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Und das will eine liberale Partei sein

Jene Partei, die in den vergangenen Stunden am lautesten über den Besuch des ungarischen Premiers Viktor Orban in Österreich geschimpft hat, sind ausgerechnet die Neos. Offenbar hat die Partei des Bäume-Umarmers Strolz keine Ahnung von Ungarn. Oder aber sie ist das Gegenteil dessen, was man zumindest in Europa als liberal versteht.

Es macht jedenfalls fassungslos, wenn Matthias Strolz in Hinblick auf den Orban-Besuch zur Regierung sagt: "Suchen Sie sich Ihre Freunde besser aus zum Wohle unseres Landes. Was Sie hier zum Vorbild haben, das macht große Sorgen." Strolz sollte sich jedoch weniger Sorgen machen, sondern eher in lauten Jubel und Ekstase ausbrechen, würde sich Österreich Ungarn wirklich zum Vorbild nehmen. Wäre er ein Liberaler.

Denn Orban hat vor einigen Jahren genau das eingeführt, was der Inbegriff jeder liberalen Wirtschaftspolitik ist, ja überhaupt der liberalen Politik ist – wovon in Österreich liberale Ökonomen aber leider auch künftig nur träumen können: eine echte Flat tax!

In Ungarn beträgt die Lohn- und Einkommensteuer einheitlich nur 16 Prozent. In Österreich ist die Steuer auf Löhne und Einkommen hingegen progressiv, wird also mit steigendem Einkommen immer höher. Durch die letzte rot-schwarze Steuerreform ist sie hier nun sogar auf einen Grenzsteuersatz von 55 – ausgeschrieben: fünfundfünfzig! – Prozent hinaufgetrieben worden. Der Grenzsteuersatz ist also hierzulande weit mehr als dreimal so hoch wie rund um den Plattensee.

Dazu kommen weitere Schlaraffenland-Meldungen für jeden, der von Wirtschaft etwas versteht:

  • Unternehmer zahlen in Ungarn nur 9 Prozent Körperschaftssteuer (in Österreich 25).
  • Dazu kommt, dass in Ungarn die Last der Regulierungen und Vorschriften, aber auch die Infrastrukturkosten deutlich niedriger sind als in Österreich.
  • Die jungen Ungarn sind bestens ausgebildet, hungriger und einsatzfreudiger als die meisten jungen Österreicher.
  • Die Lohnnebenkosten für Arbeitgeber sind in Ungarn vor etlichen Jahren auf 22 Prozent reduziert worden. In Österreich liegen sie hingegen bei 26 Prozent (wiederum nicht nur über Ungarn, sondern auch über dem EU-Schnitt).

Daraus folgt nun die Denksportaufgabe für Strolz: Wo glaubt er, werden Unternehmer zunehmend ihre Investitionen hinlenken? Wo ist heute schon die Arbeitslosigkeit niedriger als in Österreich?

Aber offenbar sind diese Fragen für Strolz zu schwierig. Sonst hätte er gegen Orban nicht gestänkert, sondern laut über ihn gejubelt.

Oder stört Strolz etwa, dass Orban bei seinem Wien-Besuch auch dem Wiener Kardinal seine Aufwartung gemacht hat? Gehört er etwa zu den Uraltliberalen mit dem Denkhorizont des 19. Jahrhunderts, als der Kampf gegen alles Christliche noch zum Wesen des damaligen Liberalismus gehört hat (was damals übrigens gute Gründe hatte, aber diese darzustellen würde hier zu weit führen)?

Oder stört Strolz an Orban noch immer, dass dieser die Grenzen für illegale Migranten am Beginn der Völkerwanderung dicht gemacht hat? Darauf deutet zumindest Etliches hin, haben sich doch die Neos mehrmals sehr migrationsfreundlich positioniert. Nur muss Strolz dann klar sein: Damit hat er sich noch im zweiten politischen Zentralthema weit links und außerhalb des europäischen Liberalismus positioniert, der in den letzten beiden Jahren sehr migrationskritisch geworden ist! Wie einige Beispiele zeigen.

  • So definiert die Schweizer FDP, eine typisch freisinnige Partei, ihre Haltung zur Migration mit "hart, aber fair" und mit folgenden Aufgaben, die auch die Österreicher Kurz oder Strache so formuliert haben könnten: "Sozialtourismus bekämpfen, die Einwanderung aus Drittstaaten beschränken und Missstände im Asylbereich beheben".
  • Der liberale niederländische Premier Rutte hat nicht nur Bundeskanzler Kurz demonstrativ als erster Regierungschef besucht (Orban war entgegen ORF-Falschmeldungen erst der zweite), sondern auch ganz klar gesagt: "Ich verstehe, warum manche Leute denken: 'Wenn man dieses Land so fundamental zurückweist, wäre es mir lieber, dass sie gehen.'" Und dann noch deutlicher: "Jeder, der Probleme mit Hollands Bräuchen hat, soll gehen."
  • Auch die deutsche FDP hat bei den (gescheiterten) Koalitionsgesprächen gerade in Sachen "Flüchtlinge" eine klare Gegenposition zu den Grünen eingenommen. Das war neben der Steuerhöhe (Stichwort Soli) der zweite entscheidende Knackpunkt für eine Jamaika-Koalition.

Insbesondere rund um die Ostsee könnte man viele weitere Beispiele ähnlich positionierter liberaler Parteien anführen. Alle Exempel machen klar: Die Neos haben sich sowohl wirtschaftspolitisch wie auch in Sachen Migration weit weg von den meisten übrigen Liberalen Europas positioniert (zugegeben nicht von allen, es gibt noch einige linksliberale Restbestände in Westeuropa und in Rumänien eine "liberale" Partei, die den Sozialdemokraten in Sachen Korruption die Mauer macht).

Strolz wird vielleicht seinen Hassausbruch gegen Ungarn damit zu rechtfertigen versuchen, dass Orban einmal von seinem Land als "illiberaler Demokratie" gesprochen hat.

Freilich wäre es klug nachzuforschen, was damit gemeint ist. Dabei stößt man nämlich sofort auf die amerikanische Bedeutung von "Liberalism". Dieses Wort heißt aber in den USA nichts anderes als "links", als "sozialdemokratisch". In Amerika gibt es gar keine andere Übersetzung für "sozialdemokratisch". Als "sozialistisch" bezeichnen sie dort immer nur die heute weitgehend untergegangenen sozialistischen Staaten Osteuropas (die wir meist "kommunistisch" nennen, die sich aber auch selbst meist "sozialistisch" genannt haben).

Zurück zu den Neos: Gewiss, nicht jede Partei muss etwas von Wirtschaft verstehen – auch wenn das bei einer sich in Europa "liberal" nennenden schon besonders absurd ist. Gewiss ist es originell und verhaltensauffällig, sich gegen den weitgehenden Konsens der Österreicher (mit Ausnahme von ORF&Co) zu stemmen, die einen Stopp der illegalen Migration wollen, was nun sogar Teile der SPÖ zu begreifen beginnen.

Offen bleibt dann freilich die Frage: Wo will dieser Strolz mit seinem Kurs eigentlich Wähler finden?

Nun, offensichtlich scheint Strolz zu hoffen, das Erbe der Grünen antreten zu können. Sind diese doch personell völlig ausgelaugt und in zwei verfeindete Parteien zerfallen. Offensichtlich deswegen setzt er seit der Nationalratswahl ständig linke Blinksignale ab.

Das ist allerdings keine sehr intelligente Strategie, weshalb die Strolz-Linkswende auch keineswegs von allen Neos-Abgeordneten mitgemacht wird. Denn wenn sich die Gutmensch-Vegan-Bobos-Szene auf zwei oder gar drei Parteien aufteilt, dann werden diese Parteien sehr oft mit der Grenze zu kämpfen haben, unter der man aus dem Parlament fliegt. Eine Wachstumsbranche ist das grüne Eck jedenfalls längst nicht mehr. Weder in Österreich noch in Europa. Aber das hat er sichtlich noch nicht ganz mitbekommen.

PS: Spannend wäre zu erfahren, wen Strolz an Stelle des verdammten Ungarn als Vorbild empfiehlt: Italien oder Frankreich? Belgien oder Spanien? Griechenland oder Zypern? Oder Deutschland, wo die dortigen Liberalen gerade Nein zu einer Koalition mit Merkel und den Grünen gesagt hat? Oder stänkert er ohnedies nur aus Prinzip, weil er das für glaubwürdige Opposition hält?

PPS: Ein pinker Insider hat mir eine andere Erklärung für das Verhalten des Parteiobmannes geliefert, die ich aber nicht glauben will: Strolz habe als Vorarlberger einfach eine instinktive Abneigung gegen Oststaaten und glaube überdies ungeprüft alles, was der Orban-Hasser Lendvai so an Gift gegen Ungarn versprüht. So eine kritische Meinung habe freilich nicht einmal ich von Strolz …

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