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Der Fall Khashoggi ist ganz einfach

Saudi-Arabien tischt eine Lüge nach der anderen auf, auch wenn es jetzt zumindest zugegeben hat, dass der Exil-Journalist vom saudischen Geheimdienst umgebracht worden ist. Jedoch ist die Vorhersage ganz einfach: Irgendwann wird sich die Welt mit diesen Lügen abfinden (müssen).

Der Exil-Journalist und Regime-Gegner ist im Konsulat Saudi-Arabiens umgebracht worden. Nicht zufällig, sondern geplant und absichtlich. Man schickt nicht 15 Mann in die Türkei, um eine normale Diskussion mit einem Dissidenten zu führen. Viel spricht auch dafür, dass Khashoggi zuvor gefoltert worden ist. Schon die Tatsache, dass die Saudis erst jetzt nach zwei Wochen(!) seine Ermordung zugeben – die aber angeblich ohne Wissen der Staatsspitze erfolgt sei –, zeigt, dass ihnen kein Wort zu glauben ist. Sie haben nur solange gebraucht, um wenigstens irgendeine Story erzählen zu können. Und das spurlose Verschwinden der Leiche deutet massiv darauf hin, dass die allerschlimmsten Hinweise über seine letzten Lebensstunden stimmen dürften.

Wer da nicht zutiefst empört ist, muss wohl total empathielos sein. Aber freilich: Auch wer menschlich reagiert, also empört ist, ist letztlich total machtlos. Die Welt wird auch dieses Verbrechen letztlich schlucken, schlucken müssen.

So wie die Verbrechen vieler Staaten. So wie die ebenfalls im Ausland begangenen Giftmorde Russlands. So wie die gegen jedes Völkerrecht verstoßende Expansion Chinas, das künstliche Inseln mitten im Ozean errichtet und daraus gewaltige territoriale Ansprüche ableitet. So wie die militärischen Aggressionen Irans, dessen Truppen gleich mehrere Länder bedrohen. So wie den nackten Imperialismus Russlands von Transnistrien bis zur Ostukraine.

Und das ist nur eine kleine Auswahl der Verbrechen von Staaten außerhalb ihrer Staatsgrenzen. Dazu müsste noch eine weit größere – freilich oft auf ewig im Dunkel bleibenden – Liste von Untaten gezählt werden, die Staatsapparate an der ihnen im eigenen Land ausgesetzten Bevölkerung begangen haben. Abermillionen von Menschen wurden und werden von der über sie herrschenden Staatsmacht zu Unrecht verfolgt, eingesperrt, gefoltert, umgebracht, oft nur wegen einer falschen Meinung.

Nur besonders naive – oder bösartige – Menschen schieben immer alles den USA in die Schuhe, weil diese in all diesen Fällen untätig geblieben sind. Sie glauben noch immer, dass das nur relativ mächtigste Land der Erde ständig den globalen Weltpolizisten spielen kann (sind dann aber immer schnell dazu bereit, böse zu sein, wenn es die USA einmal wirklich tun). Den ewigen Weltpolizisten schaffen die USA aber weder vor noch unter Trump. Unter Trump geben sie nur nicht einmal mehr vor, Weltpolizist sein zu wollen.

Gewiss: Die europäischen und nordamerikanischen Demokratien und auch viele andere Staaten in allen Kontinenten sind Rechtsstaaten, in denen es sich halbwegs sicher und frei leben lässt. Aber selbst in Europa passieren von Malta bis zur Slowakei schlimme und nie wirklich geklärte politische Morde. Und selbst in Österreich sind in vergangenen Jahren etliche Verbrechen durch mittelasiatische Diktaturen passiert, die nie ganz aufgeklärt worden sind. Die man einfach verdrängt hat. Im Gegenteil: Wenn der Verfassungsschutz völlig zu Recht Akten aufbewahrt, die ihm zugespielt worden sind und die zumindest einige Hinweise auf die Untaten mittelasiatischer Diktaturen auf österreichischem   Boden geben dürften, verlangen rein formaljuristisch denkende Gerichte und die Staatsanwaltschaft mit großangelegten Hausdurchsuchungen deren Vernichtung.

Also ist nur Verzweiflung und Depression am Platz? Nein, aber Nüchternheit, das Bewusstsein der Relationen und ein ständiger unverdrossener Sisyphos-Kampf gegen Unrecht und Faustrecht.

Dieser Kampf endet oft mit Niederlagen. Aber er ist nicht sinnlos. So absurd es klingt: Es ist eindeutig ein Fortschritt, wenn auch ein kleiner, dass Saudi-Arabien jetzt zumindest den Eindruck zu erwecken versucht, dass die Mörder Khashoggis streng bestraft würden. Natürlich wird das Land die wahren Auftraggeber der Mörder nicht zur Rechenschaft ziehen. Aber man signalisiert zumindest der Außenwelt, dass Morde nicht konsequenzenlos bleiben. Die Morde und Mordversuche des russischen Geheimdienstes haben bisher hingegen nicht einmal zu diesen Folgen geführt.

Dieser kleine Fortschritt, den man in der nunmehr schuldbewussten Reaktion Saudi-Arabiens sehen kann, ist jedenfalls und mit Sicherheit eine Folge dessen, dass die Welt nicht gleichgültig geblieben ist, sondern sich empört hat.

Das Traurige ist freilich, dass gerade Saudi-Arabien einer der ganz, ganz wenigen Staaten der islamischen Welt gewesen ist, von dem es trotz der abscheulichen Kriegsführung in Jemen doch auch etliche positive Entwicklungen zu berichten gibt. Das Land hat in den letzten Jahren die Unterstützung für den "Islamischen Staat", für Al-Kaida und andere besonders arge islamistische Verbrecherbanden gestoppt, die vorher eindeutig von einem Teil der Königsfamilie ausgegangen ist. Es hat zumindest einige Erleichterungen für die lange mittelalterlich behandelten Frauen gegeben. Es hat den Terror mittelalterlicher Imame etwas gemildert. Saudi-Arabien hat zuletzt auch im Syrienkrieg eine eher positive Rolle gespielt. Es hat überdies einen vorsichtigen Geheimdialog mit Israel aufgenommen, was zusammen mit dem Verhalten Ägyptens die Gefahr eines neuen Nahostkrieges deutlich reduziert hat. Und es ist last not least jene Macht, die am effektivsten Iran im Zaun hält – und Iran ist immerhin jenes Land, das so offen und direkt wie kein anderes gedroht hat, einen anderen Staat zu vernichten; also Israel.

Die zivilisierte Welt sollte jetzt ganz klare Zeichen setzen, dass das ganz, ganz böse war, was Saudi-Arabien getan hat. Aber sie sollte keinesfalls das Land in die totale Isolation treiben. Man sollte ihm immer die Option geben, durch künftig korrektes Verhalten langsam wieder akzeptabel zu werden.

Etwa das Verhalten der Türkei ist noch viel schlimmer. Sie bringt immer wieder Kurden um, im In- und Ausland. Sie nimmt aus der Paranoia des Herrn Erdogan heraus Menschen willkürlichst gefangen, nicht nur Zehntausende Türken, sondern auch Ausländer. Mit unabhängiger Justiz hat das überhaupt nichts zu tun, wie manche – auch die österreichische Diplomatie – glauben machen. Das hat man spätestens zu jenem Zeitpunkt gesehen, als die Türkei unter Druck der USA einen amerikanischen Pastor freilassen musste. Da sind nämlich in einem Scheinverfahren plötzlich alle Belastungszeugen gegen den Pastor umgefallen. Dort ist also nichts echt, keine Spur von unabhängiger Justiz. Ausländische Gefangene sind reine Geiseln.

Jeder gerechte Maßstab muss bedeuten: Was auch immer man gegen Saudi-Arabien jetzt als "Strafe" verhängt, muss dann auch gegen viele andere Länder zur Anwendung kommen. Wie weit steht die demokratische Welt das durch?

Die verteidigt halt lieber den Rechtsstaat dadurch, dass sie das Pensionierungsalter der polnischen Richter zum zentralen Verbrechen macht ...

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