Missbrauch von Nonnen, Männerpriestertum und Zölibat

Wie so viele andere war auch ich von den zahlreichen Berichten über den Missbrauch an Nonnen entsetzt, der zuletzt besonders durch die Arte-Dokumentation "Gottes missbrauchte Dienerinnen" offengelegt wurde. Entsetzt nicht deshalb, weil ich davon noch zu überraschen gewesen wäre, dass es überall dort, wo große Machtdifferenz herrscht, zu massivem Missbrauch kommt, wenn man dagegen nicht im Vorfeld bereits geeignete Präventivmaßnahmen ergriffen hat, um das Problem zumindest einzudämmen. Entsetzt war ich darüber, erneut vor Augen geführt zu bekommen, wie unfassbar menschenverachtend die Verantwortungsträger mit solchen Vergehen umgegangen sind.

a) Der Missbrauch von Nonnen

Nonnen unterliegen einer – je nach Orden (und wohl auch je nach der konkreten Leitung) unterschiedlich ausgeprägten – Machthierarchie: Einer vermuteten, geradezu heiligen Herrschaft, die dazu auserkoren ist, den Machtunterworfenen, auch durch physische Gewalt oder/und spirituellen Zwang, alles vermeintlich Böse auszutreiben, jedenfalls aber den bösen Leib zu unterjochen.

Auch der offenbar für das Böse verantwortliche eigene Wille muss genauso gebrochen werden, wie Beziehungen zu Menschen außerhalb des Ordens etc. Das alles folgt einem klaren System, ist doch nur der, der keine Rückzugsmöglichkeiten hat, dem keine Fluchtwege mehr offenstehen, wirklich hilflos, gut einzuschüchtern und ohne jede Rechtfertigung missbrauchbar. Dass Ordensobere, die selbst durch die Mühlen dieses Systems gegangen sind und deren Persönlichkeit auf diesem Weg massiv Schaden genommen hat, sich besonders dabei hervortun, das was sie zerstört hat, nun auch anderen anzutun, ist zwar zum Kotzen, aber aus vielen anderen Machtkarrieren auch bekannt.

Dass es selbst in gut aufgestellten Organisationen zu Missbrauch kommen kann, lässt sich nicht gänzlich verhindern. Allerdings haben alle diejenigen Entscheidungsträger Dreck am Stecken, die es – trotz des mittlerweile als Allgemeingut zu verstehenden Wissens um Missbrauchsdynamiken – verabsäumt haben, die ihnen anvertraute Organisationen dagegen bestmöglich zu immunisieren. Das gilt offenbar leider in besonderem Maße für große Teile der Kirche!

Darum war auch die Erkenntnis, wie sehr Nonnen dadurch – oft über Jahrzehnte – primär deshalb leiden mussten, weil ihre Oberen, die ja eine besondere Schutzfunktion ihnen gegenüber hätten, trotz des Wissens über das Bestehen solcher Übergriffe, die Hände in den Schoß gelegt haben, besonders schmerzlich.

Es ist einfach nur verwerflich, wenn Menschen in Verantwortungspositionen in solchen Fällen primär die Organisation retten wollen, dabei die Opfer bedenkenlos erneut opfern (man spricht dabei von sekundärer Viktimisierung der Opfer durch die Organisation), diese meist (hin)austreiben und gleichzeitig die Täter mit Samthandschuhen anfassen. So bekamen diese die Chance, ihre perversen Spielchen mit vielen weiteren Opfern nicht nur weiterzuführen, sondern – hin zu einer wahren Meisterschaft des Missbrauchs – immer mehr zu perfektionieren.

b) Missbrauch von Nonnen und das Problem mit Männerpriestertum und Zölibat

Immer wieder wird ins Treffen geführt, dass der epidemische Missbrauch in der katholischen Kirche – scheinbar auf allen Ebenen, also bei Weitem ja nicht nur als Kindesmissbrauch – mit der Beschränkung des Priestertums auf Männer sowie mit dem Zölibat nichts zu tun hätte. Auch auf diese Ausflüchte vermag der Missbrauch von Nonnen ein völlig neues Licht zu werfen. Eigentlich müsste man ja davon ausgehen, dass es in Frauenorden zwar zu einem lesbischen Missbrauch kommen könnte und mit Sicherheit gar nicht selten gekommen ist, das wurde von der Doku jedoch nicht beleuchtet, ist aber mit Sicherheit ein weiteres Problemfeld. Unbedarfte Geister könnten vermuten, dass Männer darin nicht involviert sein könnten, denn was hätten die in Frauenorden überhaupt verloren?

An dieser Stelle kommt sowohl das Männerpriestertum, wie auch der Zölibat ins Spiel: Da Frauen nicht zu Priestern geweiht werden dürfen, sind es natürlich auch in Frauenorden Männer, die die Sakramente spenden. Das Sakrament der Buße, also die Beichte, scheint dabei besonders missbrauchsanfällig zu sein. Eine Frau, die einem Priester in einer abgeschiedenen Zweiersituation über geraume Zeit hinweg immer wieder ihr Herz öffnet und Einblick in die intimsten Regungen, ihre Zweifel und ihr Ringen gewährt, macht sich dadurch extrem verletzlich.

Handelt es sich bei dem Priester um einen potenziellen Triebtäter, ist das für diesen eine nahezu ideale Situation, die nach Missbrauch geradezu schreit. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass diese Frau dann darüber reden sollte, weil alle (spirituellen) Einschüchterungen dies nicht auf Dauer verhindert konnten, kann sich der Priester leicht aus der Affäre ziehen und alles als Verleumdung darstellen (Zeugen gibt es ja nicht) oder er dreht den Spieß einfach um und beschuldigt das Opfer, eigentlich ihn überfallen zu haben, wogegen er sich eben gewehrt hätte.

Eine Szene in der Doku hat sich mit der Frage befasst, die an sich ja schon mehr als schockierend ist, warum denn in Afrika Priester Nonnen missbrauchen, schänden und dann Abtreibungen fordern und nicht lieber Prostituierte aufsuchen. Die Antwort, dass der Grund dafür darin liege, dass diese Priester davon ausgehen, Nonnen wären – im Unterscheid zu Prostituierten – ja nicht mit Aids infiziert, ist an Chuzpe nicht zu überbieten.

Womit wir beim Zölibat angekommen sind, denn offensichtlich ist ein enthaltsames Leben in der heutigen sexuell aufgeladenen Welt, auch für viele Priester nur mehr graue Theorie und das hohe Ideal des ehelosen Lebens oft fern jeder Realität. Durch einen nicht in der Tiefe verwurzelten und selbst entschiedenen zölibatären Weg brechen dann sehr leicht alle Dämme, mit unabsehbaren Folgen. 

Mag. Johannes Leitner ist verheiratet und Vater von sechs Kindern. Er ist Leiter eines genossenschaftlichen Revisionsverbandes und war langjähriger Leiter einer christlichen Laiengemeinschaft im Raum Wien. Er ist Mitautor des Buches "Sexueller Missbrauch in Organisationen; Erkennen-Verstehen–Handeln

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