Die massive Korruption in der Slowakei und eine Dissertation

Der Aschbacher-Skandal überrascht zwar nicht prinzipiell, jedoch wegen seiner Unverfrorenheit. Er erinnert lebhaft an eigene Erfahrungen und Beobachtungen im slowakischen Bildungssystem mit Querverbindungen nach Österreich.

Die aktuellen Vorgänge sind bekannt: Eine Magistra hat eine wissenschaftliche Arbeit offenbar durch einen Ghostwriter verfassen lassen. Sie hat diesen Text voller Plagiatspassagen, in extrem fehlerhaftem Deutsch, das bis hin zur vollständigen Unverständlichkeit reicht und bei dem offensichtlich der Google-Translator am Werk war, ungeprüft eingereicht. Und ebenso blanko hat ein Professor das Konvolut mit der Note "Sehr Gut" abgenickt.

So geschehen bei der Dissertation, welche die Ex-Ministerin Christine Aschbacher an einer Auslandsuniversität in der Slowakei approbiert erhalten hat. Und schon vorher hat es bei der Diplomarbeit an der Fachhochschule Wiener Neustadt vor mutmaßlichen Plagiaten (Siehe auch DerStandard, AUT, Plagiatsjäger Weber) gewimmelt.

Déjà-vu als Auslandslektor in Bratislava

Seit 1992 unterrichte ich als Auslandslektor in Ungarn, Prag und Bratislava. Meine Einschätzung: Ich habe nie so ein korruptes Bildungssystem erlebt wie in der Slowakei, welches zudem von österreichischen Schulbehörden gedeckt wurde.

 Einen Korruptionsskandal an einer bilingualen Handelsakademie in Bratislava veröffentlichte ich bereits in diesem Tagebuch (inklusive Mobbingbericht am Ende des Textes): Von August 2009 - 2015 habe ich dort als österreichischer Auslandslektor gearbeitet. Aufgrund einer von mir vergebenen negativen Note an einen Eishockey-Nachwuchsspieler wurde ich einem extremen Bossing und Mobbing unterzogen (Bedrohungen gegen Leib, Leben, Besitz: Die slowakische Direktorin drohte mir allen Ernstes mit Inhaftierung in einem slowakischen Gefängnis!). Schließlich wurde die Note im Notenkatalog gefälscht, und ich wurde als Maturaprüfer abgezogen.

Ich musste mir damals privat einen Rechtsanwalt nehmen und erkrankte an einer stressbedingten Autoimmunerkrankung. Der Vorfall wurde danach auch von der EX-Ombudsfrau im Unterrichtsministerium, Susanne Wiesinger, untersucht. Trotz Übermittlung detaillierter Berichte über den Dienstweg haben die österreichischen Behörden aber bis dato nicht reagiert, außer: "Das ist eine rein schulinterne Angelegenheit." (mein damaliger Vorgesetzter im österreichischen Ministerium, N.D.)

Auf dasselbe Schweigekartell stieß auch bei österreichischen Parteien sowie den Medien (u.a. beim deutschen Investigativ-Journalisten Verseck, der aber lieber über angebliche Korruption in Ungarn berichtet). Einzig die Neos richteten (an Bundesminister Faßmann sowie den Wiener Bildungsstadtrat Czernohorsky) eine parlamentarische Anfrage, nur dieses Tagebuch veröffentlichte den Skandal.

An der inkriminierten HAK in Bratislava unterrichten weiterhin österreichische Lehrer. Die Maturanten erhalten weiterhin bilinguale Matura-Abschlüsse mit exklusiven Zugangsberechtigungen zu österreichischen Universitäten. Nach Informationen der stellvertretenden Ex-Direktorin sollen sich an der Schule österreichische Blanko-Maturzeugnisse befunden haben, bzw. befinden.

Korruption als Teil des Lebens in der Slowakei

Aschbacher hatte 2006 an der FH-Wiener Neustadt ihre offensichtlich gefakte Magisterarbeit eingereicht. Dieselbe FH requirierte unter anderem an der bilingualen HAK in Bratislava (aber auch in Prag) Nachwuchsstudenten.

Ähnliche Korruptionsfälle in der Slowakei (wie der von mir beschriebene) sollen auch im schulischen und universitären Bereich üblich sein. Ganz zu schweigen vom politischen Alltag: Etwa die Ermordung des Journalisten Kuciak (siehe auch: Demonstrationen in der Slowakei gegen Korruption).

In den 1990er Jahren hatten österreichische Lektoren an einer bilingualen Schule in BA folgenden Skandal aufgedeckt: Eine ehemalige slowakische Fachgruppenleiterin soll vom Schulleiter dazu beauftragt worden sein, einem slowakischen Maturanten (Tennis-Nachwuchsspieler) den Maturaaufsatz in Deutsch zu schreiben. Der Skandal soll dann im österreichischen Bundesministerium vertuscht worden sein.

An einer anderen Schule sollen manche Eltern in der Direktion mit höheren Geldbeträgen Vorsprache gehalten haben, um Noten abändern zu lassen. Allerdings: Die betroffene Direktorin hat solche Ansinnen aber immer abgelehnt und nie Druck auf uns Lehrer ausgeübt. In dieser Beziehung wäre sie also durchaus ein Vorbild für die Beamten im österreichischen Auslandsschulwesen. Denn in der Slowakei gibt es bezüglich Korruption nicht einmal eine Sensibilisierung: Sie wird augenzwinkernd als Teil des Lebens akzeptiert (z.B.: Geschwindigkeitsübertretungen mit "doppeltem Tachometer" werden mit Bestechungsgeldern weiter gewunken. – Eltern kommen manchmal immer noch mit Aufmerksamkeitsgeschenken zum Sprechtag. – Selbst Führerscheine soll man käuflich erwerben können).

In einer anderen bilingualen Schule in Bratislava wurden Schüler vorab die Maturthemen zugespielt. Der Skandal soll durch einen Schüler geleakt worden sein. Erst nach intensiver Intervention beim österreichischen Vorgesetzten, N.D, soll dieser die slowakische Direktion dazu angeregt haben, ein neues Maturathema aufzulegen. Resultat danach: Die österreichische Lehrperson wurde als Maturprüferinstanz abgezogen und schließlich nach Österreich zurückversetzt. Die slowakische Kollegin unterrichtete weiterhin. Immerhin zog die österreichischen Behörde nach einigen Jahren die österreichischen Lehrer (im Zuge von Sparmaßnahmen) ab.

An einer anderen slowakischen Schule soll nach Informationen im Kollegenkreis auf eine Lehrerin durch eine Mitarbeiterin des Schulamtes von Bratislava dermaßen Druck ausgeübt worden sein, dass diese schließlich die Note eines Schülers aufbesserte.

Ein geradezu absurder Vorfall wird auch aus der deutschen Schule Guatemala kolportiert: Der deutsche Auslandsschulleiter musste vor der dortigen Elternmafia durch den Dschungel nach Deutschland fliehen.

Connection FH Wiener Neustadt – Universität Bratislava

Ein böser Verdacht drängt sich auf: Hat sich an der FH-Wiener Neustadt herumgesprochen, dass man sich an der TU-Bratislava (Außenstelle Trnava) auf "billige" Art und Weise einen Doktor-Titel aneignen kann?

Auch andere ungeklärte Fragen liegen offen:

Warum studiert eine Österreicherin mit Wohnsitz in Wien (ab 2011), in Trnava (Entfernung Wien – Trnava 135 Kilometer und 1,5 bis 2 Stunden Fahrzeit), an der Fakultät für Werkstoffwissenschaften Industriemanagement?  Und reicht an einer slowakischen Uni eine deutschsprachige Dissertation zur Approbation ein? Warum nicht in Wien?

Die Universität in Trnava konnte Frau Aschbacher (neben ihren beruflichen und familiären Pflichten) wohl gar nicht (ausreichend) besucht haben. Zwischen ihrem Magister-Abschluss an der FH Wiener Neustadt (2002 – 2006, "Management-, Organisations- und Personalberatung, Marktkommunikation und Vertrieb") und dem Beginn des Doktoratstudiums in Trnava liegen immerhin fünf Jahre. Die wissenschaftliche Kongruenz zwischen beiden Universitätsstandorten ist wohl eher oberflächlich-formal.

Verfügten ihre wissenschaftlichen Betreuer (Professor Jozef Sablik, Dagmar Babcanova, Felicita Chromjakova) überhaupt über ausreichende Deutschkenntnisse? Professor Sablik jedenfalls absolvierte seine Ausbildung als kommunistischer Kader in der damaligen CSSR (Höhere Ausbildung war damals nur absolut linientreuen Kommunisten möglich). Bei der Approbation von Aschbachers Dissertation im August 2020 war Sablik immerhin um die 76 Jahre alt.

Schwer vorstellbar ist auch: Wie konnte Aschbacher neben einem ministeriellen Fulltime-job (und als dreifache Mutter) ein Dissertationsstudium (noch dazu im Ausland) stemmen? ( Juni 2012 - Dezember 2013 war sie Mitarbeiterin im Finanzministerium / 2014: Leiterin des zentralen Risikomanagements / Oktober 2014 - Mai 2015: Mitarbeiterin im Wissenschaftsministerium / Seit September 2015 Betreiberin der Agentur "Aschbacher-Advisory" / Seit 2017 Aufsichtsratsmitglied bei "Gebäude- und Baumanagement Graz".)

Ihr Dissertationsstudium begann Aschbacher im Jahre 2012 (also just zu Beginn ihrer Karriere in zwei österreichischen Ministerien). Seit 7.1.2020 war sie zudem Bundesministerin im Kabinett Kurz II. – Nur acht Monate später (August 2020) schloss sie Ihre Dissertationsprüfung ab. Aschbacher muss also bezüglich ihrer Studiumsfrist unter Zeitdruck gekommen sein (oe24).

Denn mit ihrer Abschlussarbeit hatte sie bereits 2012 begonnen, reichte diese aber erst acht Jahre später (im Mai 2020) ein. Weil ein externes Doktor-Studium in der Slowakei maximal sieben Jahre dauern kann (fünf Jahre regulär inklusive zwei Jahre Verlängerung), hat sie das Studium für zwei Jahre unterbrochen.

Auffällig auch: Ab 1.1.2021 gilt in der Slowakei ein Antiplagiats-Gesetz. Welches aber auf Aschbachers Dissertation keinen Einfluss mehr hat: In der Slowakei können betrügerisch erlangte akademische Titel nicht rückwirkend aberkannt werden. Auf alle Fälle war das Problem mit den Plagiaten im Land bekannt: Das Anti-Plagiats-Gesetz wurde zwar schon 2020 angenommen, trat aber eben erst am 1.1.2021 in Kraft. Und zwar nicht ohne Hintergedanken: 2020 wurden nämlich Premier Matovic, Parlamentspräsident Kollar und Bildungsminister Gröhling eines Plagiats überführt. 

Natürlich müssen alle diese Malversationen innerhalb der österreichischen Polit- und Wissenschaftszirkel bekannt gewesen sein.

Warum gerade die Slowakei?

Immer noch sind in der Slowakei die kommunistischen Altlasten gegenwärtig. Der junge Staat (gegründet 1993 durch Abspaltung von Prag) tut sich einfach schwer mit einer historisch-nachhaltigen Traditionslegitimität: Wurde er doch auch innerhalb der Tschechoslowakei von Prag aus verwaltet. Die Slowakei imitierte nach 1945 den absurden Modernisierungswahn des Ceausescu-Regimes: Ein ganzes Dorf, Egerau, wurde damals einer seelenlosen Retorten-Vorstadt, Ptrzalka, geopfert. Mitten durch die Altstadt von Bratislava wurde eine Autobahn gelegt, die Synagoge geschleift.

Auf fast allen Führungsposten (vor allem im Bildungsbereich) sitzen dieselben bildungslos gebliebenen, kommunistisch sozialisierten Apparatschiks, als Nachfolger der Leere, die die ethnisch-kulturellen Nachkriegs-Säuberungen hinterlassen haben: Die Vor-Trianon-Slowakei war ein multikultureller Staat, in dem die Ungarn und die Deutschen das Land als kulturelle, politische und Wirtschaftselite prägten. Deren Fehlen ist immer noch spürbar: Wer heute durch Bratislava (bis 1919 slowakisch: Prešporok, deutsch: Pressburg, ungarisch: Pozsony) spaziert, hat einerseits zwar das Gefühl, in einer österreichischen Stadt zu sein. Andererseits bemerkt er aber auch schmerzlich die fehlende national-slowakische Identität an verkommen Altstadtvierteln und verfallenden Häusern.

Aufgrund der geradezu lachhaften Bezahlung und Pensionsbezüge der Bildungslehrkräfte unterrichten diese oft bis ins Greisenalter hinein weiter. Auch das slowakische Gesundheitssystem ist in einem erbärmlichen Zustand ("Krankenhäuser wegen Ärztestreiks vor Kollaps" - rtl): In den grenznahen österreichischen Krankenhäusern (Hainburg und Kittsee) arbeiten vor allem (bestens ausgebildete und freundliche) slowakische Ärzte und Pfleger, ein Brain-Drain par excellence. Es ist ein offenes Geheimnis, dass in der Slowakei für eine Krankenhausbehandlung Geldbeträge "unter der Hand" weitergegeben werden …

Auch gehört die Slowakei zu jenen Nach-Trianon-Staaten, welche den Ungarn ihre Minderheitenrechte (neben der Ukraine und Rumänien) am meisten verweigerten. (siehe auch "100 Jahre Trianon – Das zerbrochenen Schweigen"). Erst die gegenwärtige Regierung hat diesbezüglich einen politischen Versöhnungsprozess eingeleitet.

"Zu lange haben wir im Dunkeln gelebt. Treten wir ins Licht." (Dubček)

Der berühmteste Slowake war der Reformkommunist Alexander Dubček (1921 – 1992). Seine damalige Hoffnung zur Zeit des "Prager Frühlings", von einem "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" wurde nicht erfüllt: Im August 1968 wälzten Truppen des Warschauer Pakts den Freiheitswillen der Revolutionäre nieder. 1989 organisierte er gemeinsam mit dem späteren tschechischen Staatspräsidenten Václav Havel die Samtene-Revolution.

Dubček starb 1992 an den Folgen eines mysteriösen Autounfalls. Zuvor wurde er als aussichtsreicher Kandidat für den Posten des künftigen slowakischen Staatspräsidenten gehandelt. Damals gab es Gerüchte, dass der Verkehrsunfall kein Unfall gewesen sein soll …

Dr. Elmar Forster ist Lehrer und lebt(e) seit 1992 als Auslandsösterreicher in Ungarn, Prag, Bratislava, Polen, Siebenbürgen (Rumänien). Seit 2009 unterrichtet er auch wieder an österreichischen Schulen.

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung