Wer vor mehr als zehn Jahren einen Raubüberfall begangen hat und nicht rechtzeitig erwischt worden ist, kommt heute straffrei davon, auch wenn er den Raub offen gesteht. Wer vor mehr als drei Jahrzehnten an der Universität abgeschrieben hat, wird hingegen mit der Höchststrafe belegt. Nämlich mit der sozialen Ächtung, dem nationalen Gespött und der möglichen Vernichtung einer Existenz. Der deutsche Rechtsstaat muss sich in seiner gegenwärtigen Fassung den gewaltigen Vorwurf machen lassen, völlig verzerrt zu agieren.
Nach dem einstigen deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg trifft das nun die amtierende Bildungsministerin Annette Schavan. Ihr ist von ihrer einstigen Uni der Doktortitel wegen Plagiats-Passagen in ihrer Doktorarbeit aberkannt worden. Schavans Fall bringt die unnötige Häme in Erinnerung, die sie einst zum Fall Guttenberg gezeigt hat. Deshalb kann man auch durchaus schmunzeln. Fast eine Form einer höheren Gerechtigkeit.
Angesichts der damals angewendeten Maßstäbe müsste jetzt auch Schavan zurücktreten. Dies wäre in Hinblick auf die Tatsache doppelt logisch, dass sie ja ausgerechnet für Bildung zuständig ist. Und daher irgendwie auch all das für gut und toll finden muss, was sich an den Universitäten abspielt. auch wenn diese zum Unterschied von Österreich dort Landessache sind (was ein ORF-Korrespondent offenbar nicht wissen muss).
Viele werden dennoch Verständnis haben, dass sie nicht zurücktritt, sondern den Rechtsweg einschlägt. Da dieser langwierig ist, wird er die CDU wohl über den Wahltag bringen. Vor Gericht wird es ja nicht nur darum gehen, die fehlenden Fußnoten zu zählen, sondern auch darum, ob deswegen gleich ein komplettes Studium als wertlos erklärt werden kann. Und nicht zuletzt wird die Rolle der Universität selbst zu prüfen sein, die ja mit der Annahme der Dissertation offenbar einst selbst geschlampt hat. Ist es in Ordnung, dass sie den eigenen Fehler 33 Jahre nachher mit der Vernichtung der Existenz des zweiten Schuldigen durch Aberkennung von dessen Doktortitel bestrafen kann? Kann man doch in diesem Zeitraum nicht nur einen Raub dreimal verjähren lassen, sondern sogar nicht vorhandene Eigentumsrechte ersitzen.
Seit Guttenberg hat sich die Weltgeschichte jedenfalls in mehrfacher Hinsicht ein deutliches Stück weitergedreht (der Minister, nicht der Buchdrucker ist gemeint).
Seither sind wir etwa mit einem sozialistischen Ministerpräsidenten in Rumänien konfrontiert, der sich mit noch viel ärgeren Methoden seinen akademischen Grad erschlichen hatte. Der Mann denkt aber gar nicht an Rücktritt. Und seine sozialdemokratischen Fraktionsfreunde in Deutschland und Österreich stellen sich massiv hinter ihn, während sie gleichzeitig reihenweise Schavans Rücktritt fordern. Was die Glaubwürdigkeit ein wenig reduziert.
Seither ist man sich auch viel stärker bewusst geworden, dass die meisten Universitäten heute zu Wärmestuben der – im normalen Leben unbrauchbaren – Altachtundsechziger geworden sind. Diese haben nicht nur das Niveau der deutschen und österreichischen Unis stark hinuntergedrückt; viele von ihnen haben offensichtlich auch den ganzen Tag Zeit, in alten Dissertationen nach abgeschriebenen Passagen ohne vollständige Fußnotenausweise zu fahnden.
Das gilt besonders für den Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften. Interessante Bücher und Analysen von Historikern oder Ökonomen etwa gibt es fast nur noch im angelsächsischen Raum zu finden. Bei uns sind die meisten Exponenten dieser Disziplinen maximal zu Fußnotenakrobaten geworden.
Kluge Arbeitgeber wissen daher längst, was sie von vielen Fakultäten zu halten haben.
Politisch spannend wird aber die Reaktion von Angela Merkel, die Schavan vorerst im Amt belässt. Ist auch ihr bewusst, dass sich die Sichtweise auf das Thema gewandelt hat? Wagt sie es deswegen, eine Woche lang böse Medienkommentare zu schlucken, bis die Meinungsumfragen mit Sicherheit zeigen werden, dass die Deutschen das mehrheitlich ganz anders sehen als die Leitartikler?
Auf der anderen Seite ist aber auch klar: Wenn Schavan wirklich auf Dauer bleibt, dann wird Guttenbergs Abgang in einem völlig neuen Licht stehen. Er wird dann an oberster Stelle in der Liste jener Männer stehen, die Merkel als politische Konkurrenten gezielt gemordet hat. Schavan hingegen ist für sie keine Konkurrentin, sondern eine harmlose Verbündete, die weiterleben darf. Auch keine angenehme Perspektive für die Bundeskanzlerin.
PS.: Jeder ehrliche Journalist wird zugeben müssen, dass er ständig von den vielen Gedanken profitiert, die er irgendwo aufschnappt. In einem Mail, in einer Zeitung, in einem Gespräch, in einem Buch, im Internet. Und jeder gibt solche Gedanken dann irgendwann einmal wie selbstverständlich als eigene aus. Schon deshalb, weil er meist vergessen hat, wo er diesen oder jenen Gedanken eigentlich her hat. Ob ihm etwas selbst eingefallen ist, oder ob er es irgendwo gelesen hat. Das halte ich keine Sekunde für etwas Böses. Man sollte nur bereit sein, zu den geäußerten Gedanken auch zu stehen. Und man sollte überdies imstande sein, Fakten immer belegen zu können. Freilich: Buchstaben für Buchstaben abzutippen ist ein sehr mühsamer Prozess. Das aber hatte Schavan tun müssen, wenn sie in den damaligen Vor-Computer-Zeiten ein Zitat aus ihrem Zettelkasten in die Dissertation eingebaut hat.
PPS.: Jeder ehrliche Politiker wird zugeben müssen, dass von ihm gehaltene Reden nicht immer von ihm geschrieben worden sind. Die einzige mir bekannte Ausnahme ist übrigens Wolfgang Schüssel: Er hat bis auf die Regierungserklärung nie Reden abgelesen. Er war nämlich nicht einmal imstande dazu.
PPPS.: Auch jeder Besitzer (beispielsweise) eines Maturazeugnisses wird zugeben müssen, dass er dieses Ziel keineswegs ohne Abschreiben erreicht hat. Sei es bei Schularbeiten, sei es bei Referaten: In Schulen herrscht seit jeher die Devise: abschreiben und abschreiben lassen. Und wenn einer einmal erwischt wird, droht als Höchststrafe eine Wiederholung der Arbeit. Aber dazu muss man ihn gleich erwischen und nicht 33 Jahre später.
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Wenn man eine Doktorarbeit erst nach 30 Jahren als "unsauber" erkennt, spricht das nicht gerade für die Universität und deren "Personal" und wenn das bei eine(m)r Politiker(in) in einem entscheidenden Wahljahr geschieht, nicht gerade für die Aufdecker.
Ob Frau Schavan zurücktritt oder nicht, muß sie vorerst einmal mit ihrem Gewissen und ihrer Partei vereinbaren. Warum die ganze Sache allerdings Frau Merkel schaden soll, begreife ich nicht. Sie war weder ihr Doktovater, noch sonst irgendwie an Schavans Universitätsabschluß beteiligt und schon gar nicht haben sich die beiden vor 30 Jahren gekannt oder ausgetauscht.
Da tritt offensichtlich allzu viel Wunschdenken ihrer Gegner zutage.
Zum Glück muß sich unser sozialistischer Kanzlerdarsteller nicht mit derartigen Problemen herumschlagen, hat er doch nach eigenen Angaben nur kurz an der Universität zugehört und vermutlich auch so manch anderes rotes Regierungsmitglied. Tu felix austria...............
P.S.: Ich habe Dr. Schüssel immer schon für seine völlig freie Redebegabung bewundert.
Wo findet man das heute noch bei Politikern in höchsten Ämtern?
"Wolfgang Schüssel: Er hat bis auf die Regierungserklärung nie Reden abgelesen. Er war nämlich nicht einmal imstande dazu"
ohje, hoffentlich kommt jetzt keiner von den Linksgenossen auf den Gedanken, Schüssel's Doktorat anzufechten mit der Begründung, er sei nicht einmal des Lesens kundig?
Plagen Deutschland nicht größere Sorgen, als der aberkannte Doktortitel einer Ministerin?
Ich sage nur: Stuttgart 21, Berliner Flughafen, Elbphilharmonie = ein Millionen- bzw. Milliardengrab nach dem anderen und dazu Milliardenhilfen an marode EU-Südstaaten. Da kommen massive wirtschaftliche Probleme auf die neue Regierung im Herbst zu und dann wird ein Doktorhut der Wahlschlager der Saison? Man faßt es nicht.
Es finden sich zwar Plagiatsjäger, die sich durch eine mehrere hundert Seiten umfassende Doktorarbeit wühlen, aber offenbar kein Kontrollor der oben erwähnte Ausschreibungen und Verträge überprüft, so daß niemand mehr durchblickt.
Nebenbei bemerkt, selbst ein Kinderschänder darf sich auf Grund der 30-jährigen Verjährungsfrist nach wie vor im EU-Parlament wichtig machen, aber selbstverständlich nur ein LINKER!
Das ist insgesamt ein trauriges Kapitel in unserer so aufgeklärten Jetztzeit:
Vernaderei, übles Anpatzen, bewusstes Anfeuern oft unbewiesener Anschuldigungen speziell vor Wahlen (denken wir an Schüssel und seine Schwiegermutter!), all das sind "Stinkbomben" billiger Politgangster und deren williger Medienbüttel, meist mit Garantie extremer Wirksamkeit!
Ob das "Vergehen" der Frau Schavan damals sozusagen "handelsüblich" oder doch ahndungsberechtigt war, werden andere Instanzen entscheiden.
Jedenfalls war es vor einigen Jahrzehnten noch nicht ganz so einfach wie heute im Computerzeitalter, auf Knopfdruck die ganze Geistesklugheit unserer Welt appetitlich vor sich ausgebreitet zu sehen!
(mail to: gerhard@michler.at)
reinhard.horner@chello.at
Die Aberkennung des Doktorats ohne gleichzeitige Sanktion gegen die Begutachter der Doktorarbeit und die Beurteiler der Rigorosen ist ein Skandal der Sonderklasse.
Die betreffende Universität gehört an den Pranger gestellt. Da gibt es ja offensichtlich keine Verjährungsfrist.
Intellekt, Intelligenz setzt, neben einer Reihe anderer Eigenschaften voraus, Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden zu können. Guttenbergs Versagen bestand nicht darin, daß seine akademische Arbeit - vorsichtig gesagt - schwächelte, der Mann selbst war ein Schwächling. Hinter seiner in unterbrechungsloser Penetranz dauerkultivierten Selbstdarstellung als Macher- und Erfolgstyp stand ein Schwächling, dessen Versagen im Kern seiner Zuständigkeit in der Einführung des Berufsheeres gipfelte. Er war in seinem Amt zu feige, vor die Bürger zu treten, und ihnen diese ihre Pflicht abzuverlangen - und damit gleichzeitig auch das zu verteten, was viele als ihr gutes Recht gesehen haben - nämlich ihre Teilnahme an einer nationalen militärischen Sicherheitspolitik. Zum Dank für diese Bequemlichkeit und für die Erfüllung des Traumes von Goldman & Sucks, Bilderberger und Konsorten, nämlich dem deutschen Volk die Wehrhoheit zu entwinden und die deutschen Streitkräfte zu einer internationalen Interventionspolizei umzustrukturieren, die auf Zuruf der New York Times für fremde Interessen zu bluten hat, gehörte der Mann aus dem Amt gejagt. Ganz zu schweigen davon, das natürlich genau das eingetreten ist, was die eifrigen Wehrpflicht Zerstörer auch in Österreich allerorten ignoriert haben, nämlich das es zum Ersatz des Mengengerüstes der Bundeswehr mangels Wehrpflichtigen eben auch nicht nur annähernd zahlenmäßigen und geeigneten Ersatz aus freiwillig Dienenden gibt. Exakt das wurde ihm, neben einigen anderen vorhersehbaren Umständen, von verantwortungsbewussten Kommandeuren immer und immer wieder vorgerechnet. Der eitle und feige Prahlhans, dem die großen Fabrfotos von ihm und seiner Frau in den Gazetten aber wichtiger war, als alles andere, hat auch danebengegriffen in der Behandlung als oberster Disziplinarherr ind der Behandlung des Kapitäns der Gorch Fock nach einem tödlichen Unfall einer Kadettin. So wie Platter und Darabos in Österreich - jede Maßnahme nur mit Schielen auf das Lob aus den Redaktionen. Und so wie demnächst bekanntermaßen ja die Kronenzeitung mit den Generalen Pandi und Jeannee et consorten das Land verteidigen wird, so wird das ja in der Bundesrepublik die Springer Presse, allen voran die Bild Zeitung machen. Dank Guttenberg. Der im Niedergang, bitte auch das nicht aus den Augen zu verlieren, auch noch fest gelogen hat.
Frau Schavans fehlende Fussnoten sind dagegen eine Lappalie. Übrigens, hat schon wer das Maturazeugnis des österreichischen Bundeskanzlers ... ?
Wenn es okay ist, heute, 70 Jahre danach, Jugendliche, die ein Spottlied auf Ausschwitz mitsingen, jahrelang wegen "nationalsozialistischer Wiederbetätigung" einzusperren, dann muss es ganz einfach okay sein, jemanden wegen eines Plagiats vor 35 Jahren zu verfolgen.
Es fällt überhaupt auf, dass politische Auseinandersetzungen mit großem Hass geführt werden, mit der absoluten Absicht, politische Gegener existentiell zu vernichten, selbst wenn sie schon längst nicht mehr politisch aktiv sind (z.B. KHG). Hass ist geil, ausgenommen Rassenhass.