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Strasser, viele Reaktionen und einige Lehren daraus

Noch interessanter als das Urteil gegen Ernst Strasser waren die – intensiven und heftigen – Reaktionen darauf. Worüber gesprochen wurde und worüber nicht.

In keinem einzigen Kommentar, den ich gefunden habe, ist auf die gravierende politische Mitverantwortung eines Josef Pröll eingegangen worden. Dieser hat jedoch einst Strasser nicht nur zum Spitzenkandidaten gemacht (aus dem an sich nachvollziehbaren Gefühl heraus, dass Othmar Karas ein Unguided missile ist). Er hat ihm auch ausdrücklich zugestanden, weiterhin als Lobbyist tätig sein zu dürfen. Was, nicht nur im Wissen von heute, absolut irrsinnig ist.

Ganz egal, wie die Rechtslage ist: Ein Abgeordneter, noch dazu ein Spitzenkandidat, sollte niemals als politischer Interessenvertreter mietbar sein. Es ist ja schon schlimm genug, wenn lohnabhängige Gewerkschafter, Kämmerer und Sparkassen-Funktionäre gleichzeitig unabhängige Volksvertreter sein wollen. Aber bei denen weiß wenigstens von vornherein jedermann, für wen sie stehen, reden und agieren. Dennoch ist auch ihr Agieren ziemlich unerquicklich: Auch für diese Volks(?)vertreter ist mit den vertretenen Gruppeninteressen ein großes persönliches finanzielles Interesse verbunden. So wie für den Lobbyisten Strasser.

Man stelle sich nur einen Gewerkschafter vor, der zugibt, dass das gesetzliche Pensionsantrittsalter erhöht werden müsse: Der Mann hat seinen Gewerkschaftsjob samt Gage und meist auch das Parlamentsmandat die längste Zeit gehabt. Dabei empfiehlt jeder Pensionsexperte, der die Grundrechnungsarten beherrscht, dringend eine solche Erhöhung.

Was auch immer Pröll damals dazu bewogen hat, die weitere Lobbyisten-Tätigkeit Strassers zu akzeptieren: Es war ein schwerer politischer Fehler. Strasser war ja nach seiner im Krach mit Wolfgang Schüssel beendeten Innenminister-Zeit und vor seinem EU-Mandat ohne politische Funktion und hatte begonnen, seinen Lebensunterhalt als Lobbyist zu verdienen.

Freilich wäre auch bei ehemaligen Ministern eine mindestens zweijährige Abkühlphase erfreulich, in der sie nicht als bezahlte Lobbyisten ihre politisch erworbenen Netzwerke nutzen dürfen. Man denke nur an die seltsamen Klienten, die Alfred Gusenbauer vertritt. Im Interesse der Sauberkeit wäre es daher sogar besser, Ex-Ministern in dieser Zeit notfalls auch ein Gehalt zu zahlen (auch wenn ich weiß, ob dieses Vorschlags werden viele erzürnt aufheulen, aber sauberes Steuergeld ist immer besser als schmutziges Geld, das Politik beeinflusst).

Jedenfalls wird Josef Pröll für seine Strasser-Entscheidungen  kaum gescholten. Interessanterweise wird auch sein Onkel kaum kritisiert, der ja einst Strasser überhaupt erst als Spitzenpolitiker erfunden und in die Bundesregierung gepresst hatte. Obwohl Erwin Pröll gerade wahlkämpft.

Die Terminisierung des Urteils knapp vor der niederösterreichischen Wahl wirft dennoch ein etwas fragwürdiges Licht auf den Richter. Sollte man Urteile nicht besser von politischen Terminen fernhalten?

Der Richter ist jedoch statt dessen in fast allen Medien für seinen „politischen Kommentar“(!) in der Urteilsbegründung und für die saftige Strafe heftig belobigt geworden. Zwar sind so gut wie alle Strafrechtler der Meinung, dass politische Kommentare in Urteilen eigentlich nichts verloren haben. Und dass das Ausmaß der Strafe angesichts der Unbescholtenheit des Angeklagten und angesichts der Tatsache, dass kein Geld geflossen ist und dass Strassers Lobbying-Bemühungen eher stümperhaft waren, viel zu hoch ist. Und: Wenn die nie realisierte Bereitschaft, 100.000 Euro anzunehmen, vier Jahre Haft bringt, in welcher Relation wird dann die vollzogene Annahme von Millionen zu bestrafen sein (um die es ja im Fall Buwog möglicherweise bald gehen könnte)? Werden wir dann Gelddelikte strenger bestrafen als einen Mord?

Es scheint derzeit bei vielen Richtern – siehe auch die Sprüche der ersten Instanzen in den Fällen Scheuch oder Martinz – die Tendenz vorzuherrschen, nicht nach allgemeinen Rechtsprinzipien, sondern primär für die Galerie (=Medien+Stammtische) zu judizieren.

Dort wird halt umso lauter gejubelt, je häufiger und strenger die Strafen für Politiker sind. Während Politiker in früheren Epochen einen – unberechtigten – Schutz gegen Verfolgung genossen haben, ist dies jetzt ins Gegenteil gekippt. Im Gegenzug zum Verfall ihres Images ist die Lust am Politiker-Bashing gestiegen.

Das ist keine gute Entwicklung. Politiker dürfen nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt sein als Durchschnittsbürger. Nur so können Rechtsstaat und vor allem Demokratie funktionieren. Es wird ja ohnedies immer schwieriger, geeignete Kandidaten für politische Aufgaben zu finden. Und die brauchen wir, wenn wir nicht wieder einmal in die Falle eines „Starken Mannes“ gehen wollen, der mit der Politik aufzuräumen verspricht. Der aber in Wahrheit tausendmal krimineller ist als die gesamte derzeitige politische Klasse.

Wie schwierig politische Kandidatensuchen schon längst sind, sieht man derzeit in Salzburg, wo sich offenbar keine neuer Landesfinanzreferent findet. Daher könnte dort David Brenner möglicherweise noch einige Zeit im Amt bleiben. Das wäre freilich selbst dann schwer verständlich, wenn sich jetzt groteskerweise herausstellen sollte, dass es in Salzburg gar keinen Veranlagungsschaden gegeben hat. Dass man nur die Warnungen einer sich bedroht fühlenden Beamtin missverständlich aufgefasst hat.

Denn auch in diesem Fall wird die Blamage nicht kleiner: Die Salzburger Landesregierung ist jedenfalls wochenlang ahnungslos durch die eigenen Finanzzahlen getorkelt. Sie ist wochenlang nicht imstande gewesen festzustellen, wie es mit den eigenen Finanzen überhaupt aussieht. Das aber ist das Mindeste, was eine ordentliche Verwaltung können sollte.

Aber zurück zu Strasser. Der Vergleich der vier Jahre, zu denen er verdonnert worden ist, mit einem fast gleichzeitig ergangenen anderen Urteil macht das Ausmaß der Strafe besonders unverständlich: Ein Mann, der seine siebenjährige Stieftochter schwer sexuell missbraucht hat und gegenüber seiner Frau gewalttätig gewesen ist, hat nur dreieinhalb Jahre bekommen. Die Wertungsrelationen einer solchen Rechtsordnung sind für keinen Bürger mehr nachvollziehbar.

Auch das Wort von der „Generalprävention“, mit welcher der Richter sein Urteil zu begründen versucht hat, ist absurd. Generalprävention bedeutet ja die Abschreckung aller anderen, nicht das Gleiche zu tun. Die wird aber nicht durch einen vom Richter praktizierten Politikermalus hergestellt, sondern dadurch, dass allen solchen Fällen immer konsequent nachgegangen wird. Egal ob es amtierende oder frühere Regierungsmitglieder, EU-Abgeordnete oder auch „nur“ Bürgermeister sind.

Apropos amtierende Regierungsmitglieder: Die Faymann-Inserate in der Krone und anderen Blättern, für die später zur eigenen Verwunderung ÖBB und Asfinag zu zahlen hatten, sind schon lange vor den heimlich mitgefilmten Gesprächen des Ernst Strasser bekannt gewesen. Dort aber drückt sich die Justiz immer noch um eine Anklage herum. Gibt es etwa gar nur für die einen den Politikermalus?

Und mit Verlaub: Gegen Vergewaltigung braucht es etwa für die österreichische Justiz keine Generalprävention? Passiert die nicht viel häufiger? Ist die nicht für die Opfer viel dramatischer? Muss es bei uns erst so weit kommen wie derzeit in Indien, bis die Justiz aufwacht?

Noch ein letztes Mal zurück zum Strasser-Urteil: Die schwierige und spannende juristische Frage, ob seine Telefonate überhaupt den Charakter eines „Amtsgeschäfts“ hatten, wurde von den meisten Kommentatoren links liegen gelassen. Auch Juristen sind sich da absolut nicht einig, weil es um ziemliches Neuland geht.

So sehr man ja aus seinem natürlichen Rechtsgefühl heraus dagegen sein muss, dass Strassers Interventionen straffrei bleiben, so muss es doch klar sein: In einem ordentlichen Rechtsstaat dürfen insbesondere strafrechtliche Paragraphen nicht extensiv interpretiert werden. Das heißt, wenn es keine ganz konkrete Norm gegeben hat, gegen die Strasser verstoßen hat, kann er auch nicht verurteilt werden. So ärgerlich das auch wäre. Das muss auch bei jedem anderen Bürger so sein. Zumindest nach allgemeinem Sprachverständnis war aber all das, was Strasser – bekannterweise – getan hat, keineswegs ein „Amtsgeschäft“.

Nur weil es einen unsympathischen Politiker trifft, und weil Volkes Stimme ganz gegen Strasser und jeden anderen Politiker ist, sollte es kein Abgehen von ordentlichen Rechtsgrundsätzen geben. Freilich: Wenn der Oberste Gerichtshof das auch so sieht, und er Strasser letztlich freispricht (wozu aber angesichts des Mediendrucks schon etlicher Mut gehören würde), erwüchse daraus jedenfalls ein klarer Auftrag an den Gesetzgeber, an das Justizministerium und auch die professoralen Strafrechtler. Diese müssten dann sofort und genau überprüfen, ob durch die jüngsten Änderungen des Strafrechts schon jede diesbezügliche Lücke geschlossen worden ist. Damit jeder künftige Strasser auch wirklich verurteilt wird.

PS.: Mit Strassers schwachsinniger Verteidigungslinie (Geheimdienste und so) braucht man sich hingegen keine Sekunde zu befassen. Mit dieser Linie hat er sich selbst am meisten geschadet und von der entscheidenden Amtsgeschäft-Frage abgelenkt.

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