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Kein guter Tag für Wien

Die sogenannte Volksbefragung hat mit der Ablehnung der Olympiabeteiligung eine ziemliche Ohrfeige für die Stadtbürokraten und die diesbezüglich engagierten Boulevard-Zeitungen gebracht. Das ist erfreulich. Insgesamt ist das Ergebnis aber eine Katastrophe; insgesamt haben sich die Wiener Bürger massiv selbst geschädigt. Das ist in der Demokratie freilich so zur Kenntnis zu nehmen.

Es ist vor allem zur Kenntnis zu nehmen, dass 87 Prozent der Bürger (nach dem vorliegenden Zwischenstand) dafür sind, dass die Gemeinde Wien über 80 Millionen Euro durch erhöhte Wasserpreise für sich kassieren kann. Jährlich. Das Geld kann also weiterhin ausgegeben werden für Bestechungsinserate, für Subventionen an parteinahe Vereine, für Brot und Spiele auf Donauinsel oder Ratshausplatz, für Luxusgehälter der Rathausbeamten, die ja weit über denen der Bundesbeamten liegen. Die Wiener zahlen offenbar gerne. Oder sie sind zu blöd, um den Zusammenhang zu begreifen.

Was noch deprimierender ist: Außer dem Tagebuch und zwei Ökonomen bei einer Pressekonferenz hat niemand in diesen Wochen auch nur versucht, die Stimme gegen diesen Wahnsinn zu erheben. Keine der Oppositionsparteien im Rathaus und auch keine der nicht im Rathaus sitzenden Kleinparteien hat gewagt, eine Stimmempfehlung zu geben. Da ist es jetzt allzu billig, über die Olympiaschlappe zu höhnen. Statt dessen hätten sie mutig der Gehirnwäsche der kleinformatigen Rathausmedien mit der Kronenzeitung an der Spitze entgegentreten müssen. Auch bei schlechten Gewinnchancen.

Müssen wir Wiener es wirklich hinnehmen, dass die Demokratie in dieser Stadt endgültig kaputt ist, dass niemand mehr die Wahrheit zu sagen wagt? Viele kennen sie zwar, aber sie bleiben lieber schmähstad, weil sie faul und feige sind, weil man ja am Schluss eh immer gegen die Krone verlieren wird. Finde ich denn wirklich keine Partei mehr, die ohne Rücksicht darauf, ob sie damit gewinnen kann, einfach für Wahrheit eintritt?

Die zwei tapferen Ökonomen Brezinschek und Uhl, die da mit Fakten gegen den Verstaatlichungs-Unsinn antraten, mussten den paar gekommenen Journalisten im Hinterzimmer eines Kaffeehauses sogar aus eigener Tasche den Kaffee zahlen. Nicht nur die Parteien, sondern auch Kammern, Industriellenvereinigung, Wirtschaftsbund schwiegen total. Offenbar aus lauter Opportunismus.

Dabei zeigen die nüchternen Fakten der Ökonomen glasklar, wie teuer die Wiener ein Verzicht auf Privatisierung von Wasser, Müllabfuhr oder Spitälern kommt: Sind doch seit 2001 international die Preise von öffentlichen Dienstleistungen um zehn Prozent teurer geworden als die Verbraucherpreise.

Auch die Privatspitäler können nachweisen, dass sie um 15 bis 20 Prozent billiger sind als Gemeindespitäler – selbst wenn man das AKH beiseite lässt, in dem angeblich teure Forschung betrieben wird (die ja Ärzte in Privatspitälern auch ein wenig betreiben). Dementsprechend zahlen ja die Krankenversicherungen Privatspitälern für ein und dieselbe Behandlung – von der Blinddarm-Operation auf- und abwärts – deutlich weniger als öffentlichen Spitälern. Obwohl sich die meisten Patienten in Privatspitälern besser betreut fühlen. Mit anderen Worten: Ohne Privatspitäler müssten wir weit höhere Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

Gekaufte Medien, viertelintelligente Kommunalschreiber (was man diesen aber angesichts des Niveaus ihrer ständigen Gesprächspartner nicht allzu groß zum Vorwurf machen sollte), furchtsame Oppositionsparteien, das Fehlen einer unabhängigen Bürgergesellschaft, das Fehlen unabhängiger Think tanks: Unter diesen Rahmenbedingungen kann Demokratie nicht mehr funktionieren. Und zunehmend kommt das Gefühl hoch, dass die jüngste Umfrage mit dem schallenden Ruf nach dem starken Mann vielleicht wirklich recht hat. Und wir müssen offenbar wieder einmal die Erfahrung wiederholen, dass ein solcher scheinbar starker Mann (ob Dörfler, ob Häupl, ob Pröll) schon gar nicht funktioniert.

Vom Wifo bis zum IHS gilt nicht mehr die Suche nach Fakten und Wahrheit als oberste und einzige Prämisse von Forschern, sondern das miese Prinzip: Wer zahlt schafft an – und zahlen können eben nur noch politische Machtträger (unter Verwendung unserer Steuergelder und Kammerbeiträge). Die Wirtschaft als in Deutschland oder den USA noch funktionierendes Gegengewicht zur politischen Macht hat sich mit Sozialopportunisten wie Leitl und Kapsch als Exponenten schon längst selbst kastriert. Wenn die Industriellenvereinigung zum Propagandisten der ÖBB geworden ist, braucht man eigentlich nicht mehr lange über diese Vereine nachzusinnen.

PS.: Ach ja, auch nach dem Parkpickerl wurde gefragt. Da aber das eigentlich relevante Thema nicht gefragt wurde, und da die Fragestellung so wirr ist, dass es selbst bei Rotgrün keine einheitliche Interpretation der Bedeutung dieser Frage gegeben hat, ist natürlich auch jede Interpretation des Ergebnisses sinnlos. Wer Nonsens zu interpretieren versucht, kann letztlich nur weiter Nonsens produzieren.

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