Akademische Proletarier des Landes, vereinigt Euch!

Die gebetsmühlenartig wiederholte Forderung nach Erhöhung der Akademikerquote ist zurückzuweisen. Begabungsreserven innerhalb einer Bevölkerung sind nicht beliebig ausweitbar. Es ist dem deutschamerikanischen Philosophen Leo Strauss unbedingt zuzustimmen, wenn er moniert, dass „… the human desire for making education accessible to everyone leads to an ever increasing neglect of the quality of education.“ Denn wahre Bildung will keine verschulten und gedankenarmen Ausbildungsprogramme für konsumfreudige und passive Stoffauswendiglerner, sondern versteht sich als anspruchsvollen und fordernden Dienst am Gemeinwesen.

Wenn Strauss von den Universitäten erwartet, eine Geistesaristokratie heranzubilden, um der Demokratie zu dienen, steht dies im diametralen Gegensatz zur zentralen Forderung „Freie Bildung für alle“ der linken Politiker und mitfordernden ÖH- Funktionäre und Medien. Strauss moniert, dass ein falsch verstandener Egalitarismus im Bildungswesen zwangsläufig zur Senkung des Niveaus für alle führen muss. Nicht nach Geschlecht, Herkunft, Ethnie oder Geldbeutel soll die Rekrutierung des Universitätsnachwuchses erfolgen, sondern nach Eignung und Talent, oder wie Strauss leicht pathetisch formuliert, für jene, „who have ears to hear.“ Freie Bildung für alle und die ständige Ausweitung der Studentenzahlen ist kontraproduktiv für alle Beteiligten. Die Begabten langweilen sich in mittelmäßigen Studiengängen und Lehrveranstaltungen, die weniger Begabten tummeln sich oft in für sie falschen Fächern, von denen sie sich den leichten Erwerb eines akademischen Titels versprechen.

Das Leben des akademischen Proletariats

Dass die einseitige Konzentration auf einen falsch verstandenen Egalitarismus innerhalb der Bildungslandschaft mit dem Aufkommen der Massenuniversitäten Dysfunktionalitäten begünstigte, hat der große französische Soziologe Pierre Bourdieu schon 1979 in seinem Buch „Die feinen Unterschiede“ ausführlich empirisch belegt und treffend beschrieben. Schon damals, als das Wort Akademikerarbeitslosigkeit in Österreich noch ein Fremdwort war, spricht Bourdieu von einer „geprellten Generation“ von Studenten aufgrund einer „Phase der Inflation von Titeln.“

Geprellt deshalb, da die hoffnungsfrohen Jungakademiker sich von einer akademischen Ausbildung berufliche Aufstiegschancen und Karrieren erwarteten, die ein Universitätsstudium allerdings nur solange erfüllte, als die Universität noch keine Massenuniversität war. Durch die euphemistisch so genannte „Demokratisierung der Schule“ lernten die Studenten im Universitätsbetrieb mehr „Relegation und Eliminierung“ als soziale Mobilität nach oben kennen.

Studierende seien vielfach mit einem „Auseinanderklaffen von Aspirationen und Chancen“ und einem „Kampf gegen berufliche Deklassierung“ konfrontiert. Bourdieu beklagt die Abwertungstendenz akademischer Titel, die in Wechselwirkung mit der steigenden Zahl und Inflationierung von Titelträgern stehe. Personen mit akademischen Abschlüssen verrichten mittlerweile Arbeiten, für die früher die Matura ausreichte, was bei den Betroffenen ein Gefühl der „permanenten Statusinkompetenz“ hervorruft:

„Die strukturelle Dequalifizierung, […] in deren Folge sich alle mit dem Gedanken vertraut machen müssen, für ihre Bildungstitel weniger zu erhalten, als ihre Vorgängergeneration, ist Grund jener kollektiven Desillusionen, durch die diese geprellte und frustrierte Generation dazu gebracht wird, ihre mit Ressentiment geladene und vom Schulsystem genährte Revolte auf alle Institutionen auszudehnen.“

Diese Ressentiments haben sich 30 Jahre nach Bourdieus Studie mit der Audimaxbesetzung auch in Österreich voll entladen und speisen sich aus unterschiedlichen Entwicklungen. So steigt in Österreich die Akademikerarbeitslosigkeit langsam aber kontinuierlich an, da seit den 1990er Jahren die „Schwammfunktion des öffentlichen Sektors“ deutlich nachgelassen hat, der bis zu 50 Prozent aller Universitätsabsolventen übernahm. Auch jene, die einen Job bekommen, müssen sich mehrere Jahre als freie Dienstnehmer oder in prekären Arbeitsverhältnissen verdingen.

Besonders stark betroffen sind hier die bei Studierenden besonders beliebten sozial- und geisteswissenschaftlichen Studiengänge, was zu einem beinharten Selektionswettbewerb unter den Absolventen führt. Der Anteil an atypischen Beschäftigungsverhältnissen beträgt zum Beispiel bei Publizisten mittlerweile 43 Prozent, bei Psychologen 39 Prozent und bei Dolmetschern 25 Prozent. Fast jeder sechste Absolvent muss zusätzlich mit einem Nettogehalt unter 1000 Euro sein Auslangen finden.

Das Institut „Analyse, Beratung und interdisziplinäre Forschung“ (ABIF) hat zu dieser bedenklichen Entwicklung eine Studie mit dem Titel „Weiche Wissenschaft, harte Landung“ vorgelegt, wo folgende Entwicklungen festgehalten werden: Ein Studienabschluss bietet keine Garantie mehr für eine (facheinschlägige) Beschäftigung; Absolventen sind in der Berufseinstiegsphase in höherem Maße mit Arbeitslosigkeit und mit unsicheren und prekären Beschäftigungsverhältnissen konfrontiert.

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, ob die weiterhin geforderte Steigerung der Absolventenzahlen nicht grob fahrlässig gegenüber den tatsächlichen Lebenschancen der jungen Generation ist. Denn ein Leben als diplomierter Transferempfänger und Angehöriger des akademischen Proletariats ist für viele eben kein glamouröser, freiwilliger und emanzipatorischer Ausstieg aus den Mühlen des Erwerbslebens – wie noch im Roman „Generation X“ von Douglas Coupland beschrieben – sondern die Betreffenden empfinden sich als überflüssig und werden häufig depressiv.

Das Elend der Studenten und die Redundanzen eines erwerbslosen Akademikers beschreibt Jürgen Kiontke so: „Morgens: nichts. Mittags: nichts. Und abends öfters mal auf der Piste.“ Der hier verhandelte Lebensstil hat so gar nichts subversiv Selbstbestimmtes an sich, sondern erschöpft sich in der bitteren und wiederkehrenden Frage, warum man keinen Einstieg in das Berufsleben findet. Wer sich Geschichten wie diese und Zeitungsreportagen über die Generation Praktikum durchliest, kommt nicht umhin über Studienbeschränkungen an österreichischen Schulen nachzudenken. Deshalb haben zunehmend mehr Universitäten und Institute beschlossen, qualitative Zulassungsbeschränkungen nach dem „Notfallparagrafen“ zu fordern.

Dr. Christian Moser ist Geschäftsführer des Friedrich Funder Institutes für Publizistik und Medienforschung und  wissenschaftlicher Leiter der Politischen Akademie der ÖVP.

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