Warum die Österreicher wie Idioten dastehen

"ÖVP passt EVP-Wahlprogramm nicht": Diese und ähnliche Schlagzeilen konnte man letzthin lesen. Das Wahlprogramm zur Wiederwahl von Frau Von der Leyen als Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei für die Funktion einer EU-Kommissionspräsidentin enthält die Nutzung und die Förderung von Atomkraft, um die Klimaziele zu erreichen. Die ÖVP will hingegen bei Österreichs Nein zur Atomkraft bleiben. ÖVP-Generalsekretär Stocker: "Wir haben klare Positionen und eine klare Haltung als Volkspartei auch in Europa, dazu stehen wir und davon können wir auch nicht abweichen." Österreich könne der Kernenergie nicht zustimmen, "wir sind und bleiben gegen Atomkraft". Österreich wolle jedenfalls nicht, dass Atomenergie als "wesentliches Mittel zur Dekarbonisierung" anerkannt werde, so Stocker.

Da erhebt sich die Frage, wie ist dieser Widerstand gegen Atomkraft mit der Tatsache vereinbar ist, dass Österreich, trotz massivem Ausbau von Ökostromsystemen, noch immer Atomstrom importiert. Der Strom, der in Österreich verbraucht wird, stammt nach wie vor zu einem hohen Anteil aus Atomkraftwerken.

Im Jahr 2022 wurden innerhalb Österreichs rund 71,1 Terawattstunden Strom verbraucht. Dazu gehören 8,5 TWh Atomstrom. Nur um den Atomstromanteil durch Windkraft zu ersetzen, müssten 780 Windkraftanlagen mit 5 MW Leistung errichtet werden. Dazu wären fünf Jahre nötig.

Das ist eine schon fast unerträgliche Heuchelei der Regierung, die sich dem Kampf gegen Atomkraft auf die Fahnen geschrieben hat. Sie prozessiert gegen unsere Stromlieferanten, kauft aber Atomstrom ein.

Umfragen in Österreich deuten darauf hin, dass etwa 20 Prozent für Kernkraft sind. Etwa 49 Prozent waren bei der Zwentendorf-Abstimmung für Atomkraft. 40 Jahre Gehirnwäsche mit Hilfe der Medien war sehr erfolgreich. Nicht nur die grünen Ideologen sind gegen Kernkraft, auch alle anderen Parteien sind es. 

Dass es nicht möglich ist und in absehbarer Zukunft nicht möglich sein wird, den gesamten Strombedarf nur durch erneuerbare Energien zu decken, wird von vielen Experten immer wieder betont. Auch wenn Österreich gesegnet ist mit grüner Energie, vor allem Wasserkraft, ist es gezwungen, in den Wintermonaten Atomstrom zu importieren. Um auch in den Flauten autark zu sein, müssten Gaskraftwerke errichtet werden, die aber auch CO2 produzieren würden. Sie mit grünem Wasserstoff zu betreiben, den es in Österreich ja nicht gibt, bleibt bis auf weiteres ein grüner, teurer Traum der Ökoideologen.

Es ist bereits jetzt ersichtlich, dass mit jedem Bau eines Windradparks oder dem Zupflastern von wertvollem Ackerland die Preise für Strom steigen werden, nicht nur wegen des Zubaus an Wind- und Photovoltaikanlagen, sondern vor allem wegen der Notwendigkeit, diese auch zu nützen. Die Kosten für die Erneuerung und Neubau der Anlagen werden auf 30 Milliarden Euro geschätzt. Dazu ist ein massiver Ausbau der Stromnetze inklusive Umspannwerke erforderlich, die voraussichtlich zusätzlich bis zu 30 Milliarden Euro verschlingen, die vom Verbraucher zu berappen wären. Auf den Einwohner berechnet sind das satte 1250 Euro pro Jahr an zusätzlichen Kosten und Gebühren. Bis 2030. 

Ganz anders dagegen stehen die Deutschen zu Atomkraft. Eine deutliche Wende seit dem "Atomkraft Nein Danke" zeichnet sich ab. Zwei unabhängige Institute führten Umfragen durch. Bei der FORSA-Umfrage, April 2023, stimmten 68 Prozent pro Atomkraft, und in einer Umfrage durchgeführt von Clara von Civey stimmten 51 Prozent für Atomkraft.

Auch bei unserem südlichen Nachbar Italien rumort es. Vor einigen Jahren hat eine Debatte über die Wiedereinführung von Atomkraft durch Roberto Cingolani, Minister für den ökologischen Wandel in der Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi, begonnen. Cingolani ist nunmehr beratend in Energiefragen für Georgia Meloni tätig.

Der Ökonom Davide Tabarelli geht noch einen Schritt weiter und vertritt die Meinung: Wenn es einen Klimanotstand gibt, müssen wir sofort die fortschrittlichen Reaktoren der dritten Generation einsetzen und dürfen nicht auf die vierte oder fünfte Generation oder gar auf die Kernfusion warten, "die derzeit noch ein Traum ist". Er fügte hinzu, dass eine dringende Dekarbonisierungsinitiative unverzüglich eingeleitet werden sollte. 

Anders als Österreich ist auch der nördliche Nachbar Tschechien. Die neueste Energiestrategie der tschechischen Regierung sieht vor, den Anteil der Kernenergie am Strommix von einem Drittel bis 2040 auf mehr als die Hälfte zu erhöhen. Die Kohleverstromung soll dafür bis 2033 enden. Der Pro-Atom Kurs des Kabinetts trifft in der Bevölkerung und in den Medien weitgehend auf Zustimmung.

Der liberalkonservative Ministerpräsident Petr Fiala will gleich bis zu vier neue Reaktorblöcke auf einen Schlag in Auftrag geben. "Die tschechischen Haushalte, die tschechischen Bürger und die tschechischen Firmen müssen die Gewissheit haben, dass es auch in Zukunft genug Energie geben wird – und das zu akzeptablen Preisen", sagte er als Begründung seines Vorhabens. "Das ist die Grundlage unseres Wohlstands."

Ebenso setzt die Slowakei auf Kernkraft statt Kohle. Seit kurzem läuft im slowakischen AKW Mochovce der dritte Reaktor mit voller Leistung – und katapultiert das kleine Land an die Weltspitze, was den Anteil von Atomkraft am Strommix betrifft.

Für IAEA-Chef Rafael Grossi ist das eine Erfolgsgeschichte: "Dieses Kernkraftwerk ist in der Tat eines der interessantesten auf dem europäischen Kontinent. Es produziert sauber und zuverlässig Strom für die Slowakei – und ich würde sogar sagen, für Europa."

In der Slowakei steht eine große Mehrheit der Bevölkerung hinter der Atomkraft – auch wenn sich der Ausbau von Mochovce enorm verzögert und verteuert hat. Laut Wirtschaftsministerin Denisa Sakova ermöglicht der Ausbau der Atomkraft günstigere Strompreise für Privathaushalte. Areale von stillgelegten Kohlekraftwerken werden zu Solarparks umgerüstet, wo man Wasserstoff oder Tomaten produzieren will.

Ungarn will im Atomkraftwerk Paks, in dem vier Atomreaktoren laufen, zwei weitere mit Hilfe eines russischen Kredits errichten.

Auch in Slowenien gibt es einen breiten Konsens für Atomkraft. Die Regierung hat sich langfristig auf Kernkraft festlegt – mit dem Argument der Klimaneutralität. Ein zweiter Reaktorblock in Krško mit einer Leistung von 1100 MW soll errichtet werden. Dieser soll über 60 Jahre Strom erzeugen.

In der Schweiz wird Atomkraft heftig diskutiert. Eine klare Linie ist noch nicht erkenntlich. Für den Ersatz von fossilen Energieträgern benötigt die Schweiz in Zukunft viel Strom. Daher der Ruf nach neuen AKW. Gegenwärtig stammt 36,4 Prozent der inländischen Stromproduktion aus der Kernkraft. Bürgerliche Parteien fordern, dass beschlossene Laufzeiten der bestehenden Atomkraftwerke verlängert sollen und das Verbot des Baus neuer AKW gekippt werden soll. Berechnungen der ETH Zürich stellen fest, dass bis 2050 der Stromverbrauch von gegenwärtig 60 TWh auf 90 TWh steigen wird. Zur Zeit steuert Kernenergie 20 TWh bei.

Mit dem Wegfall der Kernenergie müssten rund 50 Terawattstunden zusätzlich aufgebracht werden. Mit Erneuerbaren allein ist das kaum möglich.

Klar ersichtlich ist:

  1. Österreich ist gegen Atomkraft und will nicht, dass Atomenergie als wesentliches Mittel zur Dekarbonisierung im EVP-Wahlprogramm anerkannt und gefördert wird, um die Klimaziele zu erreichen.
  2. Tschechien plant 4 neue Atomkraftwerke um 50 Prozent des Strombedarfs nuklear zu erzeugen.
  3. Die Slowakei ist die Nation mit dem höchsten Anteil nuklear erzeugter Energie im Strommix. Sie hat ihre Kohlekraftwerke schon 2023 stillgelegt.
  4. Slowenien will einen neuen Reaktor bauen.
  5. Ungarn will zu den bestehenden vier Reaktoren zwei weitere hinzufügen.
  6. In der Schweiz ist der Ausstieg aus der Atomkraft umstritten.
  7. Italien will wieder zurück in Atomkraft.
  8. In Deutschland sind mehr als 60 Prozent für den Wiedereinstieg in Atomkraft.
  9. Es scheint gegenwärtig so, dass Österreich das einzige atomfreie Land bleibt. Und doch muss es einen Teil des Strombedarfs auf viele Jahre hinaus mit Atomstrom aus anderen Ländern decken.
  10. Die Regierungsparteien wie auch die Opposition sind aus ideologischen Gründen und mangelndem Wissen geschlossen gegen Atomkraft.
  11. Die Ziele der Stromerzeugung mit nur erneuerbaren Energiesystemen für 2030 können nach gegenwärtigen Erkenntnissen nicht erreicht werden.
  12. Zurückschrauben bei Ausbau von Wind- und Solarkraft und Bau von Reaktoren würden nicht nur die Kosten für den Netzausbau gewaltig reduzieren und unsere Landschaft schonen, sondern auch größere Investitionen in Forschung ermöglichen.

Österreich scheint mit seiner Energiepolitik allein zu stehen und die Entwicklung der Energieversorgung nicht erkennen zu wollen. Wir schauen zum Schaden aller im Rest der Welt wie Idioten aus.

 

Dr. Gerhard Kirchner ist Bergingenieur und liebt die Umwelt.                                                                                                             

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