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Die Zukunft des Euro

Als ich Mitte der 90er Jahre einen Halbtag an einem spannenden Seminar mit Milton Friedman teilnehmen durfte, schrumpfte der Mann in meinen Augen vom großen Mythos auf seine physische Größe zusammen. Die bekanntlich sehr gering war. Mir war klar: Der Nobelpreisträger wollte originell sein. Was immer am leichtesten geht, wenn man der großen Mehrheit der Ökonomen widerspricht.

Denn Friedman warnte die Europäer heftig vor der Einführung des Euro. Das klang nicht nur originell, sondern auch nach typischer Interessenpolitik einer Großmacht: Die USA bangten um die Rolle des Dollar als Weltreservewährung, die ihnen viele Dividenden bringt.

Seit dem Vorjahr baut sich mein Milton-Friedman-Mythos aber langsam wieder auf. Friedman hatte wohl nicht mit seiner gänzlichen Ablehnung des Euro recht, aber dennoch war seine Kritik richtig: So wie der Euro eingeführt wurde, war es ein schwerer Fehler!

Kurz darauf konnte ich in einem Hintergrund-Gespräch mit einem Euro-freundlichen Finanzminister eines großen (nicht deutschsprachigen) EU-Landes die Friedman-Thesen durchdiskutieren: Was ist, wenn Euro-Länder trotz der Maastricht-Kriterien undiszipliniert sind, wenn sie den Forderungen der Gewerkschaften ständig nachgeben, wenn sie große Defizite produzieren, wenn sie Gehälter und Preise schneller steigen lassen als andere Länder beziehungsweise schneller, als der Produktivitätszuwachs erlaubt? Ein solches Land kann ja im Euro-Raum die eigene Währung nicht abwerten. Damit fehlt die wichtigste Gegenmaßnahme, durch die früher die „Erfolge“ der Gewerkschaften regelmäßig wieder wertlos geworden sind.

Die Antwort jenes Finanzministers war richtig und logisch: „Den bestrafen die Märkte.“

Wenn Griechenland für Anleihen 23 Prozent Zinsen zahlen muss und Deutschland nur 1,6 Prozent, dann ist der Unterschied die Strafe der Märkte (auch wenn sich deren Höhe tagtäglich ändert).

Die Frage ist nur: Ist es richtig, dass auch die Europäische Zentralbank, die EU und die sich solidarisch erklärenden Euro-Staaten jetzt gemeinsam mit den Griechen diese Strafen zahlen? Sind wir da nicht genau in der Situation des in der Literatur oft beschriebenen Verschwenders, der immer Besserung schwört, wenn er den reichen Onkel anpumpt? Und der alle Schwüre vergisst, sobald er das Geld hat . . .

Erfolge und Misserfolge der Griechen 

Was haben die Strafen nun konkret in Griechenland bewirkt? Da stehen etliche Erfolge auch vielen Misserfolgen gegenüber.

Die Erfolge:

  • Die griechische Regierung hat in einem Jahr 5 Prozent des BIP eingespart. Das klingt harmlos, das hat aber fast noch nie ein Land außerhalb von Kriegszeiten geschafft.
  • Der Konsum der Griechen ist in einem Jahr um rund 15 Prozent zurückgegangen.
  • Die Importe sind sogar um mehr als 30 Prozent gesunken.

Unabhängig von der disziplinierenden Wirkung von Strafen kommt auch aus einer anderen Ecke ein Hoffnungsstrahl: Den Griechen dürfte im Sommer 2011 ein Tourismus-Boom bevorstehen: Die Buchungen sind trotz der Abschreckung durch Fähren- und Fluglotsenstreiks stark gestiegen. Dieser Boom ist Folge der noch viel größeren Skepsis der Touristen gegenüber Ägypten und Tunesien.

Positiv ist prinzipiell auch, dass die Miteuropäer diesmal schon Monate vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit Griechenlands Maßnahmen zu diskutieren begonnen haben. Sie tun sich freilich dennoch mit der Antwort schwer. Denn die übereilte und falsche Husch-Pfusch-Aktion des Mai 2010, als Griechenland 110 Milliarden Hilfe zugebilligt worden sind, erweist sich immer mehr als katastrophaler Fehler mit langfristigen Folgen. Und diese können nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Den Erfolgen stehen viele Negativa gegenüber:

  • Griechenland hat erst ein volles Jahr nach dem ersten Hilfspaket die Investmentbank fixiert, die das Land bei der versprochenen Privatisierung beraten soll. Das ist keinesfalls ein Zeichen von Ernsthaftigkeit.
  • Eine griechische Ministerin hat zugegeben, dass auch heute noch für tausende Leichen Gehälter oder Pensionen kassiert werden.
  • Die vielen Hinweise auf Korruption und Nachlässigkeiten bei der Steuereintreibung sind nicht geringer geworden.
  • Trotz der harten Maßnahmen sind die exorbitanten Gehaltssteigerungen im öffentlichen Dienst Griechenlands seit der Einführung des Euro noch immer nicht ganz kompensiert worden (Im Vergleich zu deutschen Beamten haben die griechischen seit Einführung des Euro 30 Prozent mehr Gehaltserhöhungen bekommen).
  • Die aggressiven Streiks und Demonstrationen gegen die Sparmaßnahmen zeigen, dass ein guter Teil der Bevölkerung noch keineswegs den Ernst der Lage erkennt.

Neben diesen Enttäuschungen sollte man auch die gefährlichen und noch viel wichtigeren psychologischen Wirkungen einer neuen Griechenland-Hilfe auf andere Euro-Staaten nicht ignorieren. Diesen wird ein ganz falsches Signal gesendet: „Es gibt immer einen, der Euch herauspaukt.“ Das ist in einem Europa, welches das Prinzip Eigenverantwortung ohnedies weitgehend verlernt hat, sehr gefährlich.

Noch schlimmer aber ist, dass die EZB als Hüterin der Stabilität umgefallen ist. Sie hat mit Taschenspielertricks die eigenen Regeln und den eigenen Auftrag umgangen und steht nun mit einem Tresor voller wertloser griechischer Staatspapiere da. Auch wenn die genaue Summe geheimgehalten wird, ist klar, dass die EZB bald Bedarf an Kapitalerhöhungen haben wird. Die Zentralbank wurde als Mülldeponie missbraucht. Und sie ließ es sich gefallen.

Keine Euro-Krise, sondern eine Schuldenkrise

Rund um den Mai 2010 gab es fast keinen Politiker, der die Hilfsaktion für Griechenland nicht damit begründet hätte, dass man damit den Euro rette. Das war aber die Unwahrheit. Es gab und gibt keine Euro-Krise, sondern eine schwere Schuldenkrise vieler Staaten (in und außerhalb der EU). Diese Krise wäre auch ohne Euro schlagend geworden. Das Wort Euro-Krise haben nur die Spin-Doctoren der Politik zur Ablenkung von der politisch verursachten Schuldenkrise erfunden. Die Euro-Gegner hingegen wollen durch dieselbe Wortwahl etwas ganz anderes bewirken, nämlich gleich den Euro zu killen.

Viele Industrieländer bekommen heute aber in Wahrheit die Rechnung dafür serviert, weil sie verleitet von populistischen Politikern massiv über ihre Verhältnisse gelebt haben. Das trifft – mit nationalen Unterschieden – in den meisten Ländern sowohl die staatliche wie auch die private Verschuldung.

Diese Schuldenkrise muss zu dramatischen Folgen führen, deren Details freilich noch offen sind. Am wahrscheinlichsten ist eine signifikante Intensivierung der Inflation. Durch eine Inflation können viele europäische Staaten ihre Schulden am leichtesten in den Griff bekommen. Das gilt tendenziell auch für die derzeitigen Vorzugsschüler Deutschland, Niederlande und Österreich.

Die Einführung des Euro ist hingegen trotz der Schuldenkrise vieler Länder ein großer Erfolg: Sie hat vor allem den Industrie-orientierten Ländern eine starke Verbesserung der Handelsbilanz ermöglicht. Die Importländer können ihnen nicht mehr durch ständige Abwertungen den Markt rauben. Exporteure sparen ferner teure Transaktionskosten, etwa die Absicherung gegen Währungsschwankungen.

Aber dennoch ist klar: Rund um die Einführung des Euro sind katastrophale Fehler begangen worden, die heute seine Erfolge überschatten. Der zentrale politische Fehler war, dass die eigenen Regeln nicht ernst genommen worden sind. Man hat dadurch auch viele solcher Länder in den Euro-Raum aufgenommen, welche die Bedingungen nicht erfüllen.

Es hat zwangsläufig negative Beispielsfolgen, wenn Politiker die selbst gesetzten Regeln ignorieren. Wer einmal lax bei den Regeln ist, wird meistens nie mehr ernst genommen.

Die wichtigsten Regelbrüche:

-         Die laut propagierten Stabilitätskriterien wurden in Wahrheit ignoriert. Es wurden von Anfang an Staaten aufgenommen, welche die Maastricht-Kriterien nicht einmal annähernd erfüllten. Dennoch hat damals die EU-Kommission dem Rat Land für Land „empfohlen“, die Kriterien „für eingehalten zu erklären“. Obwohl sie eindeutig nicht erfüllt waren.

-         Man hat ebenfalls auf Konsequenzen verzichtet, als später die beiden Schwergewichte Deutschland und Frankreich gegen diese Kriterien verstießen. Was vielen anderen erst recht Mut zur Sünde machte.

-         Im Mai 2010 wurde die No-Bailout-Klausel brutal verletzt. Der Artikel 125 des EU-Vertrages verbietet es ja ausdrücklich, dass die EU oder Mitgliedsländer für die Schulden eines anderen Mitgliedslandes einstehen.

-         Man hat auch seither die eigene Glaubwürdigkeit weiter demoliert: Die Zeitungsarchive sind voll der Ankündigungen, dass Griechenland, Irland, Portugal keine Hilfe benötigen – bis es wenige Tage später immer ganz anders war.

-         Man hat Griechenland nach dem Mai 2010 viel zu lang scharfen Druck in Richtung auf echte Reformen erspart.

Dafür wurde an einer anderen EU-Regel festgehalten: nämlich an der Notwendigkeit einer nationalen Kofinanzierung, wenn ein Land EU-Förderungen in Anspruch nehmen will. Die Griechen haben aber kein eigenes Geld mehr für diese Kofinanzierung und dadurch für sie reservierte Milliarden aus dem EU-Budget verloren. Das ist zwar eine an sich sinnvolle Regel – sofern man akzeptiert, dass die EU eine Transferunion ist, in der Länder und Regionen vor allem im Süden des Kontinents seit Jahrzehnten von Zuschüssen anderer leben und dadurch der Selbstverantwortung total entwöhnt worden sind. Aber im Falle Griechenlands zeigt die Kofinanzierungsregel, dass sie jedenfalls nicht immer sinnvoll ist.

Wie auch immer die Causa Griechenland weitergeht: Es gibt große Gefahren für die Stabilität auch vieler anderer europäischer Staaten. Es gibt aber keine unmittelbare Gefahr eines Zerfalls des Euro. Die nach einem Zahlungsausfall Griechenlands erwarteten wilden Kursausschläge der Währung werden sich binnen kurzem wieder stabilisieren. Der Euro wird erst dann zerfallen, wenn die EU als Ganzes zerfällt. Was freilich – aus ganz anderen Gründen – nicht mehr so unwahrscheinlich ist wie vor zehn Jahren.

Viel größer ist aber jetzt schon die Gefahr, dass Staaten ihre riesigen Schuldenlasten nur noch durch Inflationierung loswerden können. Sie wollen das auch insgeheim. Denn es ist praktisch, wenn man edle Ziele wie Euro-Rettung und Solidarität vorschieben sowie den Handel und „Spekulanten“ als Schuldige geißeln kann, statt sich selbst zur Verantwortung für die eigene Schuldenwirtschaft bekennen zu müssen.

(Dieser Text erscheint in einer ausführlichen Version in „Der Hauptstadtbrief“ einem in Berlin erscheinenden Dienst für Top-Entscheidungsträger.)

 

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