Eine liberale Politik, die diesen Namen tatsächlich verdiente, ließe Vielfalt zu, anstatt alle Zehn- bis Vierzehnjährigen in einen einzigen Schultyp zu zwingen.

Das eigentliche Problem der ÖVP sind nicht konservative Inhalte, sondern konservative Strukturen. Eine Partei, die Leistung propagiert, kann kaum begreiflich machen, warum es ein Ding der Unmöglichkeit ist, dass getrost auch drei Tiroler der Bundesregierung angehören können, wenn es in Tirol fähige Köpfe in Hülle und Fülle gibt. Mindestens in diesem Punkt werden Strolz’ Neos beweglicher und frischer wirken, selbst wenn die ÖVP deren gesellschaftspolitische Positionen gänzlich übernimmt und der vielbeschworene urbane Wähler ihr dies auch abnimmt.

Dies ist keineswegs ausgemacht, denn vor allem können die Neos authentisch auftreten: Strolz „ist“ seine Partei, während ein Vorstoß selbst eines Michael Spindelegger an den Parteistrukturen als einer Art „Hinterwelt“ gebrochen bleibt – an Strukturen, deren Eigengesetzlichkeit eine gänzlich andere ist als die nach „außen“ – an den potentiellen Wähler – transportierte Logik.

Die ÖVP hat in der Tat ein Problem, sich bzw. ihre Inhalte zu „verkaufen“, doch gerade weil sie die Inhalte aus einem Parteiinneren, in welchem sie akkordiert werden, erst an ein Äußeres bringen und also „verkaufen“ muss. Sie kann ihren Inhalt gar nicht überzeugend kommunizieren, da dieser von Beginn in Frage steht und dadurch austauschbar wird. Ist er dies, weiß die ÖVP alsbald auch nicht mehr, was sie überhaupt „verkaufen“ soll.

Die einzige Konstante, die dann noch bleibt, sind ausgerechnet die Parteistrukturen selbst. Verursacht schon die „Verkaufssituation“ eine Differenz nicht nur zum Inhalt, sondern ebenso zum Wahlvolk, muss die ÖVP nun erst recht „abgehoben“ wirken. „Konservativ“ heißt dann so viel wie „abgehoben“, auf dass die alles andere als liberale Gesamtschule in ihrem egalitären Charakter ebenso „liberal“ sei wie die Lebensgemeinschaft gegenüber der „abgehobenen“ Ehe.

So betrachtet, kann die ÖVP genausogut „liberal“ sein wie „konservativ“: Mit der seit dem Wiedereintritt in die Große Koalition gestärkten „Hinterwelt“ der Bünde, Länder und „Granden“ bleiben alle Positionierungen unscharf, gebrochen und nicht vertrauenswürdig.

Dr. Wilfried Grießer (geboren 1973 in Wien, verheiratet, drei Kinder) ist Philosoph, Erwachsenenbildner und Buchautor.

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