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Der Weg von der Europa-Begeisterung zur Depression

Verheerender kann die Stimmung kaum sein: Nur noch 29 Prozent der Österreicher halten es für einen Nutzen, der Europäischen Union anzugehören. Schon 42 Prozent sehen darin einen Nachteil. So wie diese IMAS-Umfrage zeigen auch viele andere Indizien ein deprimierendes Image der Union. Dagegen rücken zwar regelmäßig die journalistischen, diplomatischen und politischen EU-Verteidiger zum Tadel für die Österreicher aus, all die Vorteile Europas nicht zu verstehen. Doch das ändert nichts. Denn die politisch-mediale Klasse hat ja längst jede Glaubwürdigkeit verloren.

Haben damit jene nachträglich Recht bekommen, die schon immer gegen die österreichische EU-Mitgliedschaft gewesen sind? Gewiss nicht. Denn jede ernsthafte Analyse zeigt, dass Österreich ohne die EU ökonomisch einen katastrophalen Weg gegangen wäre. Genauso klar ist aber auch, dass nichts falscher und schädlicher ist als die mancherorts gepflegte quasireligiöse Europaduselei.

Der Autor darf das mit einer gewissen Legitimation sagen: Er war der erste politische Journalist, der schon in den frühen 80er Jahren für den vollen Beitritt zu den europäischen Gemeinschaften eingetreten ist. Das hat ihm damals viel Tadel eingebracht – insbesondere von Außenamt und Wirtschaftskammer und den Grünen sowieso, die sich heute alle als die Erfinder Europas gerieren. Heute sind die Polsitionen vertauscht. Heute ist der eigene Blick auf die EU sehr kritisch und damit auch selbstkritisch geworden.

Die Union in der Existenzkrise

Die EU hat nicht bloß ein Vermarktungsproblem, wie man sich in Brüssel einreden will. Wir haben nicht nur eine extrem gefährliche, viele Länder erfassende Schuldenkrise. Sondern es stellt sich auch erstmals die Existenzfrage der EU selber.

Bedeutete vor zwei Jahrzehnten der EU-Beitritt für Österreich einen großen Schritt Richtung Modernisierung und Öffnung eines zur Nabelbeschau neigenden Landes, einen Akt der Durchlüftung und Befreiung aus dem erstickenden Mief der allumfassenden großen Koalition und dem real existierenden österreichischen Sozialismus, so hat die EU-Mitgliedschaft heute die gegenteilige Funktion.

In den 80er Jahren war die EU (damals: EG) ein grandioses Bollwerk der Freiheit, der Marktwirtschaft, der Idee eines grenzenlosen Binnenmarkts souveräner Nationalstaaten als Gegenmodell zur kollabierenden kommunistischen Planwirtschaft Osteuropas. Heute ist sie eine Agentur der sinnlosen Umverteilung zu Trittbrettfahrer-Nationen geworden. Heute versucht sie die europäischen Bürgern in präpotenter Art zu entmündigen. Kommission, Rat, Parlament und Gerichtshof wollen wie ein totalitärer Staat immer mehr menschliche Lebensbereiche reglementieren. Immer öfter ertappt man sich daher bei dem Gedanken: Liegt die einzige Überlebenschance Europas etwa gar in einer Neugründung?

Natürlich hatten EWG/EG/EU schon von Anfang an viele Konstruktionsfehler, etwa die Bevorzugung kleiner Mitgliedsstaaten bei Mandatszahlen und Stimmgewichtung. Wenn Malta oder Zypern in vielen Gremien genauso stark wie Deutschland oder Großbritannien sind, dann ist das schlicht undemokratisch.

Aber diese Konstruktionsfehler waren nicht so bedeutend, als es einst nur um eine Wirtschaftsgemeinschaft und dann einen Binnenmarkt ging, die man im Konsens aufbaute. Der freie Fluss und Wettbewerb von Waren, Dienstleistungen, Geld und Arbeitskräften vergrößerte den Wohlstand aller. Die Katastrophe trat erst ein, als sich die Union immer stärker auch zur wohlfahrtsstaatlichen Transferunion und zum überregulierenden Großen Bruder zu entwickeln begann.

Eine Luxemburgerin personifiziert den Absolutheitsanspruch

Die subjektive Lust der Brüsseler Akteure an der Macht ist nachvollziehbar, aber dennoch verderblich. Für mich wird sie etwa durch jeden Auftritt von Viviane Reding verkörpert. Die einstige Journalistin einer kleinen Zeitung (für die ich übrigens auch gelegentlich aus Österreich berichtet habe) stammt aus dem kleinen Luxemburg mit 500.000 Einwohnern. Heute ist sie Kommissarin „für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft“ von mehr als 500 Millionen Menschen. Alleine der Faktor 1000 würde wohl bei vielen ausreichen, um einen Machtrausch auszulösen. Bei Reding kommt hinzu, dass sie aus dem Titel ihres Ressorts auch eine allumfassende inhaltliche Kompetenz ableitet.

Niemand wagt mehr, sie in die Schranken zu weisen. Weder die Mitgliedsländer noch der schwache Kommissionspräsident Barroso. Freilich: Es gibt keine Materie, die nicht irgendwie mit Justiz oder Grundrechten in Zusammenhang zu bringen wäre. Reding ist keine Juristin, sondern Anthropologin, geriert sich aber als Vorgesetzte von 27 Justizministern – und der gesamten Justiz. In den Kompetenzen der Kommission sind allerdings in der Tat neben der Hauptfunktion Exekutive sowohl Gesetzgebung wie Rechtsprechung enthalten. Diese primären Staatsgewalten werden von anderen Verfassungen streng getrennt. Nicht so in der EU.

Dementsprechend präsentiert sich die Luxemburgerin als Großinquisitorin gegen Ungarn, dem sie Vertragsverletzungen vorwirft – weil dort eine Regierung mit Zweidrittelmehrheit das tut, was auch sonstwo (etwa ein Stück donauaufwärts) Regierungen auch ohne Zweidrittelmehrheiten tun, nämlich alle Spitzenfunktionen mit eigenen Leuten besetzen. Am nächsten Tag will sie den unabhängigen Gerichten Österreichs vorschreiben, dass sie den Diffamierungs-Kampagnen des korrupten Diktators von Kasachstan gegen dessen geflüchteten Ex-Schwiegersohn gehorchen sollen. Sie fordert von Österreich in Sachen Korruption bestimmte Maßnahmen (kümmert sich aber kaum um die gigantische Misswirtschaft mit EU-Geldern). Sie will per Gesetz(!) Europas Aktiengesellschaften einen bestimmten Frauenanteil in den Aufsichtsratsjobs vorschreiben. Sie kritisiert den Inhalt niederländischer Webseiten. Sie zwingt die Versicherungen zu Einheitsverträgen für Männer und Frauen (trotz grob unterschiedlicher Risken). Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Aber es wäre zu einfach, das Problem Europas auf eine Personalie zu reduzieren, auch wenn die noch so signifikant ist. Das Problem liegt schon in den unsauberen Verträgen. So kann sich der EU-Gerichtshof über alle in Sonntagsreden beschworene Subsidiarität und föderale Aufgabentrennung hinwegsetzen und mit den Staaten weit willkürlicher umspringen, als etwa die Republik Österreich mit den Bundesländern. Beispielsweise zwingt der EU-Gerichtshof Österreich zur Gleichbehandlung deutscher Studenten – obwohl die Universitäten ausdrücklich von der EU-Kompetenz ausgenommen sind, obwohl manche Studienrichtungen unter dem Ansturm zusammenzubrechen drohen.

Brüsseler Neojosephinismus

Die EU mischt sich auch in tausend andere Dinge wie Glühbirnen, Isolierungen von Hauswänden, Rauchverbote, Gleichbehandlung von Geschlechtern bei der Arbeitsplatzsuche oder die Anzahl von Kindern in Kinderkrippen ein. All das ist zur Herstellung eines gemeinsamen, wohlstandsmehrenden Binnenmarktes überhaupt nicht notwendig und in Österreich vielfach nur Bundesland-Kompetenz.

Für all diese Unsinnigkeiten ist es keine Entschuldigung, dass sie in einer Art Neojosephinismus vielleicht gut gemeint sind. Hinter der Regulierungswut steckt oft eine Allianz zwischen den EU-Beamten und den jeweiligen Fachministern, die mit ihren Anliegen national oft – und zu Recht – nicht durchdringen. Das trifft insbesondere Orchideenressorts wie jene für Frauen oder Umwelt. Nirgendwo in der EU-Maschine gibt es Instanzen oder Menschen, die sagen würden: Hört endlich auf, ihr regulierungswütigen Sozialtechnokraten, das Leben und die Freiheit der Europäer immer mehr abzuwürgen. Man kann hinter der Entwicklung auch eine ideologische Attacke sehen: Die linken Gegner von Freiheit und Marktwirtschaft, die in fast allen Ländern in den letzten Jahren von der Macht vertrieben worden sind, haben nun die EU als ihre Lieblingsplattform entdeckt.

Zugleich aber ist die EU völlig hilflos in jenen Dingen, wo es wirklich ein funktionierendes Europa bräuchte.

  • Sie pumpt seit Jahrzehnten riesige Summen in den Süden – und hat damit dessen Probleme nur noch verschlimmert, weil er jede Selbstverantwortung und Anstrengung verlernt hat.
  • Sie führte in vielen Ländern eine gemeinsame Währung ein – und scheiterte völlig daran, diese zur notwendigen Budgetdisziplin anzuhalten.
  • Sie spricht von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – und kann diese in keiner einzigen relevanten Frage gestalten.
  • Sie verhandelt mit der Türkei über einen Beitritt – und ignoriert feige, dass diese widerrechtlich ein Stück EU-Territoriums in Zypern besetzt hält.
  • Sie verleiht nun Serbien den Status eines Kandidaten – und kann dennoch weder durchsetzen, dass Serbien den Kosovo anerkennt, noch dass die Blockadeaktionen von Serben an den Grenzen des Kosovo aufhören.
  • Sie hat vor vielen Jahren die Einführung eines EU-Patents beschlossen – und kann sich nicht einmal auf Standort und Arbeitssprachen des Patentamtes einigen.

Wir haben dort viel zu viel Europa, wo wir es nicht brauchen. Und wir haben viel zu wenig davon, wo es unbedingt funktionieren sollte.

Dieser Beitrag erscheint in ähnlicher Form in der soeben erschienenen neuen Ausgabe der Zeitschrift "Academia".

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