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„Lasst uns Populisten sein“ – oder: Warum der Populismus in die Mitte gehört und nicht an die Ränder

"Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Populismus. Alle Mächte des alten Europas haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet." Vom Papst bis zu deutschen Polizisten. "Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als populistisch verschrien worden wäre?" Daraus geht hervor: "Der Populismus wird bereits von allen europäischen Mächten als Macht anerkannt." 

Geschichte wiederholt sich nicht. Auch jegliches Manifest hat seine Zeit. Doch es gehört zu den kleinen Scherzen der Historie, dass man nur den -ismus in Marxens Manifest austauschen muss (kursiv gesetzt), um knapp 200 Jahre danach ein Déjà-vu zu erleben. Denn in Wahrheit war Marxens Kommunismus der (wissenschaftlich verbrämte) Populismus des heraufziehenden Industriezeitalters für die malochenden Massen, wurde bekämpft (wie alle nachfolgenden Populismen) von der jeweils etablierten Konkurrenz und hat erst heute aus sicherer historischer Distanz für einige Linke eine sonnig-romantische Patina erhalten. Den Millionen seiner Opfer zum Hohn und Trotz.

Tatsächlich haben Bewegungen, die unter das politische Schlagwort "Populismus" oder "Rechtspopulismus" fallen, derzeit fast überall in Europa Konjunktur. Von der Rassemblement National (ehemals Front National) in Frankreich über Geert Wilders Freiheitspartei in Holland, die Schweizerische Volkspartei, UKIP in Großbritannien, die italienische Lega oder die FPÖ in Österreich und die AfD in Deutschland. Nach gängiger Lesart fallen auch die Regierungsparteien in Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn unter das Rubrum Rechtspopulismus, und der Wahlsieg von Donald Trump in den USA lässt sich ebenfalls in dieses politische Phänomen einordnen. Es ist längst kein Gespenst mehr, das hier umgeht, sondern harte politische Realität. Es ist höchste Zeit, dieses Phänomen einmal näher unter die Lupe zu nehmen und mit einigen Mythen aufzuräumen, die die etablierte Parteien-Konkurrenz mit Blick auf Populisten für klug und gängig hält.

Es ist eine Szene, von der der frühere CSU-Chef Horst Seehofer noch heute schwärmt: Beim ersten Treffen für die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2013 kam der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel mit einem schelmischen Grinsen auf ihn zu und gratulierte zu der Idee der CSU, die Rentenanwartschaften von Müttern, die vor 1992 Kinder zur Welt gebracht haben, zum Wahlkampfthema zu machen. Immer wieder war die CSU-Forderung nach mehr "Mütterrente" in der zurückliegenden Kampagne aufgegriffen worden. Immer wieder hatte die SPD versucht, dagegenzuhalten und auf eine andere, bessere Verwendung der Mittel gedrungen. Am Ende hatte sie die Waffen strecken müssen, vor dem "Populismus" der Union. Dieser Punkt ging an die CSU.

Rentenpolitisch ist die Mütterrente eher ein Feinschmeckerthema, das gut 20 Jahre nach dem Stichtag fast schon wieder in Vergessenheit geraten war. Wurde Müttern für Niederkunft und Erziehungszeiten vor 1992 ein Jahr (und damit bis zu ein Rentenpunkt) gutgeschrieben, so gab es ab 1992 gleich drei Jahre (bzw. Rentenpunkte) auf das individuelle Rentenkonto. Dass Kinder vor 1992 nicht weniger wert sind und auch nicht weniger Arbeit machten (eher im Gegenteil, wegen geringerer Kita-Dichte), versteht sich von selbst. Der Stichtag gehorchte schlicht finanziellen Grenzen der Rentenkasse.

Nun also hatte die CSU wie ein (bayerischer) Löwe dafür gekämpft, dass Mütter für ihre Kinder vor 1992 einen weiteren Rentenpunkt bekommen sollten, um die logische Lücke zwischen davor und danach wenigstens ein wenig zu schließen. Und um der stetig wachsenden älteren Wählergruppe ein spürbares Plus in die Geldbörsen zu zaubern. Denn die komplizierte Punkterechnung macht sich für die Seniorinnen deutlich bemerkbar: Für Kinder vor 1992 waren bis zu 28,14 Euro im Westen und 25,74 Euro im Osten monatlicher Rente mehr drin. Für die Erziehung ab 1992 geborener Kinder ergibt sich eine Rentensteigerung von 84,42 Euro im Monat im Westen und 77,22 Euro im Osten.

Logisch war gegen die "Mütterrente" also nichts zu sagen, menschlich und moralisch gleich gar nicht: Wer gönnte nicht tapferen Müttern auskömmliche Ruhebezüge nach selbstlosem Einsatz für Nachwuchs und Gesellschaft? Mit anderen Worten: Ein Trumpf, gegen den die rentenpolitischen Taschenrechner und ordnungspolitischen Pfennigfuchser keinen Stich machen konnten, obwohl das Schaffen solcher Anwartschaften bei immer weniger Beitragszahlern und immer mehr Rentenempfängern fürs Gesamtsystem mehr als heikel sind. Die Mütterrente – Populismus vom Feinsten.

Gabriel also schüttelte Seehofer die Hand mit jenem kumpelhaften Einschlag, der sportlichen Respekt nach hartem Kampf für den Gegner signalisiert. Die Mütterrente: gnadenlos gut, ökonomisch falsch und doch unangreifbar. Populismus pur, und zwei Populisten, die in ihrer Disziplin auch Punktsiege der anderen Mannschaft neidlos anerkennen können. Denn eigentlich wäre es Gabriels Part gewesen, soziale Geschenke zu verteilen ohne Rücksicht auf ökonomische Gesetze und Sachverstand. So aber musste er sich im Wahlkampf gegen ein CSU-Projekt stemmen, dass im Gefühl gerade der sozialdemokratischen Klientel nichts Verwerfliches an sich hatte. Gut gemacht, alter Gauner, sagte dieser Handschlag.

So sehr man über Sinn und Unsinn der Mütterrente streiten kann, so beispielhaft ist der Vorgang doch dafür, was Populismus ausmacht und wo er hingehört: in die Mitte der Gesellschaft. Denn da kommt er her.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin ("Die Welt", 1. Oktober 2018) belegt das eindrucksvoll. Es "seien bei der politischen Mitte die größten Verschiebungen im Vergleich zur Erhebung 2017 zu verzeichnen, sagt Robert Vehrkamp, Demokratie-Experte der Bertelsmann-Stiftung und Mitautor der Studie. Etwa jeder achte Wahlberechtigte, der sich in der politischen Mitte verortet, habe populistische Ansichten. Im Vorjahr sei es noch etwa jeder neunte gewesen.

Auch insgesamt stieg der Anteil der populistisch eingestellten wahlberechtigten Bürger demnach gegenüber 2017 leicht von 29,2 auf 30,4 Prozent an. So ist laut der Erhebung fast jeder dritte Befragte populistisch eingestellt. Dabei gelte: Je höher der Bildungsgrad und das Einkommen, desto weniger verbreitet sind solche politischen Ansichten.

Für die Online-Umfrage wurden im Mai und August jeweils mehr als 3400 Wahlberechtigte von Infratest Dimap zu ihrer politischen Einstellung befragt. Als populistisch eingestellt gelten laut Studie Personen, die sich anhand eines Fragebogens zu acht Aussagen bekennen, die die grundlegenden Dimensionen des Populismus abbilden:

Anti-Pluralismus, Einstellungen gegen das ‚Establishment’ und pro Volkssouveränität."

Nun muss man solche Studien mit Vorsicht genießen. Sie geben Trends an, sind aber keine Punktlandung oder präzise Momentaufnahmen. Richtig ist: Die "kleinen Leute" mit niedrigen und mittleren Schulabschlüssen artikulieren ihre Unzufriedenheit über die sogenannten populistischen Strömungen. Das hat man sowohl bei der Wahl von Donald Trump als auch beim Brexit-Votum feststellen können.

Und man muss einmal mit aller Klarheit sagen: Diese Menschen haben eine Mehrheit, wenn sie sich in einer Bewegung vereinen. Man kann es den Naserümpfern und Volksverächtern nicht oft genug erklären: Die Bevölkerungspyramide ist unten breit, nicht an der Spitze. Und wenn selbst in sozialdemokratischen Intellektuellenkreisen herablassend davon gesprochen wird, dass es einen Unterschied gebe zwischen Demokratie und Ochlokratie – der Herrschaft des Haufens (Pöbels) –, dann haben da einige Volksvertreter ihre eigene politische Ordnung gründlich missverstanden. Nein, es gibt keinen Unterschied zwischen den Bürgern im Lande und auch keinen Numerus clausus an der Wahlurne. Wer sich in seiner Not ein politisches Ständewesen zurückwünscht, geht in der Demokratiegeschichte zurück auf Start. Immerhin hatte die Sozialdemokratie da ihre besten Zeiten noch vor sich.

Kritisch muss man in der genannten Studie allerdings die Definition von "Populismus" hinterfragen, die in bester Holzschnittmanier stark verengt wurde auf ein rechtsnationales Spektrum, das laut Autor Vehrkamp vom Bild einer "homogenen Gesellschaft" geleitet wird. Er meint offenbar eine "ethnisch" homogene Gesellschaft, unterschlägt dabei aber, dass gerade linke Populismen ebenfalls und in viel grundsätzlicherer Weise auf Homogenität setzen und diese sogar ausdrücklich anstreben. Auch wenn der reale Sozialismus mit seinem Versuch gescheitert ist, eine "klassenlose Gesellschaft" zu errichten, als klassischer sozialistischer Markenkern ist das Ziel umfassender Gleichheit noch immer den meisten linken Bewegungen tief eingewurzelt und Motor weitreichender Umverteilungsbemühungen. Auch große Teile des Feminismus gehen denklogisch von einer homogenen Gesellschaft als unterstelltem natürlichem Idealzustand aus. Nur so ist die Forderung nach einer gleichmäßigen Verteilung der Geschlechter (oder anderer sozialer Merkmale) nach demografischem Repräsentanzschlüssel sinnvoll und erklärbar.

Populisten sind kein Randphänomen

Das andere Problem der Bertelsmann-Studie besteht darin, dass sie den klassisch-materialistischen Ansatz pflegt, bei dem niedrige Bildungsabschlüsse und niedrige Einkommen gekoppelt werden, um am Ende wieder bei ebenso klassischen sozialpolitischen Umverteilungsrezepten landen zu können. Studien zur Sozialstruktur der AfD und ihrer Wähler liegen aber längst vor. "Die Wählerschaft der Partei ist heterogen. Die meisten AfD-Wähler sind männlich, älter als 30 Jahre, durchschnittlich gebildet und verdienen gut", geht aus einer Untersuchung des Instituts YouGov hervor, aus der die "Zeit" (23. August 2017) zitiert: "Auch die Daten von YouGov bestätigen: Die AfD-Wähler sind nicht das, was man gemeinhin ‚die kleinen Leute’ nennt." Der größte Teil der AfD-Wähler (38 Prozent) verdient demnach zwischen 1500 und 3000 Euro monatlich, ein Viertel (25 Prozent) sogar noch darüber. Unterhalb der 1500-Euro-Grenze rangiert lediglich ein Viertel der Anhänger.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen kann niemand ernsthaft behaupten, Populisten seien ein Randphänomen, dem man mit Verächtlichmachung beikommt. Das Problem dieser Zeit ist nicht der "Populismus", sondern es sind Parteien, die glauben, sie hätten die Hoheit darüber, was im Land gedacht und gefordert werden darf. Und: dass die Mitte dort sei, wo sie sich selbst befinden. Für manchen Politiker ist das ein schmerzhafter Lernprozess.

Was für die Christenheit der Abschied vom geozentrischen Weltbild war, ist für viele etablierte Parteien der Abschied vom egozentrischen.

Es sind nicht die Ränder mit ihren Sektierer-Themen und Verschwörungstheorien, die unter den Menschen wirklich Raum greifen und populär werden. Es sind in die Enge geratene Parteien, die den Populismus an die Ränder drängen wollen. Doch spätestens beim flächendeckenden Einzug sogenannter Populisten in die Parlamente müsste eigentlich klar werden, dass deren Themen keine Randthemen mehr sind, auch wenn man es als gestandener Politiker gerne so hätte.

Die Mütterrente ist aufgeladen mit Metaphern aus unserem Alltag, die in der Bilderwelt jedes Menschen vorkommen und ziemlich einheitlich mit einer warmen, empathischen Gefühlsmusik unterlegt sind. Wer diese Bilderwelt im politischen Meinungskampf überwinden oder auch nur angreifen will, müsste sie mit rentenökonomischen Statistiken, der Alterspyramide oder dem Verweis auf den aktuellen durchschnittlichen Wohlstand der heutigen Rentnergeneration attackieren.

Ein aussichtsloses Unterfangen, bei dem kühle Rationalität gegen frühkindliche Idyllen, Schutzreflexe und zeitgeistlich grundierten Widerstreit der Mutterrolle zur Erwerbstätigkeit stehen. Und wer in der Migrationspolitik jene erreichen will, die den Kreuzberger "Karneval der Kulturen" zwar für wunderbar bunt, aber nicht für ein tragbares Gesellschaftskonzept halten, der muss es ebenfalls mit tiefsitzenden Bildern aufnehmen: Mit dem Menschenstrom, der sich die Balkanroute hinaufwälzt, mit einem Stadtbild, in dem das muslimische Kopftuch zum Alltag gehört oder damit, dass Anschläge und Übergriffe von Würzburg, Ansbach, Köln, Kandel, Freiburg, Berlin-Breitscheidtplatz, Chemnitz, Köthen … sich in der Wahrnehmung vieler zu einer klaren Linie verlängern. Zu glauben, man könne das Problem aus der Welt schaffen, indem man kurzerhand alle demonstrierenden, "empörten" Bürger den am Rande Hitler-Gruß zeigenden Neonazis zuschlägt, der ist auf einem gefährlichen Holzweg.

Die Nazifizierung der Mitte ist die dümmste und explosivste Form etablierter Hilflosigkeit. 

Ralf Schuler (Jg. 1965) ist Leiter der Parlamentsredaktion von BILD. Der Text ist ein Auszug aus seinem Buch "Lasst uns Populisten sein. Zehn Thesen für eine neue Streitkultur", das am 2. April im Herder Verlag erscheint.

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