Ärztemangel – ein hausgemachtes Problem

Der immanente Ärztemangel, auch geschuldet dem (endlich menschenwürdigen) Arbeitszeitgesetz, lässt Diensträder in den Krankenhäusern auf eine gerade noch Notfälle abdeckende Dienstmannschaft zusammenschrumpfen. In meiner Ausbildungszeit waren 15 Nachtdienste im Monat ohne Heimgehen in der Früh noch die Regel. Einen Chef, der der Ansicht war, dass man ihm eigentlich für die exklusive Ausbildung noch einen Teil des mageren Gehalts abgeben müsste und der Urlaub als Arbeitsverweigerung sah, gibt es heute gottseidank nicht mehr.

Als Kind der Babyboomergeneration war es in den 80ern und 90ern aufgrund der Ärzteschwemme kaum möglich, unmittelbar nach der Promotion eine Ausbildungsstelle zu ergattern. So arbeitete ich damals (in Zeiten eines eklatanten Mangels an Pflegepersonal) 6 Monate als Krankenpfleger, da mich das eher ansprach, denn als Taxichauffeur oder Straßenbahnfahrer die Wartezeit zu überbrücken. Über halbjährliche Karenzstellen hantelte ich mich wie fast alle Kollegen zu einem festen Ausbildungsvertrag. Als logische Konsequenz aus dieser Situation wurden Eignungstests eingeführt, die vor allem die raren Praktikumsplätze von den ewigen Hobbystudenten befreiten.

Das Pendel schlug jedoch in die andere Richtung, als der MedAt-Test (also das Aufnahmeverfahren für das Medizinstudium) zu einer kaum überwindbaren akademischen Hürde wurde. Statt mündlicher Eignungsüberprüfung mit Pflegesemester zur Feststellung der empathischen, manuellen und intellektuellen Begabungen angehender Ärzte wurde ein Multiple-Choice-Monster geschaffen, das oft nur nach mehrere tausend Euro teuren Vorbereitungskursen bestanden werden kann. Viele hochgeeignete junge Menschen verlieren durch mehrmaliges Antreten wertvolle Lebensjahre, um schließlich im Rettungsdienst oder Pflege ihrer empathischen Berufung einen Sinn zu geben. Zahlreiche medizinische Koryphäen bestätigen, dass sie diesen Test selbst nie bestanden hätten.

So erhärten auch die Statistiken der Studienabgänger meine schon lange ventilierten Befürchtungen. Ein Drittel der Absolventen geht nach dem Studium in sein europäisches Heimatland zurück oder fühlt sich dem Umgang mit Kranken doch nicht gewachsen und wechselt in die medizinische Industrie – oder ergreift andere Berufe; lediglich um die 65 Prozent bleiben unserem Land erhalten.

Erschwerend kommt die Altersverteilung hinzu, da 33 Prozent der Ärzte in den nächsten Jahren in Pension gehen. Dass 50 Prozent der Medizinabsolventen weiblich sind, ist zwar eine erfreuliche Tatsache, doch fehlen viele dann später dem Spitalsbetrieb infolge Familienplanung, einer starken Tendenz zu Teilzeitarbeit oder Abwanderung in die Praxis. Da aber vor allem chirurgische Fächer auf eine langjährige Expertise angewiesen sind, wird es hier in Zukunft zu einem extremen Mangel kommen. Unser System versucht sich mit der Anwerbung ausländischer Fachkräfte (bereits jeder 9. Arzt in Österreich) auszuhelfen, jedoch bestehen ausbildungsbedingt oft gravierende Unterschiede in der fachlichen und auch sprachlichen Kompetenz. Wo ist da die hochgepriesene europäische Solidarität, wenn diese Kollegen dann in ihren Heimatländern fehlen?

Die im Spital verbliebenen Kollegen müssen nun in verschlankten Diensträdern die, infolge der Überalterung unserer Gesellschaft und unkontrollierter Zuwanderung, steigenden Patientenzahlen im Akkord abarbeiten. Für zwischenmenschliche Interaktionen, wie Gespräche, einfach Zuhören und Mitleid, bleibt da wenig Spielraum. So überträgt sich der Frust des medizinischen Personals auch auf die Patienten, die zurecht eine Erklärung und entsprechende Behandlung ihrer Leiden erwarten. In manchen Notfallambulanzen ist der raue Umgangston unter der Belegschaft und gegenüber Hilfesuchenden schon lange trauriger Standard, wobei aber auch deren Erwartungshaltung zu später Stunde und an Wochenenden selbst für kleinste Wehwehchen nicht selten unangemessen hoch ist …

So werden an manchen Abteilungen nur noch akute Notfälle oder Krebspatienten mit hohem Risiko behandelt. Für sogenannte Routineeingriffe bei Erkrankungen, die zwar für den Betroffenen eine massive Einschränkung ihrer Lebensqualität bedeuten, aber nicht unmittelbar lebensbedrohlich sind, gibt es kaum Kapazitäten, beziehungsweise extreme Wartezeiten. Nur: Wo lernen die auszubildenden Jungärzte dann diese sogenannte Routine?  Für die Behandlung der für die Misere verantwortlichen Politiker und ihrer Günstlinge wird natürlich alles liegen und stehen gelassen, da die Besetzung leitender Funktionen und die Ausstattung mit modernsten Geräten von ihrem Wohlwollen abhängen.

So mancher, der es sich leisten kann, schließt dann eine Zusatzversicherung ab, die aber auch in hochspezialisierten Zentren infolge der eingeschränkten Kapazitäten kaum noch einen Vorteil bringt, außer man begibt sich in kleine Privatspitäler, wo zumindest die "Routine" noch beherrscht wird.

Da Evaluation und vorausschauende Planung in unserem Land bestenfalls bis zur nächsten Wahl erfolgen, und wenn, dann meistens in leeren Absichtserklärungen ihren Niederschlag finden, ist eine Verbesserung der dramatischen und zunehmend lebensbedrohlichen Entwicklungen kaum zu erwarten. Würde man die der Bevölkerung großmundig versprochenen hunderten Stellen im niedergelassenen Bereich realisieren, würden durch den Abzug der Ärzte aus den Spitälern sofort zahlreiche Diensträder und damit die derzeit ohnehin schon zunehmend rudimentäre Versorgung zusammenbrechen. Sollte das Wunder geschehen und zusätzliche Studienplätze für Ärzte geschaffen werden, sollte man bedenken, dass uns diese erst nach 12 bis 15 Jahren Ausbildung als Spezialisten zur Verfügung stehen werden. Doskozils Kollektivierungsphantasien von einem staatlichen Gesundheitssystem, bei dem die Bevölkerung in öffentlichen Gesundheitszentren von quasi beamteten Ärzten versorgt wird, die natürlich durch Zwang hochmotiviert für mäßiges Einkommen Spitzenleistungen erbringen, realisieren sich gerade dramatisch beim Zusammenbruch des staatlichen englischen National Health Service.

Wenn mich jemand nach mehr als 30 Jahren Erfahrung als Arzt in Spital und Niederlassung nach kurzfristig wirksamen Lösungen fragt, den muss ich enttäuschen. Wie auch in anderen existenziell wichtigen Belangen – öffentliche Sicherheit, wirtschaftliche Prosperität, kontrollierte Zuwanderung etc. – ist auch die umfassende Gesundheitsversorgung kurzsichtigem politischen Opportunismus zum Opfer gefallen. Wahrscheinlich sollte auch ich endlich beginnen, gesünder zu leben oder entsprechend zu sparen …

 

Dr. Georg Ludvik ist niedergelassener Facharzt für Urologie in Wien.

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