1934 – Rückblick auf einen Rückschritt

Manche haben die propagandistische Instrumentalisierung erwartet, den meisten Österreichern blieb der Anlass gleichgültig: Am 12. Februar jährte sich der Aufstand des sozialdemokratischen Republikanischen Schutzbundes von 1934 zum 90. Mal.

Wie aber in unseren Tagen die geschichtlichen Tatsachen auf den Kopf gestellt wurden, wie die rote Agitationsmaschinerie von 99 auf 100 gepuscht wurde, wie das marxistische Linzer Programm von 1926 mit kräftiger Hilfe des ORF und politisierender "Historiker" aus der politischen Modergruft in die Realität des Jahres 2024 gezerrt wurde, beweist den hoffnungslosen Versuch der SPÖ, von ihrer historischen Schuld abzulenken, den Kampf Österreichs um seine Selbständigkeit gerade in einer kritischen Phase unterlaufen zu haben.

Nebenbei demonstriert die heutige Führungsgarnitur der SPÖ damit höchst aktuell die verlorene Handschlagqualität einer einst bedeutenden politischen Bewegung.

1964, 30 Jahre nach dem tragischen Blutvergießen, als viele Angehörige der Opfer noch lebten, haben ÖVP-Bundeskanzler Dr. Alfons Gorbach und SPÖ-Vizekanzler Dr. Bruno Pittermann durch Handschlag vor dem Denkmal der Erinnerung an die mehr als 300 Toten die Konfrontationen in der Ersten Republik als Irrweg erkannt und Fehler beider Seiten eingestanden, und noch 2014 taten es Werner Faymann für die SPÖ und Martin Spindelegger für die ÖVP ihnen gleich.

Der seither eingetretene demokratische Rückschritt der SPÖ erfordert einen historischen Rückblick.

Bei den kommenden Wahlen punkten zu können, wenn man die Schuld an den blutigen Auseinandersetzungen der elf Jahre nach 1934 gegründeten ÖVP zuschiebt, wird wohl SPÖ-Illusion bleiben. Dass man mit solchen Geschichtsfälschungen letzte Reste eines Gesprächsklimas zerstört, kann nur kontraproduktiv sein. Und da braucht man nicht nur an künftige Koalitionsvarianten zu denken.

Sicher war das christlich-soziale Lager der Zwischenkriegszeit eine geistige und personelle Basis der Nachkriegs-Schwarzen. Das kann für die ÖVP aber kein Grund sein, sich und die Vorgängerpartei mit offenkundigen und beweisbaren Unwahrheiten prügeln zu lassen.

Die Situation nach dem Ersten Weltkrieg im Staat, den keiner wollte, wie der sozialdemokratische Journalist Hellmut Andics richtig schrieb, war bedrückend. Man glaubte nicht an die Lebensfähigkeit des übrig gebliebenen Achtels des Habsburger-Reiches, und es gab entgegen einer Legende weder Patrioten noch Demokraten: Die einen träumten von eines Wiedergeburt eines christkatholischen Staatsgebildes an der Donau, möglicherweise mit einem Habsburger an der Spitze, die anderen vom "Anschluss Deutschösterreichs an das Deutsche Reich als notwendigen Abschluss der nationalen Revolutionen von 1918" (Linzer Programm, Seite 25).

Hintergrund: Die Linke hielt Österreich allein für zu klein, um die Bühne für den Start der sozialistischen Weltrevolution abzugeben.

Und Demokraten gab es auf beiden Seiten erst recht nicht, zumal diese Staatsform in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ja weltweit kein herausragendes Ansehen genoss.

Unklar bleibt dem Beobachter, warum "Schwarze" ständig nach Entschuldigungen für die Niederschlagung eines blutigen Aufstands suchen. Dass die rote Privatarmee "Republikanischer Schutzbund" mit 80.000 bewaffneten Mitgliedern ihre vom oberösterreichischen Landesparteisekretär Bernaschek begonnene Revolte gegen die Regierung verloren hat, ist kein einsichtiger Grund, dass die ÖVP gegen antihistorische und antidemokratische Agitationen immer nur in Verteidigungsposition geht.

  • Den Sozialdemokraten ging es immer nur um die Staatsmacht (Linzer Programm, Seiten 7 und 8). Die Demokratie sollte das Vehikel zur Erreichung dieses Zieles sein ("Demokratie der Weg"), war aber kein Ziel, wie der Bundesvorsitzende und Wiener Bürgermeister Karl Seitz am 20. Oktober 1932 im österreichischen Nationalrat unmissverständlich klarstellte.
  • Als Möglichkeiten zur Eroberung der Staatsmacht führt das Linzer Programm (Seite 9) auch den Bürgerkrieg und Mittel der Diktatur an, und die Sozialdemokraten haben in der Ersten Republik mehrfach ihre Gewaltbereitschaft bewiesen. Und im Stalinismus hatten die damaligen Zeitgenossen ein abschreckendes europäisches Beispiel vor Augen, was "realer Sozialismus" bedeutete.
  • Im Gelöbnis der 80.000 Schutzbund-Kämpfer kommt das Wort Demokratie nirgends vor, im Linzer Programm nur in einer marxistischen Sonderform, in der es politisch Andersdenkende nicht gibt. In den Diktaturen der kommunistischen Volksdemokratien konnte man Teile des Linzer Programms erkennen.
  • Eine Kooperation einander feindlicher Klassen hielt das Linzer Programm (Seite 8) bestenfalls für "eine vorübergehende Entwicklungsphase im Klassenkampf um die Staatsmacht, aber nicht das Ziel dieses Kampfes". Hier findet sich die angeblich oft gesuchte Erklärung für die Ablehnung der von den Christlich-Sozialen 1931 und 1932 angebotenen demokratischen Zusammenarbeit durch die sozialdemokratische Parteiführung.
  • Diese hielt die Sorge der Christlich-Sozialen vor radikalen Entwicklungen, die dann leider eingetreten sind, für Schwäche. Bei einer Kooperation wäre es mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht zum Schutzbundaufstand mit seinen fatalen Folgen gekommen.
  • Denn am Morgen des 12. Februar 1934 amtierten in allen Bundesländern einschließlich Wiens und in vielen Städten und Gemeinden demokratisch gewählte sozialdemokratische Regierungsmitglieder und Bürgermeister.
  • Das Ziel des Aufstands vom 12. Februar 1934 war nichts anderes als die Übernahme der gesamten Staatsmacht. Die Historikerin Gudula Walterskirchen hält es sogar für möglich, dass sich der Schutzbund über die bekannten bestehenden Kanäle von deutschen Nazis dazu instrumentieren ließ.
  • Die zwei führenden Sozialdemokraten Kärntens (Landeshauptmannstellvertreter Zeinitzer und Klagenfurts Bürgermeister Pichler) traten am 12. Februar demonstrativ aus der Partei aus, und die Vorarlberger Landesorganisation distanzierte sich noch deutlicher von den – wörtlich – "verbrecherischen Anschlägen" in Linz.
  • Richard Bernaschek ließ am 12. Februar 1934 bei einer Waffensuche auf die reguläre Polizei schießen – anfangs gegen den Willen der Parteiführung, nachdem er Otto Bauer als "jüdischen Bremser" beschimpft hatte. Er hat den tatsächlichen "Startschuss" zu verantworten, die entscheidende Tat des zwangsläufig folgenden Blutvergießens.
  • Zu den Opfern der folgenden vier Kampftage zählten Aufständische, im Standgerichtsverfahren verurteilte Schutzbundführer, ohne irgendwelche Urteile von Schutzbündlern erschossene Polizisten, Soldaten und Regierungsanhänger und eine Reihe Unbeteiligter, die zufällig zwischen die Fronten geraten waren.
  • Mit Hilfe eines illegalen Nazis konnte Richard Bernaschek aus dem Linzer Gefängnis nach München flüchten, wo er sich an die NSDAP anzubiedern versuchte und von dieser finanziell unterstützt wurde.
  • In weiterer Folge ließ er sich am 1. Mai 1934 in Moskau feiern – zu einem Zeitpunkt, in dem Stalin und der Kommunismus bereits eine zweistellige Millionenzahl von Menschen umgebracht hatten, darunter im Jahr davor im sogenannten Holodomor fast 3 Millionen Ukrainer, die Stalin gezielt verhungern ließ, was bis heute dort nicht vergessen ist.
  • Vom berüchtigten oberösterreichischen NS-Gauleiter Eigruber wurde Bernaschek wieder eingebürgert, aber später doch von den Nazis liquidiert.
  • Zuletzt: Bei allen unleugbaren Fehlern auch der "Bürgerlichen" sind sich die objektiven Historiker heute einig, dass die Christlich-Sozialen das Modell eines Ständestaates nach Papst Leo XIII. verwirklichen wollten, das der heutige Demokratieauffassung sicher nicht entspricht, aber mit einem Austrofaschismus nichts zu tun hat (was leider auch Bundeskanzler Nehammer nicht weiß). Wo "Austrofaschismus" draufsteht, ist SP-Propaganda drinnen.
  • Die an Dollfuß begangene Kindesweglegung der ÖVP ist überhaupt nicht zu verstehen. Fünf Monate nach dem Schutzbund-Aufstand wurde Dollfuß von den Nationalsozialisten ermordet, und diese wussten, wer ihr gewichtigster Gegner war. Ein Märtyrer für Österreich.

Die Einsicht beider Seiten nach dem Zweiten Weltkrieg, dass die Verewigung des Hasses kein Rezept für die Bewältigung der Zukunft des gemeinsamen Staates sein konnte, war die entscheidende Voraussetzung für den erfolgreichen Aufstieg Österreichs nach 1945.

Vom Wähler in die Opposition verwiesen, schreitet die Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert in die Erste Republik zurück. Genährt von einem archaischen Zorn über den 1934 gescheiterten Versuch, mit Waffengewalt die Staatsmacht erobern zu können, feiert die verderbliche Politik der Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit heute traurige Urständ.

Beispielhaft sei daran erinnert, dass der niederösterreichische Vorsitzende Hergovich Taktiken wie die Drohung des Abhackens der eigenen Hand in die moderne SP-Wirklichkeit eingeführt hat und damit zwangsläufig Assoziationen mit dem Abhacken von Köpfen auslöste.

Womit die SPÖ ihren 90-jährigen Rückstand auf die Welt von heute deutlich sichtbar macht.

 

Willi Sauberer, Schüler Hugo Portischs, war ab 1961 Mitarbeiter von Alfons Gorbach, Josef Klaus und Hermann Withalm und von 1971 bis 1994 Chefredakteur einer kleinen Salzburger Tageszeitung. Der konservative Publizist schreibt vorwiegend über gesellschaftspolitische, zeithistorische und lokal-geschichtliche Themen.

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