Ist Wien noch zu retten?
19. September 2014 01:16
2014-09-19 01:16:00
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 4:30
Die Spitzhacke und die Abrissbirne sind zu den wichtigsten Symbolen Wiens geworden. Immer rascher und immer provozierender werden die Attacken auf sein Stadtbild. Ein Barockhaus, ein Gründerzeitensemble nach dem anderen wird abgerissen. Oder durch dreistöckige Beton-Glas-Aufbauten total entstellt. Immer mehr Wiener Bürger sind darüber empört. Und immer öfter fragt man sich: Warum nur?
Jetzt haben sich nicht weniger als 30 verschiedene Bürgerinitiativen zusammengeschlossen, die alle im Kampf zur Rettung wenigstens der letzten Reste des Stadtbildes entstanden sind. Sie veranstalten am 25. September eine gemeinsame Demonstration gegen die vielfältigen Zerstörungen, die von Hochhausprojekten im Stadtzentrum bis zu den Heurigen-Vororten reichen.
Absurderweise geht die Zerstörung ja gerade dort im Expresstempo voran, wo der Tourismus am meisten blüht. Diese Stadt zieht offenbar aus kurzfristiger Geldgier einer ihrer wichtigsten ökonomischen Existenzgrundlagen selbst den Boden unter den Füßen weg.
Dahinter stecken mehrere Gründe.
- Die Euro-Blase: Wenn man als Folge der europäischen Währungspolitik für sein Geld auf der Bank keinerlei Zinsen mehr bekommt, stecken es immer mehr Menschen in solches „Betongeld“.
- Oligarchen-Zuwanderung: Gerade an den attraktivsten Orten stößt man immer öfter auf russische oder ukrainische Oligarchen. Diese wollen alle – auch – in Wien einen Sitz haben. Sie wollen hier nicht nur das Leben genießen, sondern auch eine Bleibe haben, wenn ihnen daheim der Boden unter den Füßen zu heiß wird. Und sie haben anscheinend grenzenlos Geld.
- Architektengier: Da man als Architekt an der Ästhetik einer Stadt kaum verdienen kann, plädieren viele von ihnen für möglichst intensive „Modernisierungen“. An diesen können sie dann gut verdienen, obwohl sie zuvor als scheinbar objektive „Experten“ auftreten.
- Kulturverlust: Schönheits- und vergangenheitsbewusste Bewahrung von alten Ensembles ist im herrschenden Zeitgeist nicht „in“ und gilt als verzopft.
- Korruption: Anders als mit heimlichen und indirekten Geldflüssen sind viele Abriss- und Baugenehmigungen nicht erklärbar. Mit neuen Projekten ist viel Geld zu machen – auch wenn der Weg des Geldes nur selten zu sehen ist. Bauträger, Banken, Grundstückseigentümer, Baufirmen: Sie alle machen in die gleiche Richtung Stimmung.
- Ignoranz: All jene Branchen und Berufe, die von der historischen Schönheit Wiens leben, sind völlig stumm. Dabei leben sehr viele Menschen vom Tourismus oder der Veranstaltung von Kongressen, von der Luftfahrt und Gastronomie, im Verkehrsgewerbe oder im touristenorientierten Handel. Dabei hat der Städtetourismus angesichts der europaweiten Überalterung sogar sehr gute Perspektiven. Wien lebt jedoch von der Substanz und schützt diese viel zu wenig. Zum Unterschied etwa von Rom oder Paris, Florenz oder Bern, wo alle wichtigen Stadtteile bis zum Dach hinauf geschützt und unzerstört sind. Die Wiener Substanz ist eindeutig eine des 19. Jahrhunderts und der Zeit davor. Um Hochhäuser zu sehen, fährt man hingegen nicht nach Wien, sondern nach New York, Dubai, Hongkong, Shanghai oder ins Londoner Eastend.
- Marktfremde Altmietzinse: In Wien werden für viele alte Wohnungen (in denen oft auf vielen Quadratmetern alleinlebende Pensionisten wohnen) durch das geltende Wohnrecht nur Minimalmieten gezahlt. Dadurch wird viel Wohnraum verschwendet und das Angebot auf dem Markt verknappt. Dadurch werden zwangsläufig die Angebote für (meist junge) Wohnungssuchende unverhältnismäßig teuer. Gleichzeitig werden dadurch neue Bauprojekte besonders einträglich. Besonders absurd ist: Viele verwitwete Menschen würden gern in überschaubare kleinere Wohnungen übersiedeln – die sie sich aber nicht leisten können.
- Marktfremdes Wohnrecht: Im naiven Glauben, dadurch Wohnen billiger zu machen, wurde auch die Neuvermietung durch Gesetze „mieterfreundlich“ geregelt. Dadurch wurde aber das Vermieten für Haus- und Wohnungseigentümer so unattraktiv, dass sie Wohnungen oft nicht mehr vermieten, sondern lieber leerstehen lassen. Etwa falls Enkel sie einmal brauchen werden. Dadurch sind bald nur noch freifinanzierte und Eigentums-Wohnungen zu finden. In hohen Preisklassen.
- Schweigen der Opposition: Aus Gründen, die man nur vermuten kann, wird auch keine der Wiener Oppositionsparteien im Kampf gegen die Stadtzerstörung aktiv.
- Expansion: Das Rathaus will die Einwohnerzahl Wiens dramatisch erhöhen. Der grüne Planungssprecher hat die Vorgabe jetzt so formuliert: „Wien wächst innerhalb von 15 Jahren um die Bevölkerungszahl von Graz.“ Das macht absolut fassungslos. Die Politik nimmt offenbar einen solchen Bevölkerungszuwachs als Faktum und als unabwendbares Schicksal hin.
Dabei steht fest:
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Wien hat eine besonders niedrige Geburtenrate. Diese liegt weit unter dem für ein Gleichbleiben der Bevölkerungszahl notwendigen Prozentsatz. Wien müsste also diesem Wert zufolge rapide schrumpfen.
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In ganz Österreich wandern (vor allem als Folge der hohen Steuern und der fehlenden Dynamik) seit Jahren mehr Staatsbürger ins Ausland ab, als aus diesem wieder zurückkehren.
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Wien hat die weitaus größte Arbeitslosigkeit Österreichs. Arbeitslosigkeit ist aber ganz sicher kein Motiv, in eine Stadt zuzuwandern, außer man wird durch (langfristig freilich völlig unfinanzierbare) Wohlfahrtsleistungen angelockt.
Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.
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Wieder hat AU die Verflechtungen und vielen Ursachen prägnant aufgezeigt, die letztendlich zu einem Ergebnis führen.
Das fängt auf der untersten Ebene, dem Bauausschuss der Bezirksvertretung an. Von einem Tag zum anderen werden da aus eingeteilten Bezirksräten DIE Bau-, Denkmalschutz- und Altstadterhaltungsexperten, die natürlich weniger die Interessen des Stadtbildes denn jene der Bezirkspolitik im Sinn haben.
Das heißt politische Rücksichtnahme auf einflussreiche Bauherren und Trachten nach immer mehr Einwohnern im Bezirk (damit mehr Geld in die Bezirkskassen fließt und der Bezirk mehr Bezirksräte, Gemeinderäte ... haben kann).
Der verständliche Drang der Architekten nach "Neuem" kann gebremst werden, indem man ihre nicht realisierten Projekte ebenso hoch bewertet, wie die ausgeführten. Otto Wagner ist ein signifikantes Beispiel dafür.
Verschandelungen von gewachsenen Grätzeln durch "modernes Bauen", irrsinnige Dachaufbauten, schamlose Genehmigungen von Höhenüberschreitungen, werden immer leichter durchsetzbar, weil der gelernte Wiener zu resignieren gelernt hat. Was sollen ein paar hundert Unterschriften gegen eine von der Politik gestützte Baumafia ausrichten - schade um die Zeit ...
Der Wiener Wohnungsmarkt ist ein eigenes Kapitel. SPÖ, Grüne und die AK haben es geschafft, dass es keinerlei Waffengleichheit mehr zwischen Vermieter und Mieter gibt. Selbst genau terminisierte Mietverträge sind nicht einmal das Papier wert: der Mieter kann jederzeit innerhalb von drei Monaten Tschüss sagen und aus der Wohnung ausziehen...
Die Wiener Rathauspolitik zielt nur nach mehr Einwohnern (Stichwort: Finanzausgleich, politisches Gewicht) und da ist jedes Mittel recht. Gemeindewohnungen auf Kosten aller Wiener, finanzielle Unterstützungen von der Wiege bis zur Bahre (nur nach dem Tod auf dem Weg zum Friedhof wird's teuer).
Was kann den immer weniger werdenden besorgten Wiener helfen?
Ich fürchte, nur ein Schicksal ähnlich dem amerikanischer Großstädte. Langsam schleicht der Verfall, v.a. bedingt durch einen Kollaps der Stadtkassa herbei. Und nach dem Niedergang erwacht eine neue Generation zu frischen Taten ...
Naja, das sind halt Bauaktivitäten wie im ehemaligen Ostberlin und an anderen komunistischen Orten - Sozialismus da wie dort!
OT---aber ist es nicht jammerschade, daß viele Schotten in letzter Minute doch der Mut verlassen hat, die einmalige historische Chance zu ergreifen, sich für die Selbständigkeit zu entscheiden? Nun wird nicht nur die Überheblichkeit der Briten, sondern der gesamten Kaste der EU-Politiker gestärkt.
Die Abnabelung wäre sicherlich nicht ohne Schrammen vor sich gegangen, aber letzten Endes hätte sich alles normalisiert---und die Schotten hätten stolz sein können, ihre Freiheit unblutig erkämpft zu haben. Diese Chance wurde vertan, weil wieder einmal mit Erfolg die üblichen Ängste vor einem Alleingang geschürt worden sind. Jammerschade!
Es scheint leider ein weit verbreiteter Drang zu sein, Schönes, wenn man es selber nicht haben kann, zu zerstören, bzw. zu stören---so geschehen etwa vor sehr vielen Jahrzehnten in Linz.
Da störte die Sozialisten ungemein, daß sich die "Reichen und Schönen" ihre Villen auf und an den umliegenden Hügeln erbaut hatten. Linz ist mMn die Stadt mit dem schönsten Umland. Die "Berge" ringsum---man sieht von jedem Straßenzug aus auf grüne Hügel (mit Ausnahme im Süden)---Pöstlingberg, Froschberg, Freinberg, Römerberg, Pfennigberg, Zaubertal --- von denen aus man noch dazu sehr schnell im Stadtzentrum ist.
Um also diese BÜRGERLICHE IDYLLE zu ZERSTÖREN und die wohlhabenden "Bürger" zu stören klotzte man mit GENUGTUUNG zwischen diese schönen Villen mit ihren wundervollen großen Gärten WOHNBLOCKS für das Proletariat hinein.
Die grauenvollen Zeugen sozialistischer Bauwut (mit Ausnahme des "Karl Marx-Hofes", dessen Name leider nicht geändert worden ist!) sind in allen Städten zu sehen und nehmen einem die Vorfreude auf den Besuch einer schönen Stadt, weil diese gräßlichen Plattenbauten als "Außen-Stadt" rings um den alten Stadtkern meist der erste, leider schockierende Anblick auf dem Weg in eine schöne Innen-Stadt sind.
Linz hat übrigens in den letzten drei Jahrzehnten unglaublich GEWONNEN---die ALTSTADT ist einfach hinreißend schön restauriert!
Volle Übereinstimmung Herr Dr. Unterberger, es ist nur ein schwacher Trost dass etliche andere Großstädte in Europa den gleichen Weg beschreiten.
Sogar bei den Russen sind wir ausnahmsweise einer Meinung, sie sind ein Ärgernis! ;-)
Vielleicht sollte man noch ergänzen, dass sehr viele Wiener in den Speckgürtel auswandern, nicht zuletzt um ihren Kindern den Besuch von Schulen mit geringem Migrantenanteil zu ermöglichen.
P.s.: Wie der Komunismus, pardo Sozialismus, d.h. die Diktatur des Proletariates, Terrain gewinnen soll, ist nachzulesen beim Säulenheiligen Dr.Otto Bauer!