Drei Prozent sind zu viel, zu wenig – oder nur ein Randproblem?
26. Februar 2014 16:43
2014-02-26 16:43:52
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 2:00
Karlsruhe hebt die Dreiprozent-Hürde für die Europawahl auf. Denn das EU-Parlament sei ohnedies jetzt schon sehr zersplittert; und dort brauche es keine klaren Mehrheiten. Ein ebenso interessantes wie seltsames Urteil.
Seltsam ist schon einmal die Tatsache, dass eine Interpretation der Verfassung ganz offen von Wahlergebnissen abhängig gemacht wird. Das bedeutet eine – vorsichtig ausgedrückt – ungewöhnliche Vorstellung von Verfassung. Die Argumentation der Karlsruhe-Richter bedeutet im Umkehrschluss ja: Wäre das EU-Parlament nicht so zersplittert, wie es zweifellos ist, dann wäre die Dreiprozenthürde verfassungsrechtlich ok. So aber kann man diese abschaffen.
Zugleich sagt das deutsche Verfassungsgericht mit seiner Begründung auch indirekt: In der EU gebe es eh keine echt demokratischen Verhältnisse. Dort braucht es laut Karlsruhe ja keine Regierungsmehrheit. In Staaten schon. Das ist eine mehr als bittere, wenn auch wahre Aussage über die EU.
Der Hauptkritikpunkt, der das EU-Parlament als undemokratisch erscheinen lässt, wird freilich auch von Karlsruhe nicht ins Zentrum gerückt: Das ist die (von den EU-Verträgen so geregelte) Tatsache, dass dort Wählerstimmen total ungleich gewertet werden. Je kleiner ein Land, umso mehr Gewicht hat jeder Bürger. Bis hin zur Extremrelation 1:12, die es zwischen Malta und Deutschland gibt.
Solange dieses Ungleichgewicht nicht beseitigt ist, ist es letztlich völlig sekundär, ob in einem Land die Drei-, in einem anderen die Vier- oder Fünfprozentklausel gilt, ob da die Nullprozentregel eingeführt wird und anderswo das Mehrheitswahlrecht gilt. Aber Juristen und erst recht Politiker diskutieren halt oft lieber Randfragen, statt sich den eigentlich gravierenden Themen zu stellen. Weil man halt Angst hat, diese nicht zu derheben.
Wenig Freude mit dem Karlsruhe-Urteil werden jedenfalls die deutschen Großparteien haben. Denn nun können sie nicht mehr behaupten, dass eine Stimme für die „Alternative für Deutschland“ eine weggeworfene wäre. Freilich war ohnedies längst klar, dass diese Gruppierung mit mehreren Mandaten ins Europaparlament einziehen wird. Die Denunziationsversuche durch die Altparteien (Extremismus und so) sowie deren Bemühen, alle ungelösten Probleme bis zu den EU-Wahlen unter den Teppich zu kehren, damit das Wirken des Parlaments nur ja gut dasteht, rufen bei den meisten Wählern ohnedies nur noch ein Gähnen hervor.
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Wo ist da die Relation?
In Deutschland fällt sogar die 3%-Hürde für die EU-Wahl gänzlich weg und in Österreich bleibt sie z. B. bei 5,5%.
Wieviel ist jetzt die einzelne Stimme tatsächlich wert und wie interpretiert man Wahlen, die ein solches Ungleichgewicht aufweisen?
Richtig, eine echte Demokratie sieht anders aus und das muß jetzt auch Karlsruhe eingestehen = ein Offenbarungseid!
Wir werden von Brüssel aus längst autoritär regiert, ob da die Wahlen im Mai unter solchen Umständen etwas verändern können?
ZDF-Nachrichten 17h: Der Genosse Buchhändler-Schulz nörgelt, für sein EUdSSR-Parlament sei es hinderlich, wenn nicht mehr einheitlich (!) abgestimmt werden könne.
Schon unglaublich, wenn sich heute die EU-Bonzen nicht schämen, die DDR-Volkskammer als Beispiel zu bejubeln (nur nebenbei: Ob bei Zeitgeist-Maturant Kurz der Begriff "Volkskammer" auf Verständnis stößt?).
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Die Entscheidung von Karlsruhe hat keine Bedeutung für die anderen EU-Länder.
Außerdem muss man wissen, dass es im EU-Parlament keinen Klubzwang gibt, daher z.B. nicht unbedingt die sozialdemokratischen Abgeordneten aller Länder mit nur einer Stimme sprechen. Natürlich versucht man immer, eine gemeinsame Linie zu bekommen, aber dies geschieht erfreulicher Weise nicht immer.
Es wäre aber höchste Zeit, auch in Österreich das Wahlsystem (auch für die anderen politischen Wahlen) völlig neu zu gestalten und alle nun bekannten Schwächen auszumerzen.
Das Erkenntnis des Verfassungsgerichts in Karlsruhe bezeichne ich als mutig.
Ich verstehe aber nicht warum in Deutschland eine irrwitzig hohe Hürde in Höhe von 5% bei den Bundestagswahlen besteht! - Das sollte m.M.n. auf 3% reduziert werden.
Das Argument mit den sogenannten "weggeworfenen" bzw. "unnötigen" Stimmen (für eine Kleinstpartei) wäre viel schwächer. Und automatisch wäre der Wählerfrust auch viel weniger.
Ist es die Angst vor der NDP? Oder vor der KPD? Die Angst dass radikale antidemokratische Abgeordnete im Parlament sitzen?
Oder ist es ein Überbleibsel vom Nachkriegs-Einfluss der alliierten Siegermächte, die sehr viel im Nachkriegsdeutschland festgelegt hatten?
ÜBRIGENS:
Weiß jemand etwas Neues über die Situation beim Wiener Wahlrecht? Das ist so extrem mehrheitsverstärkend, dass die SPÖ bei cirka 44% Stimmenanteil schon die absolute Mandatsmehrheit bekommt.
Da hatten die Grünen im Wahlkampf 2010 gemeinsam mit VP und FP eine Wahlrechtsreform in Richtung mehr Gerechtigkeit bei den Wiener Wahlen versprochen. Hat jemand Informationen wie der letzte Stand beim Wiener Wahlrecht ist?
1) Das Prinzip der degressiven Proportionalität wird meist dann angewandt, wenn politische Einheiten (Mitgliedstaaten) von sehr unterschiedlicher Größe in einer einzelnen Institution integriert werden sollen. (Quelle: Wiki)
Ich finde das fair, weil damit eine adaequate Vertretung auch der Bevölkerung von Kleinstaaten im EU-Parlament gesichert ist.
2) Eine Prozentklausel finde ich hingegen unfair und undemokratisch. Wenn ein Kandidat oder eine Partei es schaffen, die für einen Parlamentssitz erforderliche Stimmenzahl zu bekommen, dann sollte es egal sein, ob damit 2,3,4,5, oder noch mehr Prozent der gesamten gültigen Stimmen erreicht werden.
Um eine totae Zersplitterung und Unregierbarkeit zu vermeiden, muss zum Ausgleich der Partei mit der relativen Mehrheit ein Abgeordnetenbonus gegeben werden.
Dieser chinesische Volkskongress weiß, was zu tun ist... und für wen. Und wenn da ein "Pfitschi-Gogerl-Aktiviist" reinkommen sollte... auch wurscht. Und wenn dieser Volkskongress dem totalen Wahnsinn anheimfällt... kommt der finstere Mälzer oder der eifrig und eilfertige Karas (der lässt dann endlich die Türken rein).
Umkehrschlüsse sind in der Mathematik gut, sonst eher nicht.
"Die Wiese ist grün" erlaubt keinen Umkehrschluß, grün ist keine Wiese.
Ich finde es hoch an der Zeit, daß gewisse Hürden bei Wahlen fallen. Die Mächtigen fichten es sich und fürchten Kontrolle. Italien und Frankreich mit vielen Kleinparteien sind allemal demokratischer wie D, Ö, USA und andere 2 Parteiensysteme.