Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (10 Euro pro Monat) ist jederzeit beendbar und endet extrem flexibel einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Der Fußball ist aus: Was wir daraus lernen

Was werden die Menschen jetzt nur tun, wenn Fußball mit all seiner Spannung nicht mehr den Abend füllt? Kaum kann man sich überhaupt noch erinnern: Hat es ein Leben vor dieser Weltmeisterschaft gegeben? Jenseits dieser Schmunzel-Fragen einige sehr ernst gemeinte Beobachtungen zu diesen Spielen.

Denn sie haben auch viel mit Politik zu tun, und dem Charakter der Menschen.

  1. Es tut allen gut, dass diese Weltmeisterschaft jetzt zu Ende ist. Jede Art von Sport ist gut – wenn man ihn selber ausführt. Wenn man nur zuschaut, ist er zwar auch fast immer spannend. Aber es bleibt nach dem Ende des Zuschauens eine Leere – selbst wenn die unterstützte Mannschaft gewinnt.
  2. Dass beim Sport Schiebungen, Wettmanipulationen, krumme Kartengeschäfte, Steuertricks und Korruption unausrottbar sind, ist in Wahrheit normal. Solche Delikte sind immer in der Nähe, wenn viel Geld und wenn Staaten involviert sind. Dies heißt freilich ganz und gar nicht, dass Kriminalität rund um den Sport nicht zu bekämpfen wäre. Besonders traurig ist es, dass bei Fifa und Olympia auch sehr bestechliche Personen agieren.
  3. Brasilien hat eine sehr gute Weltmeisterschaft hingelegt. Fast ganz ohne die prophezeiten Unruhen oder den Zusammenbruch im Chaos. Es würde daher vielen „Experten“ gut anstehen, jenem Land (unabhängig vom schlechten Spiel in den letzten Begegnungen) gehörig Abbitte zu leisten. Trotz aller Probleme zählt Brasilien zu den eindrucksvoll rasch wachsenden Staaten. Und besonders sein Mittelstand ist rasch im Steigen.
  4. Natürlich wäre das Geld, das in den Bau von Stadien (selbst in dem fast fußballfreien Brasilia) gepulvert wurde, sinnvoller auszugeben. Aus diesem Grund wird ja in Europa immer öfter bei Volksabstimmungen Nein zu Spielen gesagt. Deswegen werden immer teurer werdende Spiele zunehmend in nicht demokratische Länder vergeben (China, Russland oder Katar). Dort muss man sich nicht um das Volk kümmern.
  5. Pfiffe gegen Politiker haben in Stadien Tradition. Wann hat der Bürger sonst schon die Gelegenheit dazu? In brasilianischen Stadien sind diese Pfiffe vor allem von den eher rechtsgerichteten Anwesenden gekommen. Es waren hingegen die Linksradikalen, die vor der WM Gewalt geübt haben. Um die Verwirrung vollständig zu machen: Brasiliens Staatspräsidentin kommt zwar von ganz links, sie war gewalttätig; das Land betreibt aber heute eine sehr kapitalistische Politik. Ihr Linkssein äußert die Präsidentin meist nur noch in außenpolitischer Rhetorik.
  6. Sport führt nur in ganz seltenen Fällen zu Kriegen oder sonstigen Auseinandersetzungen. Er führt nicht zu mehr Zwischenfällen als das Donauinselfest. Das ist umso erstaunlicher, als man bei Länderspielen weit mehr als sonst jemals Nationalflaggen, begeisterte oder entsetzte Menschen sieht.
  7. Nationale Identität ist etwas ganz Normales. Immer wird es ein „Wir“ geben, und damit immer ein „Die Anderen“. Solange man sich über diese nicht überhöht dünkt, ist dagegen gar nichts einzuwenden. Einmal gewinnen die Deutschen, einmal die Argentinier und einmal der Brasilianer. Selbst Kleine wie Griechenland haben hie und da eine Chance. Das Böse kommt in der Regel durch Politiker in die Welt, nicht durch Sportler. Nur ganz linke Träumer begreifen das nicht. Es ist Politik, wenn selbst EU-Staaten noch immer Völkern auf Grund des Ergebnisses irgendwelcher Kriege die Selbstbestimmung verweigern (von Spanien bis Italien und Rumänien; von Russland und seiner Haltung etwa zu Tschetschenien gar nicht zu reden). Damit ist automatisch die Saat künftiger schwerer Auseinandersetzungen gelegt.
  8. Das Wir-Gefühl kann sich aber nicht mehr auf eine ethnische Identität begründen. Hinter der Flagge und der Hymne findet sich am ehesten die Verfassung. Sonst nichts. Tatsache ist, dass die meisten Teams nur noch zum Teil ethnische Wurzeln haben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Namen der (durchaus eindrucksvollen) Schweizer Mannschaft klangen mehrheitlich albanisch; es waren formal aber doch die der Eidgenossen, die in Bern und Umgebung zum Schwingen des Schweizer Kreuzes motivierte..
    Je mehr man nach der genauen Definition dieses Wir-Gefühls forscht, umso mehr kommt man ins Rätseln. Warum etwa singen in den Immigrations-Ländern, die also keine ethnische Identität haben, alle voll Begeisterung die Hymne? Während es etwa bei den siegreichen Deutschen einige Spieler gibt, die bei der Hymne seit jeher demonstrativ schweigen (die Hymne symbolisiert ja das Land, für das sie antreten; und es war sicher nicht der Grund ihres Schweigens, dass diese deutsche Hymne einst die österreichische gewesen ist). Bei Klubs hingegen haben diese Spieler keine Probleme. Dort ist ja klar, dass es „nur“ um Geld geht; auch wenn viele Menschen ihr ganzes Leben lang „Anhänger“ dieses Klubs sind.
  9. Immer wieder setzen sich Fußballexperten mit der Frage auseinander, ob Einzelkämpfer oder Mannschaftsleistungen wichtiger sind. Die Antwort ist völlig klar: Man braucht in einem Mannschaftssport beides. Wer nur von Mannschaft spricht, ignoriert, dass jeder Einzelne wichtig ist. Wer den Einzelkämpfer rühmt, meint in Wahrheit, dass die anderen nicht so wichtig wären. Beides ist kompletter Unsinn.
  10. Unzählige Berichte werden auch der Frage gewidmet: Wird ein Spiel durch Glück oder durch mentale Kräfte geprägt? Auch da kann nur ein „Sowohl als auch“ richtig sein. Selbstverständlich ist immer auch Glück im Spiel. Selbst bei den mental starken Deutschen. Und doch zählt die Psychologie heute unverzichtbar zu jedem Sport.
  11. Dass Fußball immer aggressiver wird, wissen Unfallstationen seit langem. Das scheint (leider) kaum reversibel. Dennoch ist es unfassbar, dass sich Strafgerichte nicht um absichtliche schwere Körperverletzungen kümmern. Wie sie etwa gegen den brasilianischen Star Neymar von Hunderten Millionen gesehen wurden.
  12. Das Schimpfen über Schiedsrichter ist so alt wie deren Tätigkeit. Diese wird nun freilich noch mehr erschwert, seit Dutzende Kameras bei großen Spielen das Geschehen verfolgen, seit Super-Zeitlupen die Entscheidungen der Schiedsrichter bisweilen als Unsinn zeigen. Diese tun einem daher zunehmend leid. Vielleicht wird auch im Spitzenfußball jedes Team eines Tages etwa zweimal das Spiel unterbrechen können, damit der Schiedsrichter die Fernsehbilder studieren kann.
  13. Wieso werden Radfahrer ständig des Dopings überführt; beim Fußballs werden aber fast nie verbotene Substanzen nachgewiesen?
  14. Gigantisch sind die Zahlen der Fernseh-Zuschauer in aller Welt. Die Fernsehanstalten jubeln. Auch der ORF. Aber ein näherer Blick zeigt: In einem kaufmännisch oder journalistisch geführten Unternehmen würde es jetzt Sondersitzungen geben. Denn nicht weniger als eine halbe Million Österreicher hat etwa beim Finale den übertragenden deutschen Sender dem ORF vorgezogen! Offensichtlich ist nun auch der letzte Bereich von der Krise des Staatssenders erfasst worden.
    Aber der Konsument kann sich freuen. Hat er doch heute fast überall die Auswahl unter vielen Sendern. Es wurmt den Konsumenten nur zweierlei. Einerseits muss er für den bloßen Besitz des Geräts an die Minderheitspartei SPÖ, pardon: den ORF allmonatlich seinen Zwangstribut leisten. Und zweitens ärgert er sich täglich, weil er keinen einzigen Sender findet, der sachlich über die heimische Innenpolitik informiert.

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung