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Faktor Null: Österreichs Außenpolitik

Jeder Österreicher weiß, wen der abgetretene EU-Kommissionspräsident Barroso ganz besonders gemeint haben muss, als er jetzt in einem Rückblick erstmals Klartext über den üblichen Verlauf der Treffen der europäischen Regierungschefs gesprochen hat: „Kleine und mittlere Mitgliedsstaaten kommen etwa oft nur mit einem einzigen, konkreten Anliegen in die Ratstagungen, andere oft ohne echtes Interesse.“

Dass Barroso erst nach Amtsende so offen ist, ist zwar auch interessant, aber heute nicht das Thema. Aber dass Österreich in den sechs Jahren seit dem Amtsantritt von Werner Faymann keine Außen- oder Europapolitik hat, ist eine durchaus für die ganze Alpenrepublik betrübliche Angelegenheit. Aus Barrosos Worten kann man schließen, dass Faymann auch hinter den Polstertüren des weitaus mächtigsten EU-Gremiums keine Politik zu formulieren hat, sondern wohl nur die paar Sätze memoriert, die er dann vor den Fernsehkameras aufsagen wird.

Ansonsten dürfte der Bundeskanzler nur noch darüber nachsinnen, wie er denn zugleich dem ÖGB gehorchen und dennoch wieder in der Kronenzeitung gut vorkommen könnte. Da diese kaum etwas mit Außenpolitik am Hut hat, hat auch Faymann nichts mit dieser am Hut. Beim maroden Fellner-Blatt braucht er zu seinem Glück nicht einmal nachzudenken. Denn das schreibt sowieso immer gut über Faymann. Etwas Anderes könnte man sich dort gar nicht leisten.

Ansonsten genügt es für den kleinen Mann mit der hohen Stimme, sich vor jedem Gipfel briefen zu lassen, wohin der europäische Hase laufen wird. Das verkündet uns Faymann dann als seine Meinung. Blöd nur, wenn die EU-Willensbildung anders läuft als erwartet. Dann tut sich Faymann ersichtlich schwer, beispielsweise zu begründen, warum er doch / doch nicht / doch noch nicht für neue Sanktionen gegen Russland ist. In Europa ist halt der Mainstream nicht so klar vorhersagbar wie in den österreichischen Medien.

In eine Zerreißprobe kommt Faymann freilich jetzt beim Freihandelsabkommen TTIP. Da hat die Krone sogar dagegen plakatiert. Die Sozialisten Deutschlands, Frankreichs und Italiens sowie die dortigen Gewerkschaften sind jedoch nun ganz klar dafür. Sigmar Gabriel in Hinblick auf TTIP: „Wenn wir uns abkoppeln von den Weltmärkten, wird das viele hunderttausend Menschen in Deutschland am Ende ihren Job kosten.“

Wie soll sich da nur der arme Werner F. positionieren? Fast könnte er einem leid tun.

Natürlich merkt man auch im Ausland, dass es keine österreichische Außenpolitik gibt, dass Österreich in Europa nicht einmal mehr ein Federgewicht ist. In Wien wird beispielsweise von niemandem die Chance erkannt, die man etwa gerade jetzt durch eine Nachbarschaftspolitik mit dem derzeit recht isolierten Ungarn hätte. Aber so wie gegenüber den anderen Nachbarländern gibt es weder eine gute noch eine schlechte Ungarn-Politik Wiens. Es gibt gar keine.

Ungarn orientiert sich daher im Gegensatz zur Vergangenheit heute nur noch nach Deutschland (und dazwischen hie und da nach Russland). Österreich aber wird ignoriert. Der einst von Wolfgang Schüssel versuchte Dreibund Ungarn-Slowakei-Österreich ist nicht einmal mehr in Restbeständen vorhanden. Und die Schuld daran liegt sicher nicht nur in Budapest.

Es findet sich nirgends mehr ein Restbestand der jahrzehntelang so hochgehaltenen österreichischen Mitteleuropapolitik. So als ob da nie etwas gewesen wäre. Fast alles ist kaputt gegangen, was da jahrelang mühsam aufgebaut worden war.

Gewiss, daran trägt nicht nur das völlige außenpolitische Desinteresse Faymanns und seine Ahnungslosigkeit in Hinblick auf internationale Vorgänge Schuld. Auch im Außenministerium sind alle Relikte der einst von Alois Mock so intensiv aufgebauten und dann von Wolfgang Schüssel fortgeführten Ostpolitik unter den folgenden VP-Außenministern total verschwunden.

Auch Sebastian Kurz hat bisher zumindest da noch nichts wirklich Vorzeigbares entwickelt. Am Anfang hat er sich sogar arg vergaloppiert, als er der Ukraine öffentlich die Neutralität empfohlen hat. Das war das Gegenteil von dem, was man dort hören wollte. Inzwischen hat Kiew sogar formell den (ja schon festgeschrieben gewesenen!) blockfreien Status aufgegeben; und es verlangt im eigenen Interesse den Nato-Beitritt. Damit hat Kurz nicht als sonderlich trittfester Außenpolitiker begonnen. Aber immerhin zeigt er inzwischen deutlich mehr Interesse als sein Vorgänger an der Welt rund um Österreich.

Ach ja – in zwei Punkten hat Österreich auf Geheiß der Kronenzeitung in Europa Profil: im Kampf gegen Atomkraftwerke und genverändertes Saatgut. Da betätigt sich vor allem der Landwirtschaftsminister Rupprechter intensiv. Freilich scheinen Österreich und vor allem Rupprechter gerade in diesen beiden Punkten zunehmend in die Rolle des belächelten Sonderlings, eines Don Quijotes, zu geraten, den niemand mehr ob seiner Obessionen ernst nimmt. Im neuen Milliarden-Investitionspaket des Kommissionspräsidenten Juncker wird es beispielsweise viel Geld für zukunftsweisende Nuklear-Energieprojekte geben. Zum Entsetzen von Krone und Rupprechter – was aber die restlichen Europäer nicht kümmert.

Warum ist Österreich heute außenpolitisch nicht vorhanden? Nun der Hauptgrund liegt im Desinteresse aller Akteure. Gute internationale Beziehungen brauchen nämlich gleich eine doppelte Investition: viel Wissen und viel Zeit. Niemand aber ist bereit dazu. Denn diese Investition bringt kurzfristig oft keine Dividenden. Ein Kleinstaat kann ja nicht so wie etwa Frankreich unter Hollande ein paar Kampfflugzeuge in den Krieg schicken, um die Popularität eines schwachen Politikers wenigstens ein bisschen aufzupolieren.

Dahinter steht das allgemeine Prinzip fast jedes österreichischen Politikers: Nur Innenpolitik ist wichtig. Und in der Innenpolitik glaubt man skurrilerweise wiederum, dass man da ausgerechnet auf die Stimmen der Medien zu hören hat, um bei den Wählern gut anzukommen. Was natürlich ein totaler Irrtum ist, denn die Medien sind fast so unbeliebt wie die Parteien, können diesen also absolut nicht helfen, aus dem Sumpf der Bedeutungslosigkeit herauszukommen.

Seit Bruno Kreisky begreift niemand mehr die Möglichkeit, als ständiger Kommentator der Weltpolitik sich auch im kleinen Österreich mit einem Hauch dieser Welt zu umgeben. Und seit Faymann nimmt man nicht einmal die Chancen einer regionalen Außen- und Nachbarschaftspolitik wahr.

Selbst Wladimir Putin hat mittlerweile erkannt, dass ihm ein PR-Tag in Wien international absolut nichts bringt. Denn auch wenn man eine noch so große Zahl mit Null multipliziert, kommt wieder Null heraus.

 

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