Präfaschistoide Normalität

Das Niveau des politischen Diskurses im heurigen Sommerloch war niedrig wie noch nie, was für den Nationalrats-Wahlkampf nicht Gutes erwarten lässt. Aber immerhin wissen wir jetzt, dass es für Werner Kogler "präfaschistoid" ist, wenn etwa die niederösterreichische Landeshauptfrau die Anliegen der "normal denkenden Menschen" in den Fokus rückt. Die Faschismuskeule ist ja nach wie vor ein beliebtes Totschlag-Argument, Andersdenkende zu diskriminieren und ihnen die Diskussionswürdigkeit abzusprechen.

Das ist nicht nur niederträchtig und intolerant, sondern auch dumm, weil es den tatsächlichen Faschismus und seine Verbrechen krass verharmlost. Und es zeigt von schlechten Manieren, denn entschuldigt für diese Entgleisung hat sich der Grünen-Chef natürlich auch nicht. Dafür zeigt die Causa deutlich, wie nervös die Grünen im beginnenden Wahlkampf sind, denn es dämmert ihnen, dass sie in der nächsten Regierung wohl nicht mehr vertreten sein werden. Das kann schon aggressiv machen.

Egal wann gewählt wird, die realistischen Koalitionsvarianten sind nämlich so zahlreich nicht. Der Wunschtraum des Feuilletons nach einer "Ampel" aus SPÖ, Grünen und Neos wird sich wohl rechnerisch (wieder) nicht ausgehen, da alle drei Parteien im gleichen Teich fischen. Dass SPÖ und FPÖ koalieren werden, scheint eher unwahrscheinlich. Bleibt als Fazit, dass es wohl ohne ÖVP keine Regierung geben wird.

Und da kommen durchaus unterschiedliche Erinnerungen hoch über die SPÖ/ÖVP-Regierungen von 2007 bis 2017, als die ÖVP als Juniorpartner immer wieder SPÖ-Forderungen nachgab und damit eigene Grundsätze preisgab: von der Einführung (und späteren Erhöhung) der Wertpapier-KESt ohne Spekulationsfrist bis zum sündteuren und eigentlich gescheiterten Experiment der (Neuen) Mittelschule.  

Bleibt also die Frage, mit welcher ÖVP wir es 2024 zu tun haben werden. Wenn es nach "Standard" & Co geht, dann sollte die ÖVP "mehr christlich-sozialer" sein. (Es erstaunt mich immer wieder, wie sehr gerade die professionellen Heuchler, die mit Christentum oder Religion aber schon gar nichts am Hut haben, immer wieder "gute, christlich-soziale" Ratschläge geben). Auch habe die ÖVP einen "Empathiemangel", wenn sie etwa "Klimaaktivisten" nicht sympathisch findet, und sie sollte ihr Sensorium für Randgruppen schärfen und stärker auf die Bedürfnisse etwa der LGBT-Community eingehen. Kurzum, die ÖVP soll sich – wie in den Faymann-Jahren – wieder einem bestimmten Zeitgeist anbiedern.

Wie wir alle wissen, hat das nicht funktioniert, weshalb man in der Lichtenfelsgasse wieder auf Mainstream setzt, auf die "große, schweigende Mehrheit" der "Normaldenkenden", wo "Hausverstand" (Common sense) und Leistungswille zu Hause sind.

Diese Sehnsucht nach "Normalität" unterstreichen auch zwei aktuelle Jugendstudien, wonach die Zukunftswünsche der Jugendlichen (von 16-29 Jahren) wenig randständig klingen: Leben in einem Eigenheim, vorzugsweise am Land mit Ehemann/-frau und zwei Kindern. Wichtig sind den Jungen: Gesundheit, sicherer Job, Zeit für persönliche Interessen, gute Freunde sowie gutes Verhältnis zu den Eltern. Dass 62 Prozent daran denken, sich einen "Verbrenner" (!) anzuschaffen, sollte der Politik zu denken geben.

Parteien, die auf diese "stinknormalen" Themen setzen, werden wohl so falsch nicht liegen – auch wenn das für manche "präfaschistoid" ist.

 

Dr. Herbert Kaspar ist Publizist und Kommunikationsexperte und hatte lange wichtige Funktionen im Österreichischen Cartellverband inne.

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