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Das bürgerliche Dilemma: Der Mut und die Feigheit der CSU

Die CSU stellt seit einem Jahr immer wieder koalitions- und unions-intern Ultimaten gegen Angela Merkels Willkommenspolitik, Griechenland-Rettung und Europa-Schwadroniererei. Sie droht mit Verfassungsklagen. Sie überlegt nun einen eigenen Wahlkampf.

Das klingt alles durchaus interessant, ja notwendig – ist aber dennoch zunehmend unglaubwürdig. Daran ändert die Tatsache nichts, dass die CSU-Führung mit ihrer Haltung viel mehr die Haltung der Wähler trifft als Angela Merkel.

Doch der Kurs der derzeit rein bayrischen CSU würde erst dann glaubwürdig, wenn sie den Mut hätte, auch deutschlandweit zu kandidieren. Dann gäbe es im ganzen Land ein viertes und für sehr viele Wähler attraktives Angebot zwischen dem offensichtlich unbeirrbaren Merkel-Anbetungsverein CDU, der nur wirtschaftsorientierten FDP und der sehr unerfahrenen „Alternative für Deutschland“.

Warum tut die CSU diesen Schritt jedoch trotz allem nicht? Das ist zum einen eine Folge des Charakters von Horst Seehofer, der lieber redet als handelt, der im Grunde ein großsprecherischer Cunctator ist. Zum anderen könnten auch die antibayrischen Aversionen im Norden Deutschlands zu stark sein, als dass die urbayrische CSU dort eine Chance hätte.

Im Norden Deutschlands mit Ausnahme Sachsens mögen nämlich viele die Bayern grundsätzlich nicht. Diese Emotionen finden sich auch in vielen Publikationen, etwa allwöchentlich in den Hamburger Wochenmedien, die sich für Qualitätsmedien halten. Die Gründe der negativen Vorurteile sind vielfältig:

  1. weil die überwiegend potestantischen Deutschen nördlich der Main-Linie gemäß einem unausrottbaren Stereotyp aus früheren Jahrhunderten die Bayern oft als alpin-bäuerlich-katholisch zurückgeblieben ansehen;
  2. weil Bayern, Österreicher und Sachsen der preußischen Vormachtspolitik lange Widerstand geleistet haben;
  3. weil die Bayern einst lange den geistig retardierten König Ludwig hatten;
  4. weil die Norddeutschen den großen Landesstolz im „Freistaat“(!) Bayern – Mir san Bayern und mir bleibn Bayern – verachten;
  5. weil sie den – demonstrativen – bayrischen Dialekt als Unfähigkeit ansehen, die angeblich nur den nördlichen Sprechweisen entsprechende deutsche Hochsprache anzuwenden;
  6. weil es der Linken gelungen ist, den Urvater des bayrischen Erfolgs, Franz Josef Strauß, als Bedrohung für Demokratie und Rechtsstaat zu dämonisieren;
  7. weil man im Norden gleichzeitig mit den alten Überlegenheitsgefühlen wachsende, wenn auch nie zugegebene Minderwertigkeitsgefühle und Eifersucht hegt gegenüber dem alles überragenden Erfolg des modernen Bayerns, der sich auf vielen Gebieten zeigt: vom Fußball bis zur Industrie, vom Wirtschaftswachstum bis zum Bildungssystem. So finanziert Bayern über den innerdeutschen Finanzausgleich fast das gesamte restliche Bundesgebiet mit.

Aus all diesen Gründen wird eine aus Bayern ins restliche Deutschland wechselnde CSU auf viele Ressentiments stoßen. Sollte eine gesamtdeutsche CSU jedoch, um diese Vorurteile zu überwinden, ihre dominant bayrische Prägung aufgeben, würde sie mit Sicherheit im angestammten Bundesland viel an Unterstützung verlieren. Damit wäre die stärkste Mehrheit dahin, die irgendeine Partei in irgendeinem deutschen Bundesland hat.

Braucht's die CSU noch, wenn's die AfD gibt?

Sind solche Überlegung nach dem raketenartigen Aufstieg der AfD nicht ohnedies überflüssig? Diese liegt ja beim zentralen Thema Migration ziemlich genau auf der gleichen Linie wie die CSU. Die AfD hat bei ihrem jüngsten Programmparteitag auch alle radikalen Anträge abgelehnt, sodass selbst die SPD nun beschlossen hat, sie nicht mehr gänzlich und a priori zu verteufeln.

Dennoch gibt es zwei sehr starke Wählermotive, die viele Wähler vor einer Stimmabgabe für die AfD abhalten könnten, auch bei jenen Wählern, die massiv für ein klares Ende der Massenmigration sind und rechts der Mitte stehen:

  • Das eine sind Sorgen wegen der Unerfahrenheit einer völlig neuen Partei. In einer solchen könnten allzu leicht gefährliche Rohrkrepierer in Ministerämter aufsteigen (so wie sich etwa die Menschen an der Spitze der inhaltlich von vielen befürworteten Pegida-Demonstrationen inzwischen als sehr problematisch entpuppt haben, mit denen die große Mehrheit der islamkritischen Deutschen nichts zu tun haben will).
  • Das zweite Motiv sind die besorgniserregend starken antiwestlichen und prorussischen Strömungen in der AfD. Zwar ist am Parteitag ein Nato-Austritt abgelehnt worden, was die allergrößten Ängste mildert. Aber die brutale, teils blutige Annexion mehrere Gebiete fremder Staaten (der Ukraine, Moldawiens und Georgiens) durch die russische Armee stößt bei vielen AfD-Anhängern auf erstaunliche Sympathie. Die Sympathien sind so groß, dass sie auf gezielte, wenn auch geheime russische Propaganda, Desinformation und Finanzierung der AfD hindeuten.

Mit und ohne Bundes-CSU stehen daher viele bürgerliche Deutsche vor dem Dilemma, dass es zwar viele Parteiangebote gibt, aber keines, das ganz ihrem eigenen Denken entspricht.

 

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