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Mega-Anschlag auf das Konzerthaus

Der Bau des Ringturms war in der Geschichte Wiens der wohl übelste Anschlag auf das Bild der Wiener Innenstadt. Jetzt aber soll ein zweiter „Ringturm“ an einem noch viel wichtigeren und noch viel schöneren Platz des Stadtzentrums gebaut werden. Den Wienern bleibt ob dieses Vorhabens einer betuchten Investorengruppe der Mund offen. Aber diese Gruppe hat die Unterstützung der rotgrünen Rathauspartie. Einer dieser „Investoren“ hat sogar selbst die Frechheit, sein Projekt mit dem hässlichen Ringturm zu vergleichen.

Die Profiteure-Gruppe will ein Hochhaus in eine der schönsten Gegenden Wiens neben das Konzerthaus knallen, also neben eines der schönsten Jugendstil-Gebäude Wiens. Lediglich das Hotel Intercontinental ist weniger erbaulich. Aber es ist mit 39 Metern nur ziemlich genau halb so hoch wie der auf eine Höhe von gigantischen 73 Metern geplante Neubau. Damit ist das Projekt eine viel ärgere Verschandelung als der einstige Bau der Städtischen Versicherung und der Zentralsparkassa. Denn der Ringturm steht in einer Gegend, da es am Donaukanal in den letzten Kriegstagen viele Zerstörungen gegeben hat, wo sich also kaum Tourist hinverirrt.

In der Konzerthausgegend sieht man hingegen sehr viele. Der schon weitestgehend ausgedealte Städtebau-Skandal neben dem Konzerthaus stellt alles in den Schatten, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Wien passiert ist. Was ohnedies viel ist: Von der breitflächigen Zerstörung Neustifts über den Anschlag auf das Casinos Zögernitz bis zur Zerstörung des Blicks von der Josefstädter Straße auf den Dom.

Die provozierende Höhe des Ringturms hatte in den Nachkriegsjahren wenigstens noch zu heftigen Protesten und Debatten geführt. Heute hingegen scheinen sich Kapitalverwertungsinteressen undurchsichtiger Stiftungen, hemmungslose Architekten und die – eigentlich – für die Rettung der Stadt zuständigen Rathausbehörden bei der neuen Verhässlichung Wiens absolut einig zu sein.

Über das Warum dieser Einigkeit kann man zwar ohne konkretes Beweisstück nicht schreiben. Aber Bewohner der Stadt haben ohnedies keinen Zweifel an den Zusammenhängen. Im neuen Hochhaus kann jedenfalls jeder Quadratmeter extrem teuer verkauft werden. Dabei winken die höchsten Preise, die je in Wien für ein Neubauprojekt erzielt worden sind.

Zu Recht. In fast jede Richtung wird der Blick der künftigen Eigentümer AUS dem Hochhaus wunderbar. Eine Ausnahme ist nur jene Seite, wo man in den unteren Etagen des neuen Hochhauses das Intercontinental als Gegenüber hat. Aber ansonsten schaut man auf Stadtpark, Konzerthaus, Biedermeierviertel, Beethovenplatz und hat in den höheren Etagen einen Blick über die ganze Innenstadt. Besser geht’s eigentlich nicht mehr. Freilich nur, wenn es um Geld und nicht um Kultur oder Ästehtik oder um den Blick AUF das Hochhaus geht.

Auch wenn raffinierte Modellaufnahmen, aus denen die Höhe des Projekts nicht ersichtlich wird, den katastrophalen Eindruck verwischen wollen, so ist doch klar: Wien ist noch nie durch ein Projekt mit einem Schlag so hässlich geworden. Höchstens die unerträglich großen Klötze des AKH sind mit dem jetzigen Vorhaben vergleichbar; die stehen aber wenigstens in Gürtel- und nicht in Stadtnähe und haben „nur“ den einstigen berühmten Blick vom Kahlenberg aus ruiniert. Es ist übrigens kein Zufall, dass gerade beim AKH-Bau die Korruption explodiert ist.

Offen ist einzig: Wie weit hat auch der letztlich für die Genehmigung persönlich zuständige Bürgermeister da auch persönlich seine Hand im Spiel? Will er wirklich mit so einer dramatischen Dissonanz seine Karriere beenden? Vorerst dürfte er jedenfalls – mit oder ohne Weinglas in der Hand – genau beobachten, ob sich die Wiener noch zu wehren versuchen oder vom Trommelfeuer der Geschäftemacher schon erschöpft sind.

Jedenfalls wird von den Planern auf den derzeit auf diesem Grundstück etablierten Wiener Eislaufverein mehr Rücksicht genommen als auf das Bild der Stadt in einem ihrer bisher schönsten Bereiche. Die Eisläufer haben gekämpft und gewonnen, indem es weiter auf einem Teil des Areals einen Eislaufplatz geben soll. Das ist zwar eigentlich ein Randthema, auch wenn es sehr erfreulich ist, dass mitten in der Stadt eine winterliche Sportmöglichkeit besteht. Der wird jedenfalls auf einem kleinen Teil des Areals weiterbestehen.

Am Rande: Für die Sommermonate war die Verwendung des Platzes immer problematisch. Tennisplätze, Liegestühle: Nichts davon war wirklich ein nachhaltiger Erfolg, der dem winterlichen Eislaufen glich. In früheren Zeiten hatten dort übrigens im Sommer die lustigen wie harmlosen Freistilringer ihre Show abgezogen. Fette Männer traten martialisch gegeneinander an, taten sich dabei aber nie richtig weh. Auf den Rängen ging es besonders urwüchsig zu: Dort hörte man jenes nicht druckreife Vokabular an kreativen Kraftausdrücken, das heute nur noch in anonymen Internet-Postings zu finden ist.

Zurück zum Gemeinde-Projekt. Es hätte auch Hunderte andere Varianten gegeben, was mit diesem Grundstück passieren könnte. Solange das Konzerthaus nicht überragt wird und der Blick auf das Gebäude nicht beeinträchtigt wird, ist wirklich vieles möglich. Auch wenn klar ist: Kein Alternativprojekt wird in die diversen zum Teil unbekannten Kassen so viel Geld fließen lassen, wie ein 73 Meter hohes Hochhaus. Das ein ganzes Stadtviertel entstellen wird.

Damit man neben dem Hochhaus noch Platz für den Eislaufplatz hat, soll dieser zum Teil auf den jetzigen Gehsteig und die jetzige Fahrbahn hinausgedrängt werden. Was ja nichts anderes heißt, als dass man öffentlichen Raum okkupiert, damit im neuen Hochhaus all die diversen „Interessen“ bedient werden können. Das sollte einmal ein anderer Hausbauer versuchen: Weil er zu wenig Platz hat, wird einfach öffentlicher Grund okkupiert. Einem solchen Häuslbauer würde wohl bald der Sachwalter drohen.

Die Hoffnungen der Wiener haben ein letztes verzweifeltes Ziel: die UNO-Kulturorganisation Unesco. Diese hat mit der Vergabe – und dem Entzug! – des Titels „Weltkulturerbe“ ein wirksames Instrument in der Hand. Vor allem ein Entzug wäre ein weltweit hörbarer Paukenschlag. Die Unesco-Welterbe-Instanzen haben damit schon mehrere Anschläge des Macht-Netzwerkes verhindern können, die auf Wien versucht worden waren.

Diese Hoffnungen sind allerdings klein: Denn die SPÖ hat offensichtlich gelernt. Sie hat begriffen, dass die Unesco ihren schmierigen Geschäften im Weg stehen kann. Heute sitzt – natürlich ganz zufällig – eine prononcierte Sozialistin im Vorsitz von Unesco Austria, die einst sogar direkt im Kabinett eines SPÖ-Kanzlers und Parteivorsitzenden Befehle entgegenzunehmen gelernt hat. Was halt hervorragend passt.

Daher sollten sich die Wiener auf die Unesco nicht mehr allzusehr verlassen. (Auch wenn dort eigentlich ein gesondertes Komitee über das Welterbe entscheidet). Fast müsste man es gar nicht mehr extra erwähnen, so klar ist das angesichts des Rathaus-Filzes: Im Konglomerat der Eigentümer-Vertreter stößt man auf den Namen eines prominenten SPÖ-Mannes, der sogar eine Zeitlang Staatssekretär gewesen ist. Natürlich auch reiner Zufall.

Skandalös und ernüchternd ist jedenfalls, dass sich die Wiener Stadtplaner für dieses Projekt aussprechen. Die haben offenbar alle Hemmungen und jedes Gefühl für die Stadt verloren – oder sie liegen eng an der Leine der Partei. Eine dritte Erklärungsmöglichkeit für ihr Verhalten wäre so schlimm, dass ich sie gar nicht denken will. Tatsache ist jedenfalls: Bei den Stadtplanern ist jede stadtästhetische Sensibilität verloren gegangen.

Auch von Exponenten des Konzerthauses, also vom unmittelbar betroffenen Nachbarn, hört man keinen Widerspruch. Das erstaunt nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten erinnert man sich: Das Konzerthaus sitzt seit seiner – an sich grandios gelungenen – Renovierung auf einem riesigen Schuldenberg. Jede Wette: Die sich seit Jahren dem Konzerthaus gegenüber taub stellende Gemeinde wird beim Abbau dieses Schuldenbergs plötzlich sehr hilfreich sein, sofern von diesem Nachbarn kein Einspruch gegen das Projekt kommt.

Was soll in diesen Turm hinein? Es wird vor allem von Eigentumswohnungen gesprochen. Was ich auch sofort glaube. Denn der Andrang von russischem und ukrainischem Fluchtgeld auf Wiener Spitzenlagen nimmt derzeit noch immer ständig zu. Wer wird angesichts der gewaltigen Preise, die man erzielen kann, schon allzu genau hinschauen, ob das Geld vielleicht ein bisschen schmutzig ist? Können doch alle so schön daran verdienen. Und natürlich redet man in diesen Tagen nicht sonderlich gerne davon, dass sich in Wien derzeit gerade solche dubiosen Käufer einzukaufen versuchen.

Es packt einen die nackte Verzweiflung. Man möchte all diesen geldgierigen „Bauträgern“ und den ja ganz bestimmt objektiven Stadträten und „Stadtplanern“ zurufen: Geht doch nach Aspern, geht nach Favoriten, geht nach Simmering! Dort könnt ihr so hoch und so viel bauen, wie ihr wollt! Aber lasst doch endlich die paar wenigen Ecken Wiens in Ruhe, die noch schön sind, deretwegen die Touristen noch in die Stadt kommen. Und vielleicht könnt ihr es aushalten und werdet nicht verhungern, wenn halt ein paar Russen und Ukrainer weniger nach Wien kommen!

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

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