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Herrn Kerns kurz-sichtige Politikübungen

Leider sind die schrillen Töne der Türkei gegenüber Österreich alles andere als ein Zeichen dafür, dass Christian Kern mit seiner Ansage, diesem Land die EU-Beitrittsperspektive aufzukündigen, alles richtig gemacht hat. Im Gegenteil.

Nach seinem ersten Europäischen Rat witzelte Bundeskanzler Kern zur Freude mancher Bewunderer, dass er für solche Veranstaltungen Geduld lernen müsse. Ihm gehe da alles zu langsam. Als Macher aus der (staatsnahen) Wirtschaft ist man natürlich anderes gewöhnt. Wenn man dort das sagt, was der Gewerkschaft passt, geht alles schnell. Und dafür zahlen müssen ohnehin die Steuerbürger.

Freilich: Wenn man in der EU etwas durchsetzen will, dann geht das nicht so einfach. Schließlich gibt es da 28 selbstbewusste Partner, die zu einer gemeinsamen Linie kommen müssen. Und wenn ein Land etwas bewegen will, dann empfiehlt es sich nicht, den Partnern dies über die Medien auszurichten.

Christian Kern will also im nächsten Europäischen Rat dafür sorgen, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abgebrochen werden. Würde er das politische Handwerk verstehen, hätte er das nicht via Interview angekündigt, sondern im Vorfeld Allianzen geschmiedet, Argumente vorbereitet, Überzeugungsarbeit geleistet. So hat er bereits deutlichen und erwartbaren Widerspruch geerntet und die Chance auf eine Durchsetzung wohl vertan, obwohl sicher einige andere Regierungschefs ähnlich denken und der Errichtung der Erdogan-Diktatur nicht mehr tatenlos zuschauen wollen.

Verstünde Herr Kern etwas von dem Beruf, für den wir ihn hoch bezahlen, dann hätte er in seiner Begründung nicht auch noch haarsträubend falsch argumentiert. Denn: Ja, die ausgerufene „Säuberung“ nach dem Putsch, die Massenverhaftungen, die Enteignungen, die Repressionen gegen Künstler und Medien – das alles macht einen EU-Beitritt der Türkei unmöglich. Sicher aber nicht die von Kern angeführte Tatsache, dass „die Volkswirtschaft der Türkei so weit weg von einem europäischen Durchschnitt" sei. Dann dürfte es auch keine Beitrittsverhandlungen mit Serbien geben, hätte es sie nie mit Rumänien oder Bulgarien geben dürfen.

Noch viel verhängnisvoller aber ist sein Irrglaube, dass die Beitrittsverhandlungen – wie er sagte – „nichts mit dem Flüchtlingsdeal“ zu tun hätten. Nicht, weil dieser Deal so großartig wäre. Angela Merkel hat mit dem fragwürdigen Abkommen die EU in eine schwache Position hineinmanövriert. Es wird sich kaum nachweisen lassen, wie viel es Europa an Entlastung vom Flüchtlingsstrom gebracht hat, aber immerhin hat es bisher verhindert, dass ein weiterer Massenexodus Richtung Europa in Bewegung gesetzt wurde.

Damit das auch dann nicht geschieht, wenn die EU die Türkei dorthin verweist, wohin sie  gehört – nämlich weit weg von einer Gemeinschaft von Rechtsstaaten -, muss die EU endlich für einen effektiven Schutz ihrer eigenen Außengrenzen sorgen. Und sie darf sich auch nicht länger – wie Außenminister Kurz sagt – vor hässlichen Bildern an solchen gut geschützten Grenzen fürchten. Auch dafür müssten vor dem Europäischen Rat, in dem Kern für einen Abbruch der Gespräche sorgen will, Allianzen der Klardenkenden geschmiedet, Pläne entwickelt, Alternativen vorbereitet werden. Angela Merkel wird es den anderen nicht leicht machen.

Auch Politik muss man können, besonders auf der internationalen Ebene.
Freilich: Seit Wolfgang Schüssel hat kein österreichischer Kanzler mehr gewusst, wie auch ein kleines Land in der EU viel bewegen kann. Und dieses politische Unvermögen an unserer Staatsspitze hat Österreich nicht gerade gut getan.

Im Fall Kern kommt noch dazu, dass sich hier einer in der Politik übt, der seit seinem Amtsantritt stolz von sich behauptet, kein Politiker zu sein. Würde eigentlich irgendjemand einen Installateur wollen, der stolz darauf ist, kein Installateur zu sein?

Warum aber dilletiert einer, der auszog, die SPÖ zu retten, ausgerechnet auf dem sensiblen Gebiet der Außenpolitik? Schon die Ungarn-Fehltritte Kerns haben Österreich geschadet und die Bemühungen der Regierungs-Realos Kurz, Doskozil und Sobotka gefährdet. Warum also jetzt wieder und auf noch schwierigerem Terrain?

Dahinter steckt der Versuch, den einzigen Rivalen aus den Reihen des Koalitionspartners auszuhebeln – nämlich Sebastian Kurz. Zuerst hatte Kern gemeint, über die Berufung der Staatssekretärin mit Migrationshintergrund, Muna Duzdar, den jungen Integrationsminister zu konterkarieren. Die Dame wäre zwar für Beamte zuständig, erklärt aber ständig, wie Integrationspolitik zu funktionieren habe. Ihr „Wissen“ bezieht sie übrigens ausschließlich aus ihrer persönlichen Erfahrung und den Parolen der linken Wiener Willkommenskultur. Der jungen Dame gelang es verständlicherweise nicht, Kurz verblassen zu lassen.

Noch vor dem Sommer war von einem angeblich „kometenhaften“ Aufstieg des damals frisch gekürten SP-Chefs bei der Kanzler-Frage zu lesen: 34 Prozent würden ihn direkt zum Kanzler wählen wollen, den Herausforderer Strache nur 22, Reinhold Mitterlehner überhaupt nur 15 Prozent. Was freilich von den Inserate-heischenden Postillen nicht berichtet wurde: Weit vor Kern in der Umfragegunst lag (und liegt) ein noch hypothetischer Kanzler-Kandidat – Sebastian Kurz.

Diesen Konkurrenten durch schlecht vorbereitete Ausritte auf dem außenpolitischen Parkett bekämpfen zu wollen, ist nicht nur unklug und ungeschickt. Das schadet Österreich.  

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