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Der Kaiser und der Präsident: ein erstaunlicher Vergleich

Ich habe wieder in einem der faszinierendsten Bücher der letzten Jahre geschmökert. Dabei ist mir plötzlich eine unglaubliche Ähnlichkeit zwischen dem Deutschland vor dem ersten Weltkrieg und dem heutigen Amerika aufgestoßen. Beziehungsweise zwischen den beiden jeweiligen Staatsoberhäuptern. Aber auch die Ähnlichkeiten zwischen der jeweiligen Einheitsdenke des journalistisch/historischen Mainstreams sind verblüffend.

Das Buch ist Christopher Clarks "Die Schlafwandler". Und die beiden Staatsoberhäupter sind der deutsche Kaiser Wilhelm II. und Donald Trump.

Beide zeichneten und zeichnen sich durch unabgesprochene, emotionale und oft sehr naive wie kontraproduktive Vorstöße im Alleingang aus. Der Kaiser etwa hat bei Begegnungen mit ausländischen Staatsgästen immer wieder im Smalltalk plötzlich die gemeinsame Besetzung eines (ständig anderen) Gebietes in oft völlig fremden Weltgegenden von China bis Brasilien und Mesopotamien vorgeschlagen. Der US-Präsident agiert ähnlich wie ein ungelenktes Geschoß durch seine oft völlig willkürlich aus dem Bauch kommenden Tweets.

Beide sind daher zum absoluten Gottseibeiuns der schreibenden Zünfte geworden. Wilhelm ist angesichts seiner Sprüche für unzählige Historiker der Haupt- oder Alleinschuldige am ersten Weltkrieg. Trump ist das für fast alle heutigen Journalisten in Hinblick auf alles Böse in der Welt (unter den großen Weltmedien scheint lediglich die britische BBC – bei aller kritischen Distanz – zu einem halbwegs um Objektivität bemühten fairen Bild imstande; bei allen anderen regiert der einseitige und undifferenzierte Hass).

Clark arbeitet aber sehr überzeugend heraus, dass die Beelzebub-Rolle für Wilhelm eine völlig verkürzte Interpretation ist. Das gilt in Wahrheit ganz ähnlich auch für das heutige Amerika.

Erstens, so Clark, war der Kaiser stets ein Zögerer und Zauderer, der nur phantasierte und den Krieg nie wirklich wollte. Und zweitens hat der gesamte Regierungsapparat des Deutschen Reichs den Kaiser meist ignoriert und fast immer ganz anders und durchaus verantwortungsbewusst agiert. Die Worte des Staatsoberhaupts waren nach innen immer nur irrelevantes Gebell, wurden nach außen aber oft ernst genommen. Deutschland war bei genauerer historischer Analyse in Wahrheit keineswegs der Hauptschuldige am ersten Weltkrieg. Russland, Serbien, Italien, Frankreich, England und Österreich trugen mindestens ebenso Schuld daran. So Clark.

Dennoch ist Wilhelm auf Grund seiner zahllosen überlieferten Aussagen zum absoluten Minusmann geworden, viel weniger hingegen die anderen Akteure. Daran kann wohl auch das Clark-Buch nichts ändern. Zu mächtig und änderungsresistent ist der Mainstream der historischen Zunft.

Trump scheint es heute in Hinblick auf die journalistische Zunft nicht anders zu ergehen. In welche Zeitung man auch immer blickt: Man erfährt von einem kriminellen Grenzidioten im Weißen Haus und von Lichtgestalten in Brüssel, Paris und Berlin. Dabei setzt die US-Regierung etliche sehr vernünftige Akzente. Dabei würde das, was Trump jetzt gerade als zentrales Megadelikt vorgeworfen wird, nämlich die Bitte an den Chef der Kriminalpolizei, einen dubiosen Vorwurf nicht zu verfolgen, in keinem europäischen Land als ungewöhnlich oder gar kriminell auffallen. Dabei findet das, was vorige Woche das amerikanische Megadelikt war, nämlich die Aufkündigung des Klimaabkommens, bei vielen vernünftigen Menschen jenseits der politmedialen Blase Unterstützung. Ebenso wie das davorliegende Megadelikt, nämlich die Einreisesperre für Bürger besonders instabiler Länder.

Umso interessanter ist, wie sehr sich geschichtliche Abläufe ähneln. Aber spätestens seit Rudolf Burger wissen wir ja: Geschichte und Geschichtsschreibung sind zwei komplett verschiedene Paar Schuhe.

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