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Die Milchmädchenökonomen und das Wachstum

„Wir wollen Wachstum, statt uns zu Tode sparen.“ Dieser Slogan hallt quer durch Europa, er bestimmt zunehmend die Politik und noch mehr die Wahlergebnisse. Der Satz klingt sympathisch, angenehm und richtig. Wer will schon sterben? Und wer sollte etwas gegen Wachstum haben, mit dessen Erträgnissen man die Schulden zurückzahlen kann? Nur die Grünen und Gruppen wie Attac habe lange gegen einen „Wachstumsfetischismus“ polemisiert – aber auch sie sind heute bis auf ein paar Veteranen des Clubs of Rome voll fürs Wachstum (schon deshalb, weil die Grünen ja nur noch eine Vorfeldorganisation der Sozialisten sind). Wachstum ist in der Tat dringend notwendig und richtig. Aber dennoch beinhaltet dieser Slogan einen fundamentalen Denkfehler – wenn nicht gleich mehrere.

Der entscheidende Unterschied zwischen der ökonomischen Rationalität und dem sich hinter der Fahne „Wachstum!“ sammelnden Milchmädchen-Populismus lautet ganz anders als der eingangs erwähnte Slogan. Rund ums Wachstum geht es in Wahrheit einzig um die Frage: Wachstum durch neue Schulden oder Wachstum durch größere Wettbewerbsfähigkeit?

Wenn man es noch brutaler auf den Punkt bringen will: Wachstum wie die letzten eineinhalb Jahrzehnte in Griechenland und Spanien oder Wachstum wie schon zweieinhalb Jahrzehnte lang in China und etlichen anderen asiatischen Ländern? Überall wurde gewachsen. Aber die Griechen und Spanier sind auf Schulden gewachsen (staatliche oder private), während die Asiaten gleichzeitig mit dem Wachstum den größten Devisen-Schatz der Menschheitsgeschichte angesammelt haben.

Wachstum nach griechischer Art

Der quer durch Europa klingende Ruf „Wieder Wachstum!“ meint aber leider eindeutig eine Prolongation des griechisch-spanischen Modells und seine Ausdehnung auf andere Länder. Was war das griechische Modell? Man hat die Löhne steil erhöht – seit Euro-Einführung um 30 Prozent mehr als in Deutschland; man hat das über rasch steigende Schulden finanziert (die man zum Teil verheimlicht hat); die Bürger haben im nationalen Konsens den Staat ausgeplündert; und Beamte wie Politiker haben im jeweiligen Eigeninteresse letztlich begeistert mitgemacht. Diese Politik des Konsum-Wachstums über Verschuldung war dank des Euro sehr lange auf billigem Wege möglich. Genau diese Niedrigzinsen haben ja auch die Spanier verführt. Sie haben quer durchs Land mit Hilfe günstiger Hypotheken in Immobilien investiert. Sie haben alle schönen Plätze ihre Landes zubetoniert, bis diese nicht mehr schön und nichts mehr wert waren.

Politiker haben die Entwicklung in diesen Ländern als Triumph des neokeynesianischen Deficit spending gelobt und vielerorts nachgemacht. Das ging so lange, bis die Geldgeber schockartig und zu spät draufgekommen sind, dass sie nur noch rasch schwindende Chancen haben, ihr Geld auch zurückzubekommen.

Jetzt stehen diese Länder vor dem doppelten Problem: Sie müssen eine gewaltige Schuldenlast zurückzahlen und zugleich die verlorene Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen. Denn parallel zum Wachstum des auf Schulden erkauften Wohlstands ist die Wettbewerbsfähigkeit jener Länder versulzt. Die Löhne waren zu hoch. Deshalb investierte niemand mehr in neue Arbeitsplätze. Und selbst der Tourismus litt in beiden einst sehr attraktiven Ländern, weil andere Mittelmeer-Destinationen billig blieben.

Die Hilfs-Billionen gingen in den Konsum

Es ist nun alles andere als eine triviale Aufgabe, in dieser Situation wieder für Wachstum zu sorgen. Die Milliarden, nein Billionen, mit denen die Hauptkrisenländer Europas von den – sich vergewaltigt fühlenden – Miteuropäern in den letzten zwei Jahren unterstützt worden sind, haben nur gereicht, um den unmittelbaren Kollaps zu verhindern. Sie haben aber zu keinen Investitionen geführt. Das Geld hat nur den Konsum halbwegs in Gang gehalten.

Und nichts anderes als auf Schulden finanzierte weitere Konsumausgaben bedeuten auch die ersten Maßnahmen, welche die neuen französischen Machthaber angekündigt haben. Die Schulstarthilfe wird um 25 Prozent erhöht. Die Franzosen werden wieder mit 60 Jahren in die Regelpension gehen können. Bestimmte Sparmodelle werden besser gefördert. Die von Sarkozy angekündigte Mehrwertsteuererhöhung wird rückgängig gemacht. Der Benzinpreis wird auf drei Monate eingefroren. Und so weiter.

Genau für solche populistische Verteilungsaktionen braucht die neue Hollande-Mannschaft angesichts der ohnedies total leeren Kassen viel Geld. Da Frankreich selber kaum mehr kreditfähig ist, will man sich dieses Geld mit Hilfe der Deutschen holen, indem man vorgibt, das Wachstum ankurbeln zu wollen. Und sollten sich die Deutschen wehren, hat man schon zwei Killer-Argumente bereit: Zum ersten muss sich Angela Merkel – zu Recht – vorhalten lassen, dass sie ja auch gegenüber Nicolas Sarkozy viel zu oft nachgegeben hat. Und zum zweiten glaubt man ringsum in Europa, dass man am Ende nur die Nazikeule herausholen muss, um die Deutschen wieder in die Knie zu zwingen. Denn die hat ja auch in den letzten 67 Jahren immer geholfen.

An dieser simplen Strategie ändert es auch nichts, dass diese Keule inhaltlich lächerlich ist, sind doch die letzten Nazis bestenfalls noch in Altersheimen anzutreffen oder halbdebile Fussballrowdies. Daran ändert es auch nichts, dass mit den Deutschen auch Niederländer, Finnen, Luxemburger oder Österreicher mithaften. Und daran ändert ebenso die Tatsache nichts mehr, dass mittlerweile auch die Kreditwürdigkeit von Deutschland & Co limitiert ist. Die großen chinesischen und arabischen Staatsfonds, die amerikanischen Pensionsfonds und zum Teil auch die russischen Mafia-Oligarchen ziehen ihr Geld immer stärker aus ganz Europa ab. Sie wollen es ja nicht verlieren, was in Europa zunehmend wahrscheinlich wird: sei es durch einen Staatsbankrott, sei es durch eine Euro-Inflation.

Wie aber kann dieser Kontinent doch wieder ins Wachsen kommen? Ist Europa unwiederbringlich zum Abstieg verurteilt, weil seine Politiker – siehe Hollande – Geld immer lieber zur Wählerbestechung verwenden statt zur Erhöhung der Kreditwürdigkeit des Landes?

Die Liste der wirklichen Notwendigkeiten

Nun gibt es durchaus Strategien, auch ohne neue Schulden wieder wettbewerbsfähig zu werden und zu wachsen. Das sind im Grund die asiatischen Erfolgsstrategien. Aber diese Strategien sind noch unpopulärer als der Sparkurs. Denn sie gelten als Bedrohung für viele der sozialen, ökologischen und kulturellen Errungenschaften, an die sich die Europäer so gewöhnt haben und die ihnen von den Politikern als dauerhaft verkauft worden sind. Die Strategien heißen:

  • Rückbau der Löhne auf deren relative Höhe bei Einführung des Euro (also etwa in Griechenland minus 30 Prozent);
  • Privatisierung zumindest all jener staatlichen und kommunalen Betriebe, bei denen Wettbewerb wirksam werden kann: von den Universitäten über die Müllabfuhr und Stromerzeugung bis zu den Zügen (das bringt überall im Schnitt nach internationalen Erfahrungen 15 bis 20 Prozent Verbilligung);
  • Steuervereinfachungen, um Investitionen anzulocken;
  • Herunterschrauben der ökologischen Auflagen auf das Niveau der wichtigsten Konkurrenzländer;
  • Restriktive Einwanderungspolitik (also insbesondere auch der großzügigen Familienzusammenführung), die künftig nur noch jene Menschen nach Europa lässt, deren Fähigkeiten hier wirklich gebraucht werden könnten;
  • Abbau aller Kündigungsbarrieren: Denn je schwieriger es ist, jemand zu kündigen, umso weniger sind Arbeitgeber gewillt, neue Mitarbeiter anzustellen;
  • Abbau des Kündigungsschutzes von Beamten mit Ausnahme der Richter und der mit Bescheiderteilungen befassten Beamten;
  • Umstellung des Pensionssystem auf ein echtes Versicherungssystem: Das heißt: Die Leistungen dürfen nur noch dem versicherungsmathematischen Wert der Einzahlung entsprechen; und wer nicht genug eingezahlt hat, bekommt erst ab einem relativ hohen Alter zwischen 65 und 70 eine Mindestsicherung;
  • Abbau von allen fortschrittsfeindlichen Tabus, etwa in den Bereichen Gen und Hormon;
  • Drastische Erleichterung der Neugründung von Firmen;
  • Massiver Abbau von Vorschriften, welche die Wettbewerbsfähigkeit reduzieren und Kosten verursachen: Von Quotenregelungen bis zu Gleichstellungsbeauftragten.

Jeder Kenner der europäischen Mentalität wird zweifeln, dass eine solche Wachstumspolitik in Europa jemals mehrheitsfähig werden kann. Sie bekommt daher wohl dann erst dann eine Chance, wenn es Europa einschließlich der Deutschen (und Österreicher) noch viel schlechter geht als heute.

Viel wahrscheinlicher ist daher ein anderes Szenario: Europa wird in nächster Zeit noch viel intensiver Geld drucken als zuletzt. Was zwangsläufig eine heftige Inflation auslösen wird. Und dann kann man wohl nur noch beten, dass diese Megainflation nicht dieselben katastrophalen Folgen haben wird wie die letzte in der Zwischenkriegszeit. Denn dann heißt die Konsequenz: „Statt auf dem mühsamen Weg zu wachsen, haben wir uns zu Tode verschuldet.“ 

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

 

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