Vom antiken Quaqua zum medialen Blabla

Leto, die Göttin all dessen, was im Verborgenen geschieht, war eine der vielen Geliebten des griechischen Göttervaters Zeus. Lykische Bauern verboten ihr, bei großer Hitze aus einem Teich zu trinken. Ja, sie wühlten sogar den Schlammboden zu einem ungenießbaren Morast auf. Dafür wurden sie dortselbst in Frösche verwandelt.

Der römische Dichter Ovid schildert die Folgen in herrlicher Lautmalerei (aquá wird hier im lateinischen Versmaß ausnahmsweise auf der letzten Silbe betont): "Quámvis sínt sub aquá, sub aquá maledícere témptant ‒ Obwohl sie nun unter Wasser sind, versuchen sie unter Wasser weiter zu schmähen".

Diese über Jahrtausende aktuell gebliebene Geschichte erinnert an das anklagende Wort des Leider-nein-Politikers Christian Kern, der die Kurz-Truppe wegen des Schredderns von Festplatten im Morast stecken sah. Bis sich herausstellte, dass bei seinem Abgang Festplatten um den rund dreißigfachen Betrag geschreddert wurden, nachweislich auch aus seinem Vorzimmer und überdies auf Staats- – ist gleich Steuerzahlerkosten.

Baron Münchhausen will sich in seinen Lügengeschichten am eigenen Zopf aus dem Sumpf gezogen haben, in den er geraten war. Herrn Kern konnte dieses physikalische Wunder nicht gelingen, er steckte zu tief im Silberstein-Morast. Dabei hätte er jetzt die letzte Chance gehabt, erstmalig eine gute Nachred‘ zu bekommen, indem er die einfachste Sache der Welt ebenso einfach erklärt hätte: Dass nämlich Menschen in Top-Positionen aus verschiedenen in- und ausländischen Quellen ausschließlich für sie bestimmte Informationen erhalten, die sie nie preisgeben dürfen. Sonst würden sie solche nie wieder erhalten.

Darum geht es nämlich: Ein zusätzliches Wissen ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Führungsarbeit. Jeder bessere Vereinsobmann muss seine besonderen persönlichen Kenntnisse haben, um nichts aus dem Ruder laufen zu lassen. Wer sich als Generaldirektor, Banker oder Spitzendiplomat nicht ständig um vertrauliche Mitteilungen bemüht, die er ins (berufliche beziehungsweise politische) Grab mitnimmt, ist eine eklatante Fehlbesetzung. Das betrifft in gesteigertem Ausmaß die Politiker, voran Bundespräsidenten, Bundeskanzler und Innenminister.

Dieser Zwang zur Verschwiegenheit gilt somit auch für Kern und Kurz und Kickl, unabhängig davon, dass die Schredderungen teils ungeschickt, teils mit zwielichtigen Verrechnungsmodalitäten erfolgten.

Die nachrichtenarme Sommerzeit ist keine Ausrede, dass Medien solche Selbstverständlichkeiten zu Skandälchen aufgebauscht haben, obwohl Chefredakteure, die diesen Namen verdienen, erst recht zum Kreis der Geheimnisträger gehören und dabei noch stolz auf das geschützte Redaktionsgeheimnis pochen.

Notwendigkeiten lassen sich nicht zu Nacht-und-Nebel-Aktionen verfälschen. Die lykischen Bauern in den Zeitungen und im ORF können sich nicht auf Leto berufen, die Göttin der heimlichen Machenschaften, denn sie können nicht abstreiten, dass sie der Göttin den Trunk aus dem reinen See "Hausverstand" verwehrt haben. Sie wollten bewusst parteipolitischen Schlamm aufwühlen. Den für sie unangenehmen Ausgang konnten sie genauso wie ihre mythischen Ahnen nicht ahnen.

Der einzige Unterschied zur antiken Sage: Aus dem Medienmorast 2019 ertönt kein Frosch-Quaqua, sondern ein intellektuell gleichwertiges Agitatoren-Blabla.

Willi Sauberer, Schüler Hugo Portischs, war Mitarbeiter der ÖVP-Politiker Gorbach, Klaus und Withalm und von 1971 bis 1994 Chefredakteur einer kleinen Salzburger Tageszeitung. Der katholische Journalist publiziert zu zeitgeschichtlichen, lokalgeschichtlichen und volkskulturellen Themen.

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