Sind Sie ein Nazi?

"Der Österreichische Journalist" ist eine Fachzeitschrift für Journalisten. Sie erscheint sechsmal jährlich und hat laut Mediadaten eine durchschnittliche Auflage von 5.100 Stück. Während meiner Zeit im Parlament wurde ich auf dieses Journal aufmerksam. Mir gefielen die Hintergrundinformationen über eine Branche, für die es gerade im Printbereich kontinuierlich enger wird.

Die Titelseite der jüngsten Ausgabe bildet Ferdinand Wegscheider ab. Wegscheider ist Intendant von Servus TV und bekannt für seinen wöchentlichen Kommentare am Samstag um 19.25 Uhr. Linke Gutmenschen und der staatliche Oppositionsrundfunk werden von ihm regelmäßig aufs Korn genommen.

Es erscheint daher bemerkenswert, dass sich eine Fachzeitschrift diesem unangepassten Mann widmet und mit ihm ein Interview führt. Noch bemerkenswerter ist die erste Frage des Chefredakteurs Georg Taitl, die auch als Ankündigung im Inhaltsverzeichnis verwendet wird: "Sind sie ein Nazi?"

Die Nazis haben – wie jedermann weiß – Millionen Menschen umgebracht und einen Weltkrieg begonnen. Man kann die Frage also durchaus dahingehend interpretieren, ob Wegscheider ein Kriegstreiber und Judenmörder sei oder sein möchte. Höflich antwortete Wegscheider, dass er die Frage nicht verstehe.

Taitls Frage hat nichts mit Respekt oder Wertschätzung des Interviewpartners zu tun. Sie bereitet vielmehr dem, was die Erziehungsjournalisten gerne Hass und Hetze nennen, den Boden. Solche Einleitungen vergiften die Atmosphäre. Wenn Taitls Beispiel Schule macht, wird man in Zukunft Kirchenmänner zu Beginn eines Interviews fragen, ob sie Kinderschänder seien. Moslems könnte man fragen, ob sie sich als Messerstecher betätigen. Sollte Taitl seine Frage humorvoll gemeint haben, dürfte sein Humor bei anderen Menschengruppen bald enden.

Möglicherweise sollte die Frage provozieren, um den Interviewten aus der Reserve zu locken. Er könnte ja antworten: "Eher sind Sie ein Pädophiler, als dass diese Frage mit Ja beantwortet werden kann." Ein vormaliger Bundeskanzler hätte in einer vergleichbaren Situation eher ins Volle gegriffen.

Wer außer ein paar haltungsgeschädigten Journalisten ein Interview mit einem derartigen Niveau lesen soll, erscheint schleierhaft. Taitls Glück war es daher, dass Wegscheider den Ball flach gehalten hat.

Der wahre Grund für Taitls Entgleisung dürfte allerdings in einem Rechtfertigungsversuch gegenüber der eigenen Zunft liegen. Wer dem Wegscheider eine Plattform bietet, zieht das Feuer derer auf sich, die die Tugend der Haltung für sich reklamieren. Taitl glaubte daher offensichtlich über das Ziel hinausschießen und die Nazikeule schwingen zu müssen, um sich die Gnade des eigenen Biotops zu erhalten. Dabei hat er allerdings vergessen, dass auch andere Menschen als die kleine Blase von auserwählten Journalisten dieses Interview lesen könnten. Er beging einen der größten Fehler, den ein Journalist begehen kann: Er wollte seinen Kollegen gefallen.

Diese Gefallsucht offenbart den Verlust der Bodenhaftung. Besonders krass manifestierte sich diese Schwäche bei jener "Ehrung der Journalisten des Jahres", die Taitls "Der österreichische Journalist" dieser Tage organisierte und die zeitweise den Charakter eines Kindergeburtstages mit klassenkämpferischen und regierungsfeindlichen Zwischentönen annahm. Dort feierte man sich selbst und seine Preise, als ob es einen Fall Relotius nie gegeben hätte. Die Erhabenheit ging so weit, dass ein Redner behauptete, die Journalisten müssten die Demokratie vor der Mehrheit der Bevölkerung retten. Skurril mutete auch an, dass die Laudatio für den ORF als beste Redaktion der Generaldirektor des ORF selbst hielt. Dass er diese Gelegenheit nutzte, um gegen die Regierung zu sticheln und sie zur Erhaltung des Gebührenprivilegs aufzufordern, kann kaum verwundern.

Die linke Aristokratie der Meinungsmacher sieht sich zunehmend in der Defensive. Aggressiv die Angegriffenen zu spielen und der giftspritzenden Polemik freien Lauf zu lassen mag ihnen kurzfristig ein wohliges Gefühl geben. Ein solches Verhalten wird aber eher zur Beschleunigung als zur Verlangsamung ihres Schicksals beitragen.

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