Wiener Tagebuch: Die Demokraten und die anderen

Corona hat  auch die ein oder andere gute  Seite. Der Wiener Wahlkampf ist diesmal weniger penetrant als die vorangegangen. Wesentlich weniger Plakate und  Dreieckständer verschandeln das Stadtbild. Trotzdem stoße ich, wenn ich mein Haus verlasse, im Umkreis von 200 Metern auf die Plakate fast aller wahlwerbenden Parteien. Besonders viel Geld dürfte die kommunistische Klein-Partei Links ausgegeben haben. Ihre textlastigen Poster sieht man im Bereich des Rochusmarktes besonders häufig.

Auf einem ist ein Wiener Bobo-Mädel abgebildet, drunter steht in stolzen Großbuchstaben: "ANNA SVEC IST LINKS". Was sonst, denke ich mir. Dafür hätte es kein Plakat gebraucht. Das sieht man ihr zehn Meter gegen den Wind an. Aber gewisse Menschen haben, wenn schon keine Botschaft, zumindest einen großen Selbstdarstellungsdrang.

Auf einem anderen Plakat der Nachwuchs-Kummerln steht: "Weil Frauen schon vor Corona unter- und unbezahlt waren" Das will die linke Anna jetzt ändern. Zumindest für sich. Viel Glück, mit einem Technikstudium kann man die Chance allerdings auf nahezu 100 Prozent erhöhen.

Besonders gut gefallen mit die NEOS-Plakate, auch wenn die grellen Pink-Farben in den Augen schmerzen. Auf einem spielt Beate Meinl-Reisinger mit dem Wiener Spitzenkandidaten Wiedehopf – oder so ähnlich –  Ping-Pong. Dabei zieht Meinl-Reisinger ein Schnoferl. Damit drückt man normalerweise Verdrossenheit, Enttäuschung, Trotz und Beleidigtsein aus. Hat sie beim Ping-Pong verloren oder was ist die politische Botschaft?  Jedenfalls kämpfen die Neos "für ein weltoffenes Wien".  Was für ein USP. Man könnte auch plakatieren: Wir fordern, was die rotgrüne Stadtregierung längst macht. Bei einer solchen Polit-Strategie ergibt plötzlich auch das Schnoferl von Meinl-Reisinger einen Sinn.

Die Grünen wollen auf ihre 80er-Retro-Plaketen wie vor jeder Wahl auf unsere Kosten die Welt retten. "Wer schafft Gerechtigkeit, wenn nicht wir", steht zu lesen und die grüne Kommunistin Birgit Hebein sitzt zwischen zwei Bauarbeitern. Ja, im Wahlkampf machen auch Grüne ganz verrückte Sachen und Stunts, etwa bei einer Expedition außerhalb ihrer Blase mit  echten Proleten auf einer Baustelle zu reden. Oder waren es  doch nur von einer Agentur gebuchte Fotomodelle?

Gut gefällt  mir auch das lila Plakat der Grünen mit dem Spruch: "Wer macht Equality, wenn nicht wir". Ein Slogan, wie aus dem Leben gegriffen. Wien ist eben multikulturell  und vielsprachig: Ey, du Opfer, mach ma Equality …  Ob Hebein das auch zu den beiden Bauarbeitern gesagt hat?

Auf den ÖVP-Plakaten ist der fesche Poster-Boy Gernot Blümel die Botschaft, auf denen der SPÖ Michael Ludwig. Weil Ludwig in diesem Bereich aber gewisse Defizite hat, haben die Rathaus-Sozialistinnen für sich und die linke Damenwelt zu Beginn des Wahlkampfs vorsorglich großflächig einen durchtrainierten Bauarbeiter im Muscle-Shirt abgebildet. Für ein paar Stimmen mehr degradiert die SPÖ den Mann zum Sexobjekt. Hauptsache Uli Sima und Co. haben ihren Spaß respektive auch nach der Wahl wieder ihren Posten. Jedenfalls haben SPÖ und Grüne im Wahlkampf den Arbeiter für sich neu entdeckt. Wenn auch nur als Sexobjekt bzw. als Depperl, das sich die geistigen Ergüsse der Frau Hebein anhören muss.

Und die FPÖ-Plakate? Haben sie wieder böse Reime draufgedruckt? Schwer zu sagen. Ich habe in meiner Umgebung noch keines gesehen, das nicht zerfetzt, heruntergerissen oder beschmiert worden wäre. Vom H.C. habe ich gar keines gesehen. Offenbar ist es in Österreich bzw. Wien wesentlich lohnender, sich in der linken Ecke des politischen Spektrums zu engagieren. SPÖ, Grüne und selbst die Klein-Partei Links konnten sich jedenfalls mehr Plakate als der H.C. leisten. Oligarchen san ma selber. Scheint das  Motto bei SPÖ und Grünen zu sein.

Interessant auch, dass die Plakate der guten politischen Kräfte , der Kämpfer für Demokratie, Toleranz  und Meinungsfreiheit, gänzlich unversehrt sind. Obwohl sie sich doch so gerne und oft als Opfer der anderen Kräfte, der Hetzer und Hasser darstellen. Während die Plakate ebendieser Hasser, Hetzer und Chauvinisten allesamt beschmiert und zerstört sind.

Vielleicht sind die Guten und ihre Mitläufer doch nicht ganz so tolerant und gut und die Bösen nicht ganz so böse und intolerant. Eine bessere Erklärung fällt mir jedenfalls nicht ein. Man stelle sich vor, es gäbe neben der Partei Links eine mit Namen Rechts, die plakatieren würde: "Herbert Schupfinger ist rechts". Wäre das schon, wenn es nach dem Wiener Rathaus und den Kämpferinnen gegen Hass und Hetze in der türkisgrünen Regierung ginge, überhaupt noch erlaubt? Wie gut, dass die Guten in Wien in der Regierung sitzen.

Das Wiener Tagebuch ist eine Kolumne, die unregelmäßig auf dieser Webseite erscheint. Die ersten 20 Texte gibt es auch in Buchform: Wiener Tagebuch – Mein Leben im roten Sumpf, Verlag Frank&Frei, 128 Seiten, € 11,90

Werner Reichel ist Autor und Journalist. Er hat zuletzt das Buch "Europa 2030 – Wie wir in zehn Jahren leben" bei Frank&Frei herausgegeben.

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