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Welche neuen Taten setzen die Piraten?

Nichts geht mehr. Diese Erkenntnis führt immer mehr Länder Europas in vorzeitige Neuwahlen. Nach diesen wird freilich auch nicht mehr gehen als heute. Anderswo häufen sich die Neugründungen von Parteien so sehr, dass niemand mehr den Überblick über die vielen Begehren, Initiativen, Gruppierungen hat, die von frustrierten Altpolitikern und von zu recht Empörten gegründet worden sind. Keine einzige davon kommt wirklich über den Mief verrauchter Hinterzimmer heraus – mit einer einzigen, völlig unerwarteten Ausnahme: Das sind die Piraten, die in einigen Ländern plötzlich an die zehn Prozent Unterstützung haben. Was sind die nun wirklich wert? Und: Muss man sich vor ihnen fürchten?

Mit einem Satz: Vieles an ihnen ist überraschend frisch, fast befreiend; etliches ist völlig unklar; und manches ist unerfreulich.

Es ist spannend, die Piraten mit den eine Generation davor gegründeten Parteien zu vergleichen. Das sind die europäischen Grünparteien, die heute alt geworden sind, jedoch die Redaktionsstuben sowie Universitätsinstitute mit massiven Mehrheiten beherrschen. Auch die 68er Bewegung schien anfangs befreiend zu wirken, wenngleich von Anfang an ihre Nähe zu Gewalttaten und zu totalitär-marxistischem Gedankengut sehr bedenklich war.

Inzwischen ist von dem frischen Wind der Grün und Alternativ-Bewegung nichts mehr zu spüren. Sie kämpfen im Gegenteil heute praktisch nur noch für eine Einschränkung der Gedanken- und Handlungsfreiheit. Sie tun dies auf eine zelotische Art und Weise, die an die mariatheresianischen Kontrollen des Kirchganges erinnert.

Alleine der grüne Sprachterror in Sachen Genderismus und Politisch Korrekten Wörtern, die man anstelle böser unkorrekter Wörter verwenden soll, stößt freiheitsliebenden (und sprachsensiblen) Menschen sauer auf. Ganze Bibliotheken lassen sich mit grünen Vorschriften füllen, was man alles nicht essen darf (vom Fleisch bis zu importiertem Obst), welche Kleidung man nicht tragen darf (vom Pelz bis zu Kunststoffen), was man alles nicht kaufen darf (von Glühlampen bis zu benzingetriebenen Autos), was man alles keinesfalls tun darf (vom Fliegen bis zum Wählen irgendwelcher Parteien, die nicht grün oder rot und daher a priori faschistisch sind), was alles zu bekämpfen ist (von jedem Straßenbau bis zu jedem Flugplatz).

Während die Grünen in den 70er und 80er Jahren das Schulsystem noch mit einigen spannenden Alternativschulprojekten bereichert haben, sind sie heute verbiesterte Anhänger einer neunjährigen zwangsweisen Einheitsschule. Während sie einst für die sexuelle „Befreiung“ – eigentlich Promiskuität – gekämpft haben, sind sie heute puritanische Exponenten eines ergrauten Radikalfeminismus, der fast den Eindruck erweckt, am liebsten alle Männer kastrieren zu wollen. Während sie in ihrer Jugend selbst des öfteren heftig mit dem Strafgesetz kollidiert haben, sind sie heute ständig als Denunzianten unterwegs, die am liebsten täglich eine Strafanzeige erstatten.

Kein Wunder, dass sich eine junge Generation gelangweilt von einer alten und fast totalitär anmutenden Bewegung abwendet. Daran kann nicht einmal das letzte Relikt etwas ändern, das an die wilden grünen Jahre erinnert, nämlich das grüne Engagement für Drogenkonsum. Am Versiechen der Grünen ändert auch ihre kurzfristige Wiederbelebung nichts, die einige Wochen lang durch die panikmachenden Schlagzeilen der Medien in Sachen Fukushima ausgelöst worden ist.

Rote oder schwarze Parteien können diese Abenddämmerung der erfolgreich durch die Institutionen marschierten und jetzt der Pensionierung entgegenjammernden Grünen nicht nutzen. Sie sind dazu selbst viel zu stark von grünem Gedankengut durchdrungen.

Profitiert haben viel stärker jene Bewegungen, die als Rechtspopulisten zusammengefasst werden. Sie können in der Jugend durch den Mut punkten, mit dem sie die Megaprobleme durch Zuwanderung und Islamismus ansprechen, die von rot-grün-linksliberal-christlichen Gutmenschen total verdrängt und geleugnet werden.

Und in jenen Ländern wie Deutschland, wo der Rechtspopulismus keine Sammelbecken gefunden hat, erfüllen die Piraten eine ähnliche Funktion. Freilich ist ihr Hauptanliegen, mit dem sie über Nacht relevant geworden sind, nicht das Ausländerthema, sondern die Computerfreiheit. Noch auffälliger ist, dass sie sich ganz an den traditionellen politischen Kanälen vorbei strukturiert haben: Weder Plakate, Broschüren noch Zeitungen, weder Demonstrationen, NGOs, Sozialpartner noch Promis haben ihr Aufblühen begleitet.

Die Piraten erfrischen noch aus weiteren Gründen: So sind sie absolut gegen den feministischen Quotenschwachsinn, der von den Grünen ausgehend über die Roten nun auch schon die Schwarzen erreicht hat. So strahlen sie mehr Humor und Lockerheit als alle anderen Parteien aus. So akzeptieren sie Mitglieder, die davor im pubertären Suchen nach möglichst provokativen Attitüden etwa auch bei neonazistischen Gruppen angestreift haben. So lassen sie viele für die alten Parteien zentrale Themen wie den Afghanistankrieg thematisch einfach links liegen. So wissen sie nicht einmal mit den Begriffen „links“ und „rechts“ etwas anzufangen.

Alleine dieser Verzicht, zu jedem Thema eine von oben bis unten durchdeklinierte Meinung zu haben, ist nicht nur jugendlich, sondern auch angenehm – und ehrlich. Wird doch bei den anderen Parteien die durchdeklinierte Meinung ohnedies nach Belieben und Wahltaktik geändert. Man denke in Österreich etwa nur an die wilden roten Wendungen in Sachen Wehrpflicht, die schwarzen in Sachen Neutralität, oder die blauen in Sachen Flat tax.

Dieser frische Wind der Piraten weht zweifellos viele junge Menschen wieder in die politische Welt zurück, die zuletzt eher zum desinteressierten Nichtwählen tendiert haben.

Sie sind natürlich eine reine Generationenpartei. Sie identifizieren sich primär nicht wie die Grünen durch nächtelange Pseudo-Basisdemokratie in verrauchten Hörsälen, sondern durch ihre elektronischen Kommunikationsformen. So wie etwa auch jede Generation ihren eigenen Musikstil entwickelt hat, entwickelt jede Generation auch politische Moden. Sie tut dies auch deshalb, um sich selbst definieren und von der Vorgängergeneration abheben zu können. Man denke nur an die 20er Jahre mit ihren roten Jugendmoden, die 30er mit ihren braunen, die Nachkriegszeit mit ihren schwarzen, die dann wieder von Rot und Grün und Rechtspopulisten abgelöst wurden.

Was freilich nicht bedeutet, dass jemals eine Generation zur Gänze irgendeinem Trend gefolgt wäre. Es geht natürlich immer nur um relative Veränderungen der Einstellung einer bestimmten Alterskohorte. Daher hat es während aller Grün- oder Piraten-Moden immer auch rot oder schwarz fühlende Jugendliche gegeben.

Klar sollte auch schon jetzt sein, dass die Piraten-Mode eines Tages wieder vorbei sein wird; dass sich die Gruppierung vielleicht phasenweise in eher rechte und eher linke Piraterie aufspalten wird; dass die Piraten wohl schon in einem Jahr wieder ganz anders aussehen werden als heute; und dass sie sehr rasch ihre Ausstrahlung verlieren werden, sobald sie irgendwo in die politische Machtbeteiligung hineingeraten sind. Auch die Piraten werden einmal erwachsen werden und draufkommen, dass politische Entscheidungen eine ernstere und mühsamere Angelegenheit sind als ein Piratenkostüm auf einem Faschingsfest.

Und natürlich ist auch ihr eigentliches Thema, die Computerfreiheit, nicht nur positiv zu sehen. Denn angesichts der überwiegend männlichen und von nächtlichem Surfen und Twittern und Facebooken blassen Burschengesichter geht man wohl nicht ganz fehl in der Annahme, dass wir hier nicht zuletzt eine Interessenvertretung jener jungen Männer haben, die möglichst ungehindert elektronische Pornographie konsumieren wollen. Das ist zwar ein altersbedingt und hormonell vielleicht erklärbares Anliegen, stellt aber keine wirkliche Bereicherung der Menschheit dar.

Dennoch ist der Kampf für Computerfreiheit ein wichtiges Signal: Hat doch in den letzten Jahren die politisch korrekte Einengung auch das Internet zu erfassen begonnen. Die Polizei sucht mit elektronischer Überwachung nach Kinderporno-Konsumenten; hochentwickelte Software screent alle Foren und Chatrooms nach bösen Worten ab, die man als rechtsradikal kriminalisieren kann.

Damit wird einer ohnedies sehr an den Rand gedrängten jungen Generation einer der letzten Fluchträume genommen, wo sie tun und denken konnte, was sie wollte. Die Jungen haben zwar nicht mehr die Kraft oder die Lust zu Demonstrationen – die künstlich geschürte Medieneuphorie über die angeblich 99 Prozent Sympathisanten der „Besetzt-die-Wallstreet“-Zeltlager ist ja nur ein später Nachklatsch des Medien-Aktionismus der Jahre nach 1968. Aber die Jungen haben sich dafür schnelle und erstaunlich effiziente Organisations-Kanäle geschaffen, mit denen sie über Nacht zu einem politischen Faktor geworden sind.

Am schmerzhaftesten sind sie für die Grünen. Erstens weil diese nun zum zweiten Mal (nach dem Rechtspopulismus, der ja auch noch blüht) ihr einstiges Abonnement auf die jungen Stimmen verloren haben. Und zweitens weil sich die Aktivität der Piraten gegen eine tragende Kerngruppe der Grünen richtet: nämlich gegen die Kunstszene, also jene Menschen, die mit meist möchtegern-progressiver Musik viel Geld machen. Die Piraten wollen aber jede Form von Raubkopien straffrei machen. Das ließe  die grüne U-Musik-Szene über Nacht verarmen .

Die Piraten haben auch die viel modernere Form der innerparteilichen Demokratie als die Grünen. Online-Entscheidungen sind schnell, objektiv und transparent. Dies gilt vor allem im Vergleich zur grünen Basisdemokratie, bei der sich immer jene Gruppe durchsetzt, die am geschlossensten halbe Nächte in verrauchten und zerredeten Hörsälen durchhält, bis sie die Mehrheit hat. Das bringt naturgemäß weder qualitativ noch quantitativ brauchbare Ergebnisse.

Die Grünen haben in Österreich sogar die Möglichkeit der Online-Wahl der Hochschülerschaft bekämpft. Was bei vielen jungen Menschen als ziemlich steinzeitlich angekommen ist.

Ganz sicher sind die Piraten jedenfalls nichts, vor dem man sich fürchten müsste. Im Vergleich mit den Grünen schon gar nicht.

Was hält nun der wertkonservativ-liberale Tagebuchschreiber selbst von den Piraten? Nun, mit Werten wie Heimat, Leistung oder Familie haben diese nicht allzu viel am Hut – sie scheinen diese Werte aber auch nicht so hasserfüllt zu bekämpfen, wie dies Rot und Grün tun. Umso mehr haben die Piraten mit dem Wort „Freiheit“ zu tun. Das lässt zumindest die liberale Hälfte meines Herzens jubeln. Auch wenn ich kein Anhänger von Urheberrechtsdiebstahl und Pornographie bin, fürchte ich mich doch mehr vor der in jeden Computer hineinspionierenden Staatsgewalt.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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