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Die spannenden Lehren der Geschichte für unser Bildungssystem

Es ist eine der spannendsten Diskussionen der internationalen Spitzenhistoriker (also leider keines einzigen österreichischen – die reduzieren ihr Interesse ja noch immer auf die Nazi-Zeit): Warum war Europa im letzten Jahrtausend so erfolgreich? Warum hat es zusammen mit seiner US-amerikanischen Ausstülpung alle arabischen, persischen, chinesischen Kulturen meilenweit überholt, obwohl diese in früheren Epochen in Sachen Technik, Wirtschaft, Sprache, Schrift oder Mathematik weit vor Europa gelegen sind? Und was können wir aus dieser Erkenntnis lernen?

Viele dieser Forscher halten vor allem zwei Faktoren für erfolgsentscheidend:  die Vielfalt Europas und seine gleichzeitige Offenheit für Ideen anderer. China, Russland, Persien, Byzanz oder das osmanische Reich wurden hingegen Jahrhunderte lang sehr zentralistisch, viel absolutistischer und häufig deutlich abgeschlossener als Europas Staaten verwaltet.

In Europa herrschte in diesem Jahrtausend überwiegend bunte Vielfalt. Man denke etwa nur an die zahlreichen Duodez-Fürstentümer des Heiligen Römischen Reiches. Vom Handel bis zum Bankwesen haben wiederum die ganz oder weitgehend unabhängigen oberitalienischen und flandrischen Städte vielfach die absolute Spitze eingenommen. Zur Spitzenstellung des Kontinents trugen auch die Vielfalt der christlichen Religionen und des Judentums bei (trotz Religionskriegen und Pogromen).

Die Europäer schauten sich immer jene Beispiele an, wo ein Land, eine Stadt etwas besonders erfolgreich gemacht hat, etwa ein neues Gesetz oder neue Erfindungen oder eine neue Marktordnung. Dieses Prinzip hat aber auch die moderne Wirtschaftswissenschaft unter dem Schlagwort „Best practice“ zur Methode gemacht. Die Nachahmung erfolgreicher Beispiele oder Konkurrenten, die Osmose neuer Ideen und die gleichzeitige Möglichkeit, dass immer irgendwo in diesem Europa irgendetwas Neues entwickelt werden konnte, erwiesen sich als weit erfolgreicher als die Entwicklung eines noch so gründlich ausgedachten Top-Down-Modells für einen Einheitsstaat.

Wenn sich ein europäischer Künstler unter einem Fürsten nicht wohlfühlte, zog er halt ohne Probleme zu einem anderen; besonders gern etwa nach Weimar oder nach Wien, wo dann so mancher Weltruhm erlangte. Ein Kolumbus pendelte so lange ungehindert zwischen der Republik Genua, zwischen den Königen von Portugal, Frankreich und Spanien, bis ihm schließlich einer seine Atlantikquerung finanzierte.

Wenn hingegen in einem großen, zentralistischen Land auch nur eine einzige Entscheidung falsch getroffen wird, gibt es keinerlei Gegengewicht, das einen Fehler austarieren konnte. Manche Staaten wie China oder Japan wurden durch einzelne Fehlentscheidungen, die dem ganzen Land von einem Herrscher aufgezwungen wurden, oft um Jahrhunderte zurückgeworfen.

Der Vorteil des freien Wettbewerbs zwischen einer bunten Vielfalt prägt aber auch heute viele Felder unseres Lebens:

Man denke etwa ans Telephon, wo früher eine einzige Monopolfirma und deren desinteressierten Beamten potentielle Kunden oft ein Jahr lang auf einen neuen – und mörderisch teuren – Anschluss warten ließ, wenn sie nicht die Protektion eines Wichtigen genossen oder kräftig geschmiert haben.

Man denke an die einstige schwer verschuldete und veraltete  Staatsindustrie, wie gut deren Betrieben und Arbeitsplätzen heute  die Freiheit, der Wettbewerb, die Vielfalt der Eigentümer tut.

Man denke an die Fortschritte an den Unis, seit dort nicht mehr ein einziger Minister alle neue Professoren bestellt, sondern die Unis das selbst tun.

Man denke an den Unterschied zwischen Ost- und Westeuropa bis 1989, als im Westen Millionen Unternehmen in freiem Wettbewerb den Bedürfnissen der Kunden mit immer neuen Ideen nachgespürt haben, während im Osten eine einzige Behörde mit einem von oben dekretierten Fünfjahresplan all diese Entscheidungen zentralisiert getroffen hat. Würden diese Planer jetzt noch amtieren, müssten die Menschen im Osten zweifellos auch heute noch neue Trabis und Wartburgs als einzige Möglichkeit eines Autos ansehen, auch wenn sie (nach Zahlung) 15 Jahre auf die Lieferung warten mussten.

Was können wir daraus für die Gegenwart und insbesondere unser Bildungssystem lernen?

Die Antwort ist klar: Dass wir die völlig falsche Schul-Debatte führen.

Diese Debatte sollte sinnvollerweise nicht mehr darum gehen, ob wir für die 10- bis 15-Jährigen nun ein oder zwei verschiedene Schulsysteme anbieten. Sondern um eine möglichst große und sich ständig neu entwickelnde Vielfalt der Ideen, Varianten und Modelle für die Bildung, Ausbildung und Erziehung in allen Altersstufen vom Kindergarten bis zur Universität.

Warum um Himmels willen sollen denn ausgerechnet in der Bildung Zentralismus und Staatsplanertum funktionieren? Warum soll es ausgerechnet in diesem Bereich richtig sein, dass eine einzige Zentrale alle AHS-Direktoren ernennt? Wem soll es nutzen, wenn die Zentrale in Wien nun sogar schon für die Kindergärten zuständig werden will? Warum begreift ausgerechnet die einst liberale Industriellenvereinigung nicht, dass auch in der Bildung die Vielfalt des Wettbewerbs überlegen ist? Warum lässt es die Öffentlichkeit der Unterrichtsministerin ohne Aufregung durchgehen, dass die Frau nun sogar die Autonomie der Universitäten einschränken will? Warum sollen ausgerechnet in der Bildung ein einheitlicher Lehrplan und ein einheitlicher Leistungsstandard über alle zwölf Schulstufen die richtige Antwort sein, obwohl die einen mit 14 Jahren noch immer nicht die Grundrechnungsarten, das Lesen und das Schreiben beherrschen, während sich andere schon zwei Jahre mit dem Pythagoräischen Lehrsatz und zwei Fremdsprachen befassen.

Dass auch in der Bildung nicht nur ein oder zwei von oben vorgegebene Modelle alleine passend sein können, haben etwa einst auch die Grünen gewusst, obwohl sie heute zu den militantesten Vorkämpfern der zwangsweisen Gemeinsamkeit über neun Schuljahre zählen. Sie hatten in den 80er Jahren eine lustige Vielfalt von Alternativschulen aufgebaut. Das gleiche Prinzip hat einst auch der von vielen Linken lange verehrte Mao Zedong gekannt, als er verlangte: Lasst Tausend Blumen blühen, was freilich erst dann unter Deng Xiaoping in Teilbereichen des chinesischen Lebens Wirklichkeit geworden ist – dafür mit umso größerem Erfolg.

Vielfalt und Wettbewerb sind natürlich primär zutiefst liberale Prinzipien. Sie lassen sich aber auch aus dem Personalitäts- und vor allem dem Subsidiaritätsprinzip der christlichen Soziallehre ableiten. Sie hängen zugleich ein wenig mit christlicher Demut zusammen: Wir sollten einfach zugeben, dass niemand von uns das für alle Kinder und für alle Regionen passende Schulmodell haben kann. Wir sollten ebenso zugeben, dass ein heute für eine bestimmte Aufgabe unter bestimmten Rahmenbedingungen passendes Modell in fünf, in zehn oder in zwanzig Jahren mit Sicherheit nicht mehr passen wird.

Der Staat hat in der Bildung nur zwei unverzichtbare Rollen: Ihm muss erstens jedes Kind finanziell gleich viel wert sein; wobei diese Gleichbehandlungspflicht bei objektivierbaren Unterschieden wie Hochbegabung, wie einer fremden Muttersprache, wie einer teuren technischen Ausbildung natürlich auch zu Zuschlägen führen kann. Und zweitens muss der Staat möglichst große Transparenz in Hinblick auf die Ergebnisse jeder einzelnen Schule herstellen, über das Können und Wissen ihrer Absolventen und deren Erfolg am weiteren Lebensweg.

Auf dieser Basis könnten endlich viele gute Ideen nebeneinander blühen, ohne dass wir uns ständig in der Bildungsdebatte mit ideologischen Totschlagargumenten wie in einem Religionskrieg den Schädel einschlagen, weil immer irgendwer missionarisch für die letzten Schulwahrheiten kämpft. Auf dieser Basis würden immer wieder neue gute Modelle entstehen, während bei manchen alten die Schüler ausbleiben würden.

Da stehen dann Schulen von Bund, Ländern oder Gemeinden in gleichberechtigtem Wettbewerb mit jenen von Vereinen, Kirchen, Lehrer-  oder Eltern-Initiativen stehen.

Da können dann Schulen mit Zugangsprüfung neben solchen mit freiem Zugang zeigen, welches Modell besser ist.

Da können dann Wirtschaftsverbände mit vielen kreativen Ideen den Weg in die duale Ausbildung (Lehre+Berufsschule) möglichst attraktiv machen.

Da wird es Schulen geben, wo man mit 15 Jahren schon jahrelang zwei oder vielleicht auch  drei Fremdsprachen lernt, neben solchen, die sich mit gezielten Methoden auf das Beheben der Defizite in bildungsarmen Elternhäusern konzentrieren.

Da werden manche Schulen zeigen wollen, dass das Lernen von Latein und Griechisch ein ideales Bildungsgerüst ist, während andere Österreichs Rolle als Musikland in den Mittelpunkt rücken, während sich die dritten ganz auf Naturwissenschaften und Technik spezialisieren.

Da werden sich Schulen trauen, im Unterricht wieder ganz bewusst ohne Computer auszukommen, während andere die Arbeit am PC sehr forcieren werden.

Da werden die einen Schulen großen Wert auf Disziplin legen, während andere bewusst antiautoritär geführt werden.

Da werden Schulen mit scheinbar altmodischem Frontal- und Lern-Unterricht neben solchen erblühen, die jede pädagogische Neuentwicklung  mit Begeisterung mitmachen.

Da werden die einen Schulen durchaus mit dem Sitzenbleiben arbeiten, andere hingegen mit einem Modulsystem und die Dritten nur mit „Motivation“ statt jeder Form von Benotung.

Da wird es Schulen geben, die auf der Mitarbeit der Eltern aufbauen, und solche, die ohne diese auskommen müssen.

Welche Schulen werden nun in diesem bunten Strauß von Varianten die beliebtesten sein? Ich weiß es nicht, habe höchstens Vermutungen. Die Eltern sollten sich jedenfalls frei entscheiden können, der Staat soll nur die Erfolge der einzelnen Schulen bei Tests mit deren Schülern messen. Und die Ergebnisse dieser Tests vor allem veröffentlichen (im Gegensatz zur jetzigen Schulministerin, die wie in einer Diktatur Testergebnisse geheimhält). Immer wieder wird es in einer freien Schulwelt auch neue Ideen geben, die sich nicht nur entwickeln dürfen, sondern es auch sollen.

Natürlich wird es auch in einer freien Schule noch viele heikle politische Fragen geben: Etwa: Wie lange kann die überschuldete Allgemeinheit in einer Zeit der Wirtschaftskrise wirklich verpflichtet werden, jungen Menschen ein fürs Berufsleben weitgehend unbrauchbares Pseudostudium zu finanzieren?

Gewiss gibt es auch noch etliche andere Fragen zu klären. Aber ich bin jedenfalls überzeugt, dass nur ein solcher Ansatz unseren Schuldiskussionen wieder eine positive Dynamik geben kann.

Denn wir brauchen Eliten, die wir schon im Schulalter ständig fordern und fördern, die schon lange vor der Schule von ihren Eltern gezielt gefördert worden sind.

Denn wir brauchen dringend mehr Anreize, damit  mehr Schüler ihren Weg Richtung Technik , Naturwissenschaft und Ökonomie gehen.

Denn wir brauchen sehr spezifische Anstrengungen für den wachsenden Anteil von bildungsfernen Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Sprachdefiziten.

Denn wir brauchen eine deutlich erhöhte Wertschätzung für das duale Schulsystem, um das uns viele Länder beneiden, das aber bei einem Erfolg des Volksbegehrens fast den Bach hinuntergegangen wäre.

Gewiss, Freiheit und Vielfalt erfordern mehr Denkanstrengung, als wenn man alles von einem allwissenden, aber in Wahrheit ach so dummen Vater Staat erwartet. Unsere Zukunft und die unserer Kinder sollten uns das aber wert sein.

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