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Die Schnelligkeit, nicht die Instanzenzahl macht die Qualität einer Justiz

Eine funktionierende Justiz ist wichtiger für das Funktionieren von Staaten und Gesellschaften als viele der derzeit eifrig diskutierten Wahlrechtsdetails. Das hat sich in ganz Osteuropa nach der Wende gezeigt, das sieht man derzeit insbesondere in der Ukraine, wo Richter und Staatsanwälte willige Schergen der Macht sind. Aber auch in zweifellos besser entwickelten Rechtsstaaten wie etwa Österreich muss man viel besorgter auf die Justiz blicken, als es gemeinhin üblich ist. Das hängt keineswegs nur mit den Missständen in der Strafjustiz zusammen, wenngleich sie dort am auffallendsten sind. Aber heute sei der Blick einmal auf ganz andere Rechts-Defekte gerichtet.

Eine funktionierende Justiz braucht nicht nur gute Gesetze. Sie braucht auch charakterlich integre, unabhängige und dennoch fleißige Richter. Sie muss sich in einer modernen und schnellen Gesellschaft vor allem auch als Dienstleister, nicht als Obrigkeit verstehen. Das heißt: Sie soll schnelle und klare Entscheidungen liefern.

Gerichtsverfahren dauern länger

Bei all diesen Eigenschaften happert es. Nehmen wir nur die Schnelligkeit. Die hat sich im Lauf der Jahre ständig reduziert. Ein bekanntes Beispiel sind die immer länger dauernden Obsorge- und Besuchsrechtsentscheidungen. Diese dauern oft Jahre, obwohl es dabei nicht nur um Geld, sondern um Schicksale geht. Es ist völlig absurd, wenn etwa im Streit um eine zusätzliche Stunde Besuchsrecht teure und zeitraubende Sachverständige eingeschaltet werden. Das sind Fragen, die Richter mit Lebenserfahrung und Autorität in einem einzigen Tag entscheiden könnten. Aber gerade über solche Fragen urteilen allzu oft völlig unerfahrene Anfänger meist weiblichen Geschlechts. Denn die arrivierten Richter entziehen sich gerne den emotional belastenden Familienrechtsfragen und machen lieber Karriere.

Und als ob es nicht schon genug langwierige gerichtliche Zores rund um die Ehe gäbe, wollen zwei Juristen nun auch noch das Eherecht auf alle Lebensgemeinschaften ausdehnen. Mit allen Folgen einer Ehe, selbst wenn es keine Kinder gibt.

Natürlich kommt der Vorschlag wieder einmal von weltfremden Uni-Theoretikern. Können sich die denn gar nicht vorstellen, dass Menschen durchaus bewusst in Bereichen und Situationen ohne jede Menge Paragraphenfolgen leben wollen? Wenn sie hingegen diese Folgen haben wollen, können sie ja jederzeit heiraten (und wenn nur einer der beiden diese Folgen haben will, ist er wohl an den falschen Partner geraten). Erstmals muss ich da auch einmal die Ministerin Karl loben, legt sie sich doch gegen diese Forderung (noch) quer.

Sehr negativ wirkt sich auch die Internationalisierung des Rechts auf die Dauer des Verfahrens aus. Insbesondere der in Straßburg sitzende Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist Hauptursache unerträglicher Verzögerungen. Dieser EGMR ist eine an sich eine lobenswerte Einrichtung des ansonsten überflüssigen Europarates (nicht der EU, wie viele glauben). Er geht aber in Hunderttausenden Akten unter. Wer binnen fünf Straßburger Jahren eine Entscheidung bekommt, liegt voll im Durchschnitt. Manche Verfahren dauern aber samt den vorgelagerten nationalen Instanzen sogar mehr als zehn Jahre.

Das ist eine völlig irre Situation. Das hat nichts mehr mit Recht, sondern nur noch mit Rechtsverweigerung zu tun. Die rasch zunehmende Dauer der EGMR-Causen erinnert an den Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806. Damals waren beim Reichskammergericht Verfahren mit einer hundertjährigen Vorgeschichte anhängig.

Britischer Reformvorstoß abgelehnt

Der EGMR geht vor allem in Bagatellverfahren unter, während ein ukrainischer oder russischer Diktator auf viele Jahre seine politischen Opponenten ungehindert im Gefängnis verfaulen lassen kann. In beiden Ländern hat es zwar so etwas Ähnliches wie Wahlen gegeben, aber solange die Justiz auf Befehl der Machthaber agiert, muss man diese Länder als waschechte Diktaturen einordnen.

Angesichts der totalen Überlastung des Gerichtshofs ist es absolut unverständlich, dass die meisten anderen europäischen Länder den jüngsten britischen Reformvorschlag zurückgewiesen haben. Die Briten wollten den EGMR von vielen Pimperl-Verfahren befreien. Das ist aber von den anderen Ländern empört abgelehnt worden. Aus Feigheit, von irgendwem vordergründig kritisiert zu werden. Oder aus Ahnungslosigkeit in Hinblick auf die Bedürfnisse einer wirklichen Herrschaft des Rechts.

Summum ius, summa iniuria

Womit sich wieder der uralte Rechtsspruch bewahrheitet: Summum ius, summa iniuria. Wer das Recht auf die Spitze zu treiben versucht, sorgt für höchstes Unrecht. Die Gerechtigkeit wird nicht dadurch größer, dass man immer weitere Instanzen aneinanderreiht. Wenn diese Instanzenflut zu einer spürbaren Verzögerung führt, wird die Gerechtigkeit sogar kleiner. Denn solange ein Verfahren, ein Rechtsstreit im Ungewissen hängt, solange müssen sich ja beide Seiten als mögliche Verlierer fühlen. Es ist wichtiger, dass man die Chance hat, seinen Rechtssieg auch noch zu erleben, als dass sich davor allzu viele Richter und Anwälte darüber den Kopf zerbrochen haben. Das macht auch für den die Sache teuer und belastend, der schlussendlich gewinnt.

Weniger schlimm hat sich bisher der EU-Gerichtshof in Luxemburg entwickelt. Aber auch er stellt allzuoft de facto eine weitere Instanz mit Verzögerungswirkung dar (rein formal sei festgehalten, dass er häufig gar nicht als echte Instanz agiert; seine Entscheidungen werden vielmehr oft während der Unterbrechung eines nationalen Verfahrens eingeholt und abgewartet).

Problematischer ist, dass sich die Luxemburger Richter gerne auch in Dinge einmischen, die gar nicht EU-Kompetenz sind. Ein Musterbeispiel ist die vom EuGH herbeijudizierte Zulassung von Deutschen zu österreichischen Hochschulen, obwohl die Universitäten ausdrücklich nicht Kompetenz der EU sind. Ähnliches spielt sich jetzt in Sachen Ungarn ab: Beim Gerichtshof laufen jetzt Verfahren wegen der neuen ungarischen Gerichtsorganisation, obwohl auch diese Gerichtsorganisation keine EU-Kompetenz ist. Aber seit dem Vertrag von Lissabon maßen sich die EU und ihr Gerichtshof ja letztlich eine Generalkompetenz über alles und jedes zu. Als argumentatives Vehikel werden die Grundrechte benutzt, die natürlich irgendwie in jedem einzelnen Sachverhalt involviert sind.

Grün und Blau erzwingen neue Instanz

Während die meisten akzeptieren, dass ein gemeinsamer europäischer Binnenmarkt ein gemeinsames Gericht  braucht, kann man das, was sich jetzt in Österreich anbahnt, überhaupt nicht mehr verstehen. Denn hier droht eine Neuregelung, die jedem Verfahren eine weitere Instanz hinzufügt. Jede Partei soll künftig nach einer (bisher eigentlich Rechtskraft auslösenden) Entscheidung des Obersten Gerichtshofes auch noch den Verfassungsgerichtshof anrufen können. Dieser hat – wiederum mit Hilfe des sehr allgemein gehaltenen Katalogs der Grundrechte – eine Argumentationsebene, die jeder Rechtsanwalt in jeden Rechtsstreit einbringen kann.

Wenn dieser Rechtszug zum VfGH wirklich künftig jedem offen steht, wird es zu einer Explosion der Verfahrensdauer in allen Rechtsstreitigkeiten kommen. Und Österreich wird sowohl als Wirtschaftsstandort wie auch als Rechtsstaat in allen Rankings weiter absinken.

Wer will diesen Wahnsinn? Abgesehen von ein paar lebensfremden und an sich unbedeutenden Universitätsprofessoren sind es erstaunlicherweise die FPÖ und die Grünen, die die Hauptschuld daran tragen. Die Regierung braucht nämlich in einer anderen Materie die Zustimmung zumindest einer Oppositionspartei zu einem Verfassungsgesetz. Und Grün wie Blau wollen diese Zustimmung nur geben, wenn der Instanzenzug zum Verfassungsgerichtshof allgemein geöffnet wird.

Ob sie wissen, was sie damit anrichten?

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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