Gott, Staat, Gottesstaat: Eine Antwort auf Romig

 Friedrich Romig hat hier am 7. November einen brillanten und geistreichen Essay veröffentlicht, mit dem er die Idee eines christlich begründeten Gottesstaates zu restaurieren versucht. Er positioniert diesen als einzig denkbare Alternative zu den zerstörerischen Folgewirkungen eines positivistischen Beliebigkeits-Staates, der Maß und Mitte verloren hätte, weil er nicht dem Heiligen verpflichtet sei. Romig wähnt sich in der Ablehnung eines wert-losen liberalen Rechtsstaates und einer ziel-losen Demokratie eines Sinnes mit dem Islam, der den Absolutheitsanspruch einer göttlichen diesseitigen Ordnung völlig zu Recht für sich in Anspruch nehmen würde. Er löste eine breite und lebhafte Diskussion aus, welche die große Sehnsucht der Christen und Konservativen nach einem wirksamen politischen Instrumentarium zur Durchsetzung ihrer lange unterdrückten Ansichten und verächtlich gemachten Anliegen zum Ausdruck bringt. Doch ist der Gottesstaat der geeignete Rahmen für die Anwendung des christlichen Gestaltungsauftrages? Christian Zeitz, ein konservativer evangelikaler Katholik klassisch-liberaler Prägung, kommt in der folgenden Analyse zu ganz gegenteiligen Ergebnissen.

Noch vor wenigen Jahren schien es manchen, als hätte die Religion als Quelle gesellschaftlicher Realität abgedankt. Inzwischen stehen Religionen und ihre Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen weltweit im Zentrum tagespolitischer Auseinandersetzungen, medialer Berichte und grundsatzphilosophischer Reflexionen. Die Folgen der Masseneinwanderung von Anhängern des Islam nach Europa und in die USA haben jedenfalls die Annahmen des Historischen Materialismus gründlich überwunden, nach denen nur ökonomische Faktoren wirklich gesellschaftlich wirkmächtig sind.

Aber die Vertreter des Islam wollen mehr als die bloße Inanspruchnahme der Religionsfreiheit. Der Islam soll zum Referenzsystem einer Rückbesinnung auf eine verbindliche göttliche Ordnung des Gemeinwesens werden. Vom Anspruch einer "radikalen Reform" der westlichen Gesellschaften spricht etwa Islam-Popstar Tariq Ramadan. Die Krise der Demokratie und Kultur des Westens scheinen dafür das ideale Unterfutter zu bilden. Und so wird der Anspruch des Islam zum Anlass für die Unterscheidung der Geister:

Einige der jahrelang in der Defensive gewesenen Christen fühlen sich ermutigt, eine gottesstaatliche Neuordnung der erodierten säkularen Spaßgesellschaft auch im Namen des Christentums einzufordern. Andere befürworten eine Reformulierung der spezifisch rechtsstaatlich-liberalen Konzeption, die unmittelbarer Ausfluss der christlichen Religion sei. Doz. Dr. Friedrich Romig verlangt den Gottesstaat und bezieht sich dabei auf das Lehramt der Katholischen Kirche.

Im Folgenden wird dieser These energisch entgegen getreten und die Restauration der christlich grundgelegten Gewaltenteilung als selbstbewusste Antithese zum Islam gefordert.

Christentum und Islam im Vergleichstest

1. Friedrich Romig tappt in die Falle all derer, die uns ein – angeblich dem allgemeinen Konsens entsprechendes – Prinzip der "Trennung von Religion und Gesellschaft" oder "Religion und Staat" unterjubeln wollen. Ein solches Prinzip ist nirgendwo abgeleitet oder dogmatisiert und ist gleichermaßen aus christlicher wie aus liberaler Sicht geradezu absurd.

Die liberale Demokratie ist ein Funktionsmechanismus, der aus sich heraus keine Wegweisung betreffend die inhaltliche Ausgestaltung von Entscheidungen und Problemlösungen enthält. Das bloß formale Regelwerk von Demokratie und Rechtsstaat bedarf der inhaltlichen Bestimmung durch Wertvorstellungen, Anliegen, Ziele.

Diese aktualisieren sich durch das Handeln von Menschen, das zwar einerseits durch Bedürfnisse und Interessen, aber andererseits ganz besonders durch Identitäten und Meinungen sowie Standpunkte bestimmt wird. Identitäten, Meinungen und Standpunkte speisen sich ihrerseits entweder aus "immanenten" Weltanschauungen – oder eben aus Religionen. Wo das Werturteil herkommt und wie es sich begründet, ist nicht Gegenstand des (demokratischen) Diskurses und geht die Entscheidungsträger des Staates ganz und gar nichts an, sofern durch die potentielle Durchsetzung eines konkreten Werturteiles das Regelwerk des rechtsstaatlichen beziehungsweise demokratischen Funktionsmechanismus nicht selbst außer Kraft gesetzt wird.

Wer die Religion (durch "Trennung" von irgendetwas) aus dem gesellschaftlichen Entscheidungsfindungs- und Gestaltungsvorgang draußen halten will, kann und muß dies ebenso für Sozialismus, Konservativismus und alle anderen Weltanschauungen verlangen, was erkennbarerweise zu absurden Ergebnissen führt. Die Trennung von Religion und Staat/Gesellschaft ist also nichts als eine versteckte Kampfansage an die Wertbegründung des Gemeinwesens, die Forderung muß mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden.

Was getrennt werden soll und in unserer Ordnung tatsächlich getrennt ist, sind "Kirche und Staat". Mandats- und Entscheidungsträger des Staates dürfen nicht gleichzeitig Amtsträger der Kirche oder einer Kultusgemeinde sein. Dies ist ein Anwendungsfall des Prinzips der Gewaltenteilung, das unmittelbar Ausdruck des katholischen Gesellschaftsverständnisses ist ("Gebt dem Kaiser, ...").

2. Die Trennung von Kirche und Staat ist die gesellschaftstheoretische Entsprechung des katholischen Verständnisses der Trennung von Gott und Natur. Letzteres hat die Naturwissenschaft möglich gemacht, ersteres die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Die christliche Religion ist nicht etwa deswegen mit dem liberalen Rechtsstaat kompatibel, weil sie durch die "Aufklärung" geläutert wurde, sondern weil der liberale Rechtsstaat ein Produkt der christlichen Religion ist.

"Aufklärung" hat es fast überall gegeben, zu manchen Zeiten sogar im Islam. Aber sie hat ausnahmslos nirgendwo zu Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Demokratie geführt, außer unter dem Einfluß des Christentums. Daß dies keineswegs immer so war und zugegebener Maßen auch heute keineswegs perfekt verwirklicht ist, mag nichts heißen.  Es sagt über die tatsächliche Beheimatung dieser Erfolgsprodukte im Christentum ebensowenig aus wie die Tatsache, daß verschiedene Formen der Polygamie und der Zwangsehe in weiten Teilen Europas im 18., ja bis ins 19. Jahrhundert trotz des oder gegen den erklärten Willen der Kirche existierten.

All das sind Fragen der kulturellen Prägung der Gesellschaft durch die Religion, die Doz. Romig zwar nominell anspricht, aber nicht adäquat beleuchtet. Die Prägung der Gesellschaft durch die Religion erfolgt nicht über politische Mechanismen, sondern über den Sickerprozeß der spontanen Ordnung individueller Handlungen, deren Träger (oft auch unbewußt) von religiösen Motiven bestimmt sind, und die auf diese Weise jeweils Spuren von religiösem Gedankengut in die Sphäre der gesellschaftlichen Realität transportieren.

 3. Daß es eine Trennung des Staates/der Gesellschaft von der Religion/der Kirche gibt und geben kann, setzt voraus, daß die zu trennenden Entitäten überhaupt als unterschiedliche Seinsbereiche wahrgenommen werden. Dies wiederum setzt voraus, daß sie auch tatsächlich und wirklich unterschiedliche Seinsbereiche sind. Das ist im Islam regelmäßig und aus konstitutiven Gründen nicht der Fall.

Die Trennung von Kirche und Staat kann es im Islam deswegen nicht geben, weil es keine Kirche gibt. Dies ist nicht etwa deswegen der Fall, weil es im Islam keine Autoritäten und keine Hierarchien geben würde (ganz im Gegenteil), sondern weil diese Teil eines unauflösbaren Systems religiös-weltlicher Macht sind. Aus demselben Grund gibt es nach islamischer Auffassung de facto auch keinen Staat (wie in vielen Quellentexten, aber auch z.B. bei Al Qaradawi nachzulesen ist). Der Begriff des Gottesstaates ist daher aus islamischer Sicht bestenfalls eine Zwischenlösung auf dem Weg zur Umma und eigentlich eine westliche Verbämung, dessen, was wir in islamischen Gesellschaftsgebilden automatisch und immer vorfinden.

4. Aus genau gegenteiligen Gründen kann es auch aus der Sicht des Christentums keinen Gottesstaat geben. Denn Christus hat keinen Staat, sondern eine Kirche gegründet. Dieser Gründungsakt fällt aus allem heraus, was vorher an gesellschaftlichen Systemen bzw. staatlichen Einrichtungen und deren religiöser Legitimation bekannt war. Das Christentum hat damit einen radikalen Bruch der Geschichte eingeleitet, dem allein dasjenige zu verdanken ist, das wir heute Freiheit nennen.

Diese Freiheit beinhaltet nicht nur die Möglichkeit, sich gegen den Staat (oder besser: gegen seine Exponenten) zu wenden, sondern auch gegen die Religion. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß wir in dieser Hinsicht stets die Kosten der Zivilisation zahlen müssen, die wir dem Christentum zu verdanken haben und dessen Früchte wir so gedankenlos konsumieren.

Das Problem ist nicht, daß jede Zivilisation ihre Kosten hat, sondern daß wir es – aufgrund politischer und anderer Deformationserscheinungen – noch nicht ausreichend gelernt haben, mit diesen Kosten adäquat umzugehen. Immerhin aber leiden wir am Mangel an "Kostenwahrheit" und "Kostenzurechnung", was eine grundsätzliche Voraussetzung der "Internalisierung" dieser Kosten wäre. Während der (christlich begründete) Westen an der Explosion der Zivilisationskosten leidet, und diese für den großen Teil der Welt trägt, ist der Islam prinzipiell nicht bereit, sich an den Kosten der Zivilisation zu beteiligen. Umso dreister aber bedient er sich der Früchte der Zivilisation: seit seinem Anbeginn durch Beutezug und Kapitalverbrauch (dies ist die Wirtschaftsethik des Islam).

5. Die Kosten der Zivilisation sind nicht zu eliminieren, indem wir den Zivilisationsfortschritt revidieren, den wir dem Christentum zu verdanken haben. Die "eine Ordnung" ist nicht mehr dadurch zu bekommen, daß wir die Orndnungsprinzipien unterschiedlicher Seinsbereiche (Kirche, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft) ineinander überführen. Dies soll natürlich nicht heißen, daß religiöse Imperative nicht als Referenzsysteme der anderen Seinsbereiche eingefordert werden sollen.

Aber eine solche Bemühung darf die Autonomie der Sachgebiete nicht aufzulösen versuchen. Daß die "Einheit von Glaube und Vernunft" ein christliches Ideal ist, heißt nicht, daß beides ident ist. Der Absolutheitsanspruch der Katholischen Kirche bezieht sich auf den Gottesbegriff, die Offenbarung und das Erlösungsversprechen.

Dieser Absolutheitsanspruch lebe hoch und möge von der Kirche mit aller Entschiedenheit verteidigt werden! Aber er bezieht sich nicht auf die Wirkungsweise des menschlichen Verdauungstraktes, die Berechnung der Stömungsgeschwindigkeit der Luft entlang der Tragflächen eines Flugzeuges oder auf die Gesetze eines Konjunkturverlaufes im Gefolge des Staatsversagens in der monetären Sphäre. Deshalb gibt es den "Gottesstaat" oder die "Gotteswirtschaft" aus katholischer Sicht nicht.

6. Alle Versuche, die Ordnung der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit unter das Primat des Sakralen zu stellen, müssen im Kosmos der Moderne in politischen Totalitarismus führen. Und wenngleich die "Moderne" natürlich jede Menge "Abgleitflächen" enthält und daher aus christlicher Sicht keineswegs die ultima ratio oder das "Ende der Geschichte" darstellt, ist ein Zurück ins "Goldene Zeitalter" keineswegs die richtige Antwort auf die vielen Verzweiflungen der Gegenwart.

Kein Ganzheitsdenker hat uns je gezeigt, wie ein "Gottesstaat" unter den Bedingungen einer "ausgedehnten Gesellschaft" bzw. den Spezifika des "verstreuten Wissens" (Hayek) in unserer globalisierten Welt tatsächlich funktionieren soll. Und noch viel weniger hat uns irgend einer derjenigen Denker, die uns – von Platon bis Leo Strauss – mit den Verheißungen einer geheiligten Ordnung beeindrucken, jemals auch nur eine Andeutung hinterlassen, die zeigt, mit welchen politischen Instrumenten und auf welchen Wegen wir von der Autobahn einer Gesellschaft freier Menschen auf den Fußweg heiliger Beschaulichkeit zurückgelangen sollen.

 7. Der Islam hat diesen Trampelpfad nie verlassen. In den meisten islamischen Gemeinwesen ist dieser "Weg zur Knechtschaft" zunehmend ein unmittelbarer Weg in die Hölle. Gemeinwesen unter dem Einfluß des Islam tendieren stets dazu, immer totalitärer, immer menschenfeindlicher, immer fortschrittsrigider und immer ungerechter zu werden.

Es ist unsere Aufgabe, die Einwurzelung dieses Keims der Unfreiheit mit allen rechtmäßigen Mitteln zu verhindern. Keineswegs dürfen wir das Prinzip des Rechtsstaates bekämpfen, indem wir uns mit jenen in den Zug setzen, die ihn immer schon zerstören wollten.

Das, was Christen am gegenwärtigen Gemeinwesen auszusetzen haben, ist in der Tat sehr viel: Der Syndikalismus der EU begünstigt die Mächtigen und Starken, anstatt den Kreativen die Chance zu geben, den Schwachen zu helfen; die Regeln des gerechten Verhaltens sind weitgehend außer Kraft gesetzt worden und das Ideal eines "government under the law" ist denkbar weit entfernt; das Parteiensystem hat sich von Sonderinteressen in Dienst nehmen lassen und hat mit einer Demokratie nichts mehr zu tun; die Tyrannei einer "neuen Moral im Dienste alter Instinkte" (political correctness) trägt dazu bei, die christlichen Tugenden auszuhöhlen, ja sogar als "unethisch" zu bekämpfen; und die Transmission der Kultur aufgrund der Umsetzung des totalitären Phantasmas der multikulturellen Gesellschaft zehrt die christliche Basis unserer Zivilisation auf und enteignet ihre Erben.

All diese Kritikpunkte sind mehr als erheblich. Sie beziehen sich aber nicht auf den Rechtsstaat und auf die Prinzipien des klassischen Liberalismus, die zu rekonstruieren und zu reetablieren Christen allen Grund haben. Demgegenüber kann der Islam mit den Grundlagen unserer Kultur prinzipiell nichts anfangen und muß den Staat, der dieser Kultur entspricht, grundsätzlich ablehnen. Die kategoriale Unfähigkeit des Islam, den – österreichischen, deutschen, etc. – Staat zu akzeptieren, ist nicht die Lösung des Problems, sondern ein Teil des Problems.

 Christentum und Islam haben nichts gemein – das gilt besonders auch in staatstheoretischer Hinsicht. Wir dürfen uns nicht dazu verleiten lassen, im Islam einen Verbündeten zu sehen, selbst dann, wenn diese Verlockung so brillant und eloquent vorgetragen wird, wie dies Doz. Romig tut. Denn der Gottesstaat ist nicht die Lösung des Dilemmas der Moderne.

 Christen haben eine eigene Utopie, die sie mit Vertretern des Islam nicht zu teilen brauchen. Sie besteht darin, den "Gottesstaat" dauerhaft zu verhindern, um dem Reich Gottes in den Handlungen der Menschen, die Jesus lieben, Raum zu geben.

Ceterum Censeo: Die Mitte der Nacht ist auch der Beginn des Morgens.

Christian Zeitz ist Betriebswirt, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Politische Ökonomie und Vorstandsmitglied des Wiener Akademikerbundes.

 

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