Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (10 Euro pro Monat) ist jederzeit beendbar und endet extrem flexibel einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Europa – Gibt’s das noch?

Nun hat das in der Krisen-, Schulden- und Finanzpolitik ohnedies schon schwer zerrissene Europa auch ein gravierendes außenpolitisches Problem. Die Unfähigkeit, sich auf ein gemeinsames Abstimmungsverhalten zur Frage des palästinensischen Status bei den UN einigen zu können, zeigt ein für die Zukunft verheerendes Signal: Europa ist trotz der vielbejubelten und mit Tausenden neuangestellten Diplomaten auch teuer unterfütterten „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ nicht einmal bei einer UNO-Abstimmung zu Gemeinsamkeit imstande.

Dabei hatte man einige Zeit glauben können, die dramatischen Turbulenzen aus der Zeit des Irak-Krieges wären Vergangenheit, wo sich die einzelnen EU-Länder oft völlig konträr verhalten haben. Rundum wurde nachher beteuert, so etwas würde der europäischen Politik und Diplomatie nicht wieder passieren. Dann aber kam die Libyen-Intervention, in der vor allem Frankreich und Großbritannien wieder im gemeinsamen Alleingang Großmacht- und Kanonenpolitik zu spielen versuchten, während Deutschland und etliche andere demonstrativ die Arme verschränkten.

Und jetzt das Palästina-Chaos. Dabei ging es wohlgemerkt nicht nur um eine formale UNO-Abstimmung über eine bloße Protokollfrage. Vielmehr ging es um den ganzen Nahostkonflikt. Europa hat durch seine Unfähigkeit, hier als Einheit eine gemeinsame Haltung zu finden, wieder auf viele Jahre jede außenpolitische Relevanz, jede Glaubwürdigkeit verspielt. Dies gilt insbesondere in der Nahostpolitik, aber keineswegs nur in dieser.

Das besonders Bedrückende ist, dass es hier nicht um jene Dissens-Felder gegangen ist, wo man die Widersprüche geradezu schon gewohnt ist. Weder spielte die zuletzt so dominierende Finanzkrise eine Rolle noch war eine militärische Intervention das Thema, sondern nur das scheinbar einfachere Feld der politischen Diplomatie.

Dass in der Finanz- und Wirtschaftspolitik beispielsweise die neue Weltmacht China am liebsten mit Deutschland verhandelt, während sie die Emissäre der EU sehr geringschätzig behandelt, konnte zuletzt angesichts der fundamentalen Differenzen in der EU und ihrer Schwäche niemanden mehr überraschen. Ebenso bekannt und Teil der gesamten europäischen Nachkriegsgeschichte ist, dass die einstigen Groß-, Kolonial- und Siegermächte Frankreich und Großbritannien den Finger noch immer viel schneller am militärischen Drücker haben als die nach wie vor vom Weltkriegs-Trauma belasteten Deutschen.

Die große Bedeutung des Nahen Ostens für Europa

Aber dass die 27 nicht einmal über den Nutzen oder Schaden einer Palästina-Abstimmung einen Konsens finden, ist jedenfalls eine neue und sehr negative Qualität des europäischen Dissenses.

Dabei sollten alle nahöstlichen Themen für die Europäer eigentlich einen viel höheren Stellenwert haben als für die weltpolitischen Platzhirschen USA oder Russland. Dabei liegt Europa geographisch am nächsten zum Konfliktherd. Dabei hat Europa eine historisch viel größere Kausalbeziehung zur Entstehung des Staates Israel und damit Verantwortung als jede andere Macht. Dabei ist Europa vom Öl und Gas dieser Region abhängig, Russland und die USA hingegen nicht; Russland hat ja seit jeher ausreichend Energie-Rohstoffe, und die USA befinden sich durch innovative Abbaumethoden gerade in einem historischen Rollenwechsel vom Öl- und Gas-Importeur zum Exporteur.

Alleine diese Aspekte hätten zwingend dazu führen müssen, dass die EU gemeinsam agiert. Sowohl ein gemeinsames Ja wie ein gemeinsames Nein wie eine gemeinsame Enthaltung wären besser gewesen als die chaotische Widersprüchlichkeit. Europa ist damit außenpolitisch auf lange Zeit weg vom Fenster.

Die außenpolitische Gemeinsamkeit war nie ernst gemeint

Aber im Grunde ist es kein Wunder. Die Gemeinsamkeiten in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik waren strukturell immer schon endenwollend. Das hatte sich während der letzten Jahre und Jahrzehnte in vielen Aspekten gezeigt. Die wichtigsten davon:

  • Frankreich und Großbritannien waren nie bereit, ihre Privilegien im UNO-System (Vetorecht im Sicherheitsrat!) in die EU-Gemeinsamkeit einzubringen.
  • Die außenpolitisch relevanten Führungsfunktionen in der EU sind durchwegs und bewusst mit schwachen Persönlichkeiten besetzt worden. So haben die Mitgliedsstaaten von Anfang an dafür gesorgt, dass es keine starke EU-Außenpolitik geben kann.
  • Jetzt hat man zwar einen teuren weltweiten Apparat der EU-Diplomatie aufgebaut – aber keines der Mitgliedsländer sagt: Gut, dann brauchen wir wenigstens viel weniger eigene Botschaften und Konsulate. Was eigentlich logisch wäre, nicht nur angesichts der Kosten.
  • Angesichts der Untrennbarkeit von Außen- und Sicherheitspolitik war es ein historischer Fehler, einen ursprünglich reinen Nato-Klub durch Aufnahme neutraler Staaten zu erweitern und verwässern. Wenn man die eigenen politischen Ambitionen ernst genommen hätte, hätte man die Neutralen unbedingt VOR dem Beitritt auffordern müssen, sich auch sicherheitspolitisch in die Gemeinschaft einzufügen. Oder eben auf den Beitritt zu verzichten.

Da man das aber unterlassen hat, konnte die EU in Wahrheit nur noch als Binnenmarkt für Handel, Finanzen und Dienstleistungen reüssieren (was ja ohnedies ein tolles Projekt ist). Es ist einfach absurd, währungspolitische Solidarität selbst für Schwindlerstaaten in der EU zu erzwingen, wenn man zugleich in der fundamentalen Hauptaufgabe jedes Staatswesens, eben bei der Sicherheit nach außen, völlig widersprüchliche Ideen hat.

Was wäre richtig gewesen?

Hinter dieser Divergenz verblasst in Wahrheit die Frage, welches Abstimmungsverhalten eigentlich das richtige gewesen wäre.

Am meisten hätte wohl dafür gesprochen, sich an die Seite der USA und Israels zu stellen, solange die Palästinenser nicht das volle Existenzrecht Israels anerkennen.

Die etwa von Österreich ausgestreute Argumentation, die Palästinenser hätten sich im Gegenzug für die Anerkennung als Staat mündlich zu bedingungslosen Verhandlungen bereit erklärt, findet in der wirklichen Welt keine Bestätigung. Die palästinensische Verhandlungsbereitschaft war schon in der Vergangenheit immer nur eine dubiose. Bereits zu Arafats Zeiten sind die Palästinenser letztlich stets davor zurückgeschreckt, fertig ausgehandelte Abkommen auch zu unterzeichnen, die ihnen die Anerkennung gebracht hätten.

Die Palästinenser haben ihre Lage verschlechtert

Jetzt haben die Palästinenser vor der UNO zwar einen Propagandaerfolg erzielt. Vor Ort haben sie sich damit aber viele Verschlechterungen eingehandelt: vom finanziellen Boykott durch Israel bis zum Bau Tausender neuer israelischer Wohnungen auf palästinensischem Gebiet. Diese schaden ihnen dauerhaft weit mehr, als eine UNO-Resolution nützen kann.

Freilich sind auch in Israel die Kompromisswilligen in den letzten Jahren immer unbedeutender geworden. Israel setzt auf die eigene (und die amerikanische) Stärke. Die regelmäßigen Anschläge und Raketenangriffe durch Palästinenser haben die Israelis nicht kompromisswillig, sondern noch viel härter gemacht.

Erfolgreichen Druck auf Israel, sich im Gegenzug für einen echten Frieden wirklich auf die Grenzen von 1967 zurückzuziehen und für die Stadt Jerusalem eine internationale Lösung zu finden, können daher nur die USA ausüben. Die EU in ihrem heutigen Zustand bekommt hingegen nicht einmal mehr echte Gesprächstermine. Aber zweifellos hat jeder einzelne Siedlungsbau auch für die USA die Kompromisssuche erschwert.

Genauso notwendig wäre auch massiver Druck auf die Palästinenser. Mit dem UNO-Votum hat die Welt jedoch ohne Gegenleistung ein wichtiges Instrument aus der Hand gegeben, diesen Druck auszuüben.

Denn jetzt glauben die Palästinenser, dass ihnen der damit möglicherweise geöffnete Weg zu internationalen Straf- und Völkerrechts-Gerichtshöfen etwas bringen wird. Es wird Jahre dauern, in denen die Palästinenser noch weniger friedenswillig sind als bisher, bis zumindest die klügeren Araber erkennen, dass das ein Fehler war. Denn die Israelis werden ein eventuelles Urteil von IGH oder IStGH in Den Haag nur mit einem Schulterzucken beantworten. Es gibt keine Exekutive, die solche Urteile durchsetzen könnte.

Abbas gegen die Hamas aufgewertet

Gewiss spricht auf der anderen Seite auch zumindest ein starkes Argument für die nun erfolgte Aufwertung des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas als Chef eines staatsähnlichen Gebildes: Nach dem blutigen Scharmützel rund um den Gaza-Streifen haben in den vergangenen Wochen seine radikalen Widersacher von der Hamas, die in jenem Teil Palästinas herrschen, deutlich Auftrieb verspürt. Daher glaubte man in manchen EU-Ländern wie auch in Österreich hinter vorgehaltener Hand, dass eine Unterstützung für Abbas diesen wieder ins Spiel bringen könnte. Das ist aber wohl eine Fehlglaube.

Aber was immer man glaubt: Wenn eine „Union“ nur aus lauter Widersprüchen besteht, bastelt sie selbst am eigenen Untergang. Und sie hat jedenfalls im Nahen Osten keinen Stellenwert mehr.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung