FN 677: Wien und seine Behinderten
29. August 2014 11:46
2014-08-29 11:46:13
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 1:00
Es gibt in Wien ja auch Positives. Zum Beispiel die Behindertentransporte für den Preis eines Öffi-Fahrscheins.
Damit können viele Menschen, die sonst in ihren Wohnungen mehr oder weniger eingesperrt wären, sogar wieder ins Theater, können selbst Amtswege erledigen etc. Natürlich gibt es für diese Leistung eine Einkommensgrenze. Und da wird es aber wieder grotesk. Wenn eine Pensionistin nämlich eine Pensionserhöhung bekommt und die Grenze für den Fahrtendienst um sage und schreibe 1,34 Euro überschreitet, teilt man ihr mit, dass ihr die kommunale Wohltat nicht mehr zustehe. Jetzt könne sie sich ja ein Behinderten-Taxi leisten. Für schlanke 20 Euro pro Fahrt. Da weht einem die soziale Kälte so richtig um die Ohren, die in Österreich sonst doch sofort beseitigt wird. Bei notwendigen Pensionsreformen zum Beispiel.
zur Übersicht
Es ginge auch billiger!
Eigene Beobachtung vor ein paar Tagen in Wien.
Eine durchaus - zwar etwas mühsam, aber ohne Stock oder Krücken - gehfähige Frau wartet beim Röntgeninstitut auf den Behindertentransportwagen der Arbeitersamariter. Sie ist verärgert, weil die schon wieder einmal nicht und nicht daher kommen ...
Die Dame wäre garantiert in der Lage gewesen, in ein Taxi einzusteigen und damit zur ihrer Wohnung zu fahren.
Die Taxifahrt wäre ebenso garantiert um etliches billiger gekommen, als ein Krankenwagen mit vermutlich zwei Samaritern.
Ach so, ich verstehe schon, mit dem Taxi und den Taxirechnungen könnte ja Missbrauch getrieben werden ...
So passiert halt ein Missbrauch mit den Geldern des Sozialbudgets ...
Man kann das auch so sehen: Zuerst gab es jahrelang die Wohltat, obwohl die Pension nur einige € unter der Freigrenze lag, jetzt gibt es dies nicht mehr, weil die Pension einige € darüber liegt. Alle anderen, die immer schon einen € darüber lagen, haben auch nie eine Unterstützung bekommen. Gleiches Recht für jeden. Freigrenzen haben das so an sich und ich verstehe das.
Überall, wo es in der Wirtschaft unstetige Funktionen (d.h. solche, wo kleine Änderungen in den Voraussetzungen "große", sprunghafte Änderungen im Ergebnis bewirken) gibt, kommt es zu ähnlichen Problemen. Ich frage mich schon lange, warum man Regelungen so treffen muß, daß am Ende Zusammenhänge unstetig werden.
Beispiel Einkommenssteuer: Die Steuerlast als Funktion des Einkommens ist zwar noch stetig, hat aber als stückweise lineare Funktion Knickstellen. Beim Differentialquotienten, der den Grenzsteuersatz repräsentiert, ist es aber Schluß. Der ist als Treppenfunktion mit Sprüngen an den entsprechenden Stellen hochgradig unstetig.
Der Grenzsteuersatz oder ein ähnlicher Wert ist aber oft die Grundlage für eine Entscheidung, ob sich ein Zusatzeinkommen, eine zusätzliche wirtschaftliche Tätigkeit etc. lohnt. Eine solche Unstetigkeitsstelle ist prädestiniert dafür, daß eine solche Wirtschaftlichkeitsentscheidung gerade dort kippt. Daß es mitunter, wie in dem in AUs Kommentar beschriebenen Fall, nicht nur nicht mehr lohnt, sondern sogar ins Gegenteil verkehrt und man bestraft wird. Solche Unstetigkeitsstellen sind also echte Wirtschaftshemmnisse.
Zu Zeiten, wo man die Steuerlast noch händisch berechnen mußte, hat man bei derartigen Regelungen sehr auf eine einfache Ermittlung und die Leistungsfähigkeit damaliger, mechanischer Rechenmaschinen geachtet und derartige Unstetigkeiten in Kauf genommen. Heute wäre es viel sinnvoller, auf die Stetigkeit, Differenzierbarkeit und den Wertebereich des Differentialquotienten zu achten und Regelungen so zu erlassen, daß z.B. der Differentialquotient einer abhängigen Veränderlichen (z.B. des Steuersatzes in Abhängigkeit vom Einkommen, oder der Höhe einer Förderung in Abhängigkeit von einer gegebenen Voraussetzung) ein bestimmtes Ausmaß nicht überschreiten darf, die Funktion also möglichst "glatt" ist.
Z.B. würde ich die an das Finanzamt abzuführende Steuer S in Abhängigkeit von einem Einkommen E so gestalten, daß
S = p * E * exp(- (a * E)^-2)
ist.
Dabei ist p der (nie angenommene) Höchststeuersatz und a ein Faktor um festzulegen, bei welchem Einkommen der Steueranstieg am höchsten sein soll. Soll dieser Steueranstieg z.B. bei 20.000 EUR Jahreseinkommen maximal sein, dann wird man a = ((2/3)^(1/2)) / 20.000 setzen. Der Steuersatz bei diesem Jahreseinkommen wäre dann etwa 0,22*p, d.h. z.B. bei einem Höchststeuersatz von 50% etwa 11%. Diese Funktion könnte man dann noch durch zusätzliche "Stauchungen" verbessern.
Ähnlich könnte man mit anderen Bemessungen umgehen.
In den Gemeindebauten aber dürfen natürlich die Besserverdiener-innen zum - von den Steuer- und Gebührenzahlern gestützten - Sozialtarif wohnen bleiben. Dafür wird sogar der BM himself international.
Bei den Behinderten braucht man halt keine "Soziale Durchmischung"