Ein überraschend klares Gutachten des Internationalen Gerichtshofs. Die Unabhängigkeit des Kosovo verletze nicht das Völkerrecht. Nur selten hört man von Völkerrechtlern so klare Worte. Was bedeutet dieses Erkenntnis nun für andere Länder?
Es klingt zwar nach einer Banalität zu sagen, dass Unabhängigkeitserklärungen nicht verboten seien. Viele proserbische Regierungen haben jedoch diesen Eindruck erweckt. Daher ist der IGH-Spruch so wichtig.
Dabei ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein Eckstein der UNO-Charta. Dieses ist aber auch von einigen österreichischen Völkerrechtlern so interpretiert worden, als ob es mit der Entkolonialisierung konsumiert und überflüssig geworden sei. Als ob dieses Selbstbestimmungsrecht auf Europa keine Anwendung fände.
Es wäre jedoch ein Rückfall in absolutistisches Gottesgnadentum, wenn Grenzänderungen und das demokratische Entstehen neuer Staaten wirklich unzulässig wären. Gläubige Menschen glauben an Gott als höchste Instanz, aber nur dumme Strukturkonservative an die staatliche Souveränität als höchstes Rechtsgut auf Erden.
Auch die zeithistorische Bilanz zeigt, dass die Entstehung neuer Staaten in Europa Konflikte reduziert hat. Dass dadurch ganzen Völkern ihre Würde zurückgegeben wurde. Dass dadurch lange Kriege beendet wurden.
Tschechen und Slowaken leben nach einer schwierigen Trennung heute friedlich und in enger Freundschaft miteinander. Die baltischen Völker sind zu Musterschülern der neugewonnen Souveränität geworden; und auch die Russen erkennen, dass das gewaltsame Unterdrücken der Balten viel mehr Mühe gemacht hat, als es die eigene Größe vergrößert hätte. Die Österreicher haben das schon nach 1918 gelernt. Und der Nordirland-Konflikt hat seine Explosivität und seinen Blutzoll verloren, als London zugestanden hatte, dass einer Sezession von Ulster nichts im Wege stehe, wenn eine Mehrheit das wolle.
Freilich gibt es noch viele große Staaten auch in Europa, die alleine den Gedanken an Sezession weiterhin als Schwerverbrechen behandeln. Selbst das Wort "Autonomie" wird mancherort von Strafrichtern verfolgt.
Um nur einige jener Beispiele zu nennen, wo Selbstbestimmung und Unabhängigkeit Konflikte lösen und die Welt friedlicher machen würden:
Das gilt etwa für die 15 Millionen Kurden, die vor allem in der Türkei leben (aber auch im Irak, im Iran und Syrien), wo wegen der Unterdrückung der kurdischen Autonomiewünsche seit Jahrzehnten ein blutiger Bürgerkrieg tobt.
Das gilt für die Tibetaner, deren Kultur und Identität von den Chinesen brutal unterdrückt wird.
Das gilt für die Basken - und eventuell auch Katalanen - in Spanien, die nur mit massiver Repression von der Selbständigkeit abgehalten werden.
Das gilt für Chinas Uiguren genauso wie die Tschetschenen in Russland oder die Ungarn in der Südslowakei. Und auch Italien würde nur an Sympathien gewinnen, könnten eines Tages die Südtiroler frei entscheiden, ob sie noch bei Italien bleiben oder einen anderen Weg gehen wollen.
Wie aber wird ein eigentlich ganz selbstverständliches Menschenrecht Teil der internationalen Friedensordnung? Es kann ja nicht sein, dass es wie im Kosovo immer zuerst einen richtigen Krieg geben muss.
Da hätten das internationale Völkerrecht und die UNO einmal wirklich die Chance, für den Frieden etwas Wichtiges zu tun: Indem sie einen friedlichen, rechtlich sauberen Mechanismus entwerfen, wie ein Volk, eine Region die Unabhängigkeit erlangt; oder den Anschluss an einen dritten Staat.
Da müsste es nicht nur Referenden geben, sondern auch die Notwendigkeit qualifizierter Quoren. Da bräuchte es international überwachte Abstimmungen. Da bräuchte es wahrscheinlich sogar zwei Abstimmungen in bestimmten Abständen, damit nicht momentane Missstimmung einen folgenreichen und teuren Schritt auslöst.
Denn teuer ist die Unabhängigkeit kleiner Einheiten allemal: Sie müssen eine eigene Verwaltung, Gesetzgebung und Justiz aufbauen. Sie brauchen eigene Botschaften ebenso wie eine eigene Polizei und wohl auch ein Heer. Das kostet - und ist daher eine natürliche Bremse gegen leichtfertige Unabhängigkeitserklärungen.
Deren Möglichkeit würde aber auch die Staaten disziplinieren: Wenn eine Minderheit das Recht auf Sezession hat, dann wird jene Zentralregierung um diese Minderheit werben, wird sie möglich gut behandeln. Was ja auch schon ein Riesenerfolg wäre.
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Sehr deutlich sieht man an den Bestrebungen der Völker,
Souveränität zu erlangen, dass die EU als politisches Gebilde mit
Zentralregierung in Brüssel zum Scheitern verurteilt ist. Es hat noch
nie gut getan, unterschiedliche Völker in einem Staat
zusammenzupferchen. Dieser unnatürliche und ungewollte Zustand kann
zunächst nur mit Bestechungsgeldern (welche die Nettozahler abliefern
müssen) und zuletzt nur mit einer Diktatur (die schon mehr als
deutlich erkennbar ist) aufrecht erhalten werden. Aber am Ende
zerfallen alle diese Kunstgebilde mehr oder weniger blutig...
Ich muss gestehen, es hat mich extrem überrascht, als die diversen
Medien - inklusive dieses Blogs - vermeldet haben wie klar das
IGH-Gutachten ausgefallen ist. Ich habe von Anfang an nur eine
schwammige Aussage erwartet, die sich möglichst um alle relevanten
Fragen herumschummelt.
Nachdem ich inzwischen den Volltext gefunden und ein wenig darin
geblättert habe fühle ich mich in dieser Ansicht wieder voll
bestätigt.
Wo man da Klarheit oder gar ein Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht
der Völker finden soll ist mir ein Rätsel. Denn der IGH weicht den
wichtigen Fragen sogar ganz hochoffiziell aus.
Aus dem Gutachten, Absatz 51 (frei übersetzt):
"Sie [die Anfrage] fragt, ob nach der Meinung des Gerichtshofes die
Erklärung der Unabhängigkeit dem internationalen Recht entspricht.
Sie fragt nicht nach den rechtlichen Konsequenzen dieser Erklärung.
Insbesondere fragt sie nicht, ob der Kosovo damit zum Staat geworden
ist. Noch fragt sie nach Gültigkeit und Folgen der Anerkennung durch
jene Staaten, die den Kosovo anerkannt haben."
Und später (Absatz 56):
"Es ist zur Beantwortung der gestellten Frage nicht notwendig, dass
der Gerichtshof zur Frage Position bezieht ob der Kosovo ein Recht
hatte seine Unabhängigkeit zu erklären oder - für die Zukunft - ob
es generell ein Recht von Entitäten innerhalb eines Staates gibt,
sich von diesem zu lösen.
Tatsächlich ist es ja durchaus möglich, dass eine bestimmte
Handlung - wie eine einseitige Unabhängigkeitserklärung - nicht
gegen internationales Recht verstößt ohne notwendigerweise Ausübung
eines Rechtes zu sein. Der Gerichtshof wurde zu seiner Meinung zum
ersten Punkt befragt, nicht zum zweiten."
Den Rest habe ich mir nicht im Detail durchgelesen, weil mich nicht
wirklich interessiert ob sich aus dem Gewohnheitsrecht, der
UN-Resolution oder sonstigen internationalen Normen ein Verbot ergibt
eine rechtlich allenfalls völlig unbedeutende Erklärung abzugeben
oder nicht.
Um eine Analogie zu bemühen: Stellen wir uns vor eine Privatperson
steht auf der Straße und fordert alle Passanten auf, ihm ihre
Ausweise zu zeigen. Die Passanten gehen darauf nicht ein und werden
von dem wütenden Kontrolleur verprügelt.
Dann geht man zum Gericht und fragt: "Darf der mich denn wirklich
auffordern, meinen Ausweis her zu zeigen?"
Und das Gericht gibt die Antwort:
"Ja, darf er. Ist ja nirgendwo verboten. Damit ist die Frage
beantwortet. Wir nehmen aber keine Stellung zur Frage, ob man auf die
Aufforderung reagieren muss oder ob die Prügel gerechtfertigt war.
War ja nicht gefragt."
Völlig korrekt, aber wenig hilfreich. Und geht am eigentlichen
Problem weit vorbei.
Sehr herzlichen Dank für die Klarstellung. Jetzt begreife ich warum
Minderheiten in Österreich die Mehrheit terrorisieren darf.
diesmal kann ich diesen gedanken gar nichts abgewinnen...vor allem
wenn man an die entstehung des kosovo-Konfliktes denkt. der
kosovokrieg wurde mit lügen der herren clinton, fischer und schröder
angezettelt, das ergebnis war ein zerstörtes serbien, eine
gangsterbande namens UCK, die heute im kosovo noch immer das sagen hat
und jede menge weiterer konflikte...denn was ist mit den albanern in
mazedonien, was mit den serben in mitrovica... und warum werden in
Bosnien-H. eigentlich serben und kroaten von der selbsternannten
"weltgemeinschaft" gemeinsam mit den moslems in einen staat gepresst,
den sie überhaupt nicht haben wollen.
kenner des kosovo haben mir glaubhaft versichert, dass der kosovo
nicht lebensfähig ist.....er lebt von den zuwendungen der EU,
einschließlich der militärischen für die KFOR und sonst ist außer
schmuggel und gangstertum nicht viel los...albanien will auf keinen
fall die kosovaren bei sich haben.....
fragen über fragen, die der IGH auf keinen fall lösen kann...si
tacuisses.....
Ob die Palestinänser auch irgendwann ihren unabhängigen Staat
bekommen, damit dort endlich einmal Frieden einkehrt?
So eine Idee gibt schon recht viel her -
bin wieder für einen Zugang zum Mittelmeer.
Leider habe ich das Gutachten bisher nicht im Volltext gefunden. Was
darüber berichtet wird gibt aber keinen Anlaß zu jubeln, weil es
nicht wirklich was aussagt.
Unabhängigkeitserklärungen sind nicht verboten. Nein, natürlich
nicht. Ich kann mich auch auf die Straße stellen, und mich samt
meinem Schrebergarten für unabhängig erklären. Ist nicht verboten.
Hat aber auch absolut keine Auswirkungen auf die Rechtslage.
Dass ich auf friedlichem Wege mit Anerkennung des ehemaligen Staates
einen neuen gründen darf war bisher schon unstrittig. Das Prinzip der
Souveränität verbietet ja nicht Änderungen an den Grenzen, sondern
nur die Änderung der Grenzen eines fremden Staates. Wenn die Spanier
beschließen sich in einen spanischen und einen katalanischen Staat
aufzuspalten, dann ist das völkerrechtlich kein Problem. Sehr wohl
ist es eines, wenn die Franzosen beschließen Spanien derart
aufzuspalten. Selbst dann, wenn sie es tun um den Katalanen unter die
Arme greifen. Siehe russische Intervention in Georgien.
Und genau darum geht es im Fall des Kosovos eigentlich. Ist der
Anspruch der Kosovo-Albaner stark genug um ausländischen Mächten die
gewaltsame Grenzänderung zu erlauben? Denn dass ohne NATO-Truppen der
Kosovo unabhängig geworden wäre glaubt wohl niemand.
Und da ist die ganz wesentliche Frage welchen Anspruch die
Kosovo-Albaner haben. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist da
nicht sehr aussagekräftig, weil es weder definiert, was ein Volk nun
eigentlich ist, noch was das alles bestimmen darf - oder auf welche
Weise.
Die Wiener sind - wie man weiß - ein recht eigenes Völkchen. Reicht
das, für ein Selbstbestimmungsrecht? Oder können wir gar als
Josefstädter die Unabhängigkeit für den achten Wiener
Gemeindebezirk verlangen?
Aber nehmen wir ein realistischeres Beispiel: die Kurden. Wenn die
sich für Unabhängig erklären dürfen stellt sich gleich eine ganz
große Frage: Wo verläuft die Grenze? Es kann einen gewaltigen
Unterschied machen ob man die Bewohner einer Stadt abstimmen lässt,
oder nur im gesamten Verwaltungsbezirk gemeinsam. Und je kleiner die
Regionen in denen man abstimmen lässt, um so eher entstehen
Reihenweise Exklaven und ein Flickenteppich von inneinander verwobenen
Staaten.
Dann: Wer ist abstimmungsberechtigt? Was für Mehrheiten braucht man?
Wie werden Rechte/Pflichten (Schulden) des Gesamtstaates aufgeteilt?
Die Fragenliste ist endlos. Und die pragmatische Antwort: Das
entscheidet der Sieger. Denn wäre die Lösung nicht gewaltsam würde
sich der Völkerrechtler all diese Fragen nicht stellen müssen. Und
bei einer gewaltsamen Lösung gibt es wen, der im Falle eines Falles
einfach entscheidet. Wie im Kosovo.
Ist irgendwas davon im Gutachten berücksichtigt worden?
Wie gesagt, ich kenne den Volltext nicht. Dass das Gutachten aber
irgendeiner Minderheit hilft ist unwahrscheinlich. Ohne militärische
Intervention nützt ihnen das Recht ohnehin nichts, und mit
militärischer Intervention braucht man nicht Recht haben.