Der Zustand der ÖVP ist bloß Symptom der Krankheit unserer Demokratie

»Das darf doch alles nicht wahr sein!«, hat der kürzlich wiedergewählte Bundespräsident Alexander Van der Bellen in Anspielung an die Einvernahmeprotokolle des gerne Kronzeuge werdenden Thomas Schmid verlauten lassen. Und auch wenn ich in diesem Leben nie einen Grünen zum Bundespräsidenten gewählt haben werde, bin ich da bei ihm. Die Lose-Lose-Situation der Bundes-ÖVP habe ich hier im Juni schon ausgiebig besprochen, dem ist wenig hinzuzufügen. Bisher konnte sich meine Volkspartei – erwartungsgemäß – noch nicht dazu aufraffen, auch nur den Versuch zu starten, ihre desaströse Situation bzw. deren Hergang aufzuarbeiten.

Aussitzen, eine oft opportune Möglichkeit mit realpolitischen Umständen umzugehen, wird in diesem Fall aller Voraussicht nach nicht funktionieren. Dazu ist zu viel passiert, dazu schweben zu viele Vorwürfe im Raum, dazu ist der Rauch diverser Colts einfach zu dicht.

Nur ist das Sache der Volkspartei und derer Spitzenproponenten. Wenn diese wirklich glauben, den Tausenden meist unentgeltlich für die Partei – und damit für unser aller Demokratie! – tätigen Funktionären gerecht zu werden, in dem immer mehr Menschen die ÖVP als korrupten Haufen ansehen (der sie definitiv nicht ist!), dann müssen sie halt damit leben. Ich hoffe, dass die ÖVP durch ihre Strukturen in den Ländern bis in alle österreichischen Gemeinden hinein, davor gefeit ist, das Schicksal der ehemals großen italienischen Democrazia Cristiana zu teilen, sicher kann ich mir nicht mehr sein.

Die Kalamitäten der ÖVP sind außerdem nur ein Teil der Geschichte. Und für mich gar nicht der wesentliche. Wesentlich ist viel mehr, dass die demokratischen Strukturen in der ganzen Republik mehr als morsch geworden sind. Dass es sinnvollen demokratischen Diskurs unter den Parteien auf Bundesebene quasi nicht mehr gibt, wenn man vom kleinsten gemeinsamen Nenner »die ÖVP muss weg aus der Regierungsverantwortung« einmal absieht. Und am wesentlichsten ist wohl das sich in immer weitere Kreise der Bevölkerung einschleichende »Gefühl«, Politiker wären ja eh allesamt korrupt. Plusminus sind dafür alle Parlamentsparteien verantwortlich.

Van der Bellen forderte nach seiner Unmutsäußerung eine »Generalsanierung« des politischen Systems, und die Grazer "Kleine Zeitung" hat gleich tags darauf »Fünf Wege« vorgestellt, wie das gelingen könnte: Mehr Transparenz, objektive Posten, Korruptionsstrafrecht, kleine Kabinette und Absicherung der Justiz. Ganz nett, um eine Politikdoppelseite damit zu füllen – es sind auch teilweise kluge Schlagwörter dabei, insgesamt ist es aber viel zu kleinformatig gedacht und vor allem eine bloße Symptombehandlung, weit weg von einer ernsthaft überlegten Sanierungsstrategie unserer Demokratie. Von inhaltlichen Schwächen ganz zu schweigen.

So wurde ausgerechnet eine EU-Institution als Musterbeispiel der Sparsamkeit im Personaleinsatz genannt. Ich rechne mir jetzt gar nicht aus, wie viele (hochqualifizierte) Mitarbeiter beispielsweise die 705 Abgeordneten zum Europäischen Parlament insgesamt beschäftigen, ich möchte ja heute Abend in Ruhe schlafen gehen. Und die Blauäugigkeit, keine »roten Netzwerke« in Teilen unserer – insgesamt jedenfalls gut funktionierenden! – Justiz zu erkennen, erscheint mir fast rührselig.

Davon aber abgesehen, komme ich nicht umhin, unserem Präsidenten hier ein zweites Mal recht zu geben: Wir brauchen diese Generalsanierung! Wahrscheinlich hat er auch mit der Ablehnung von Neuwahlen recht. Wenn die ÖVP diesen – auf längere Sicht – rettenden Anker nicht haben will, ist das wie schon gesagt, ihre Sache. Der Demokratiekrise in Österreich stellt eine Neuwahl alleine überhaupt nichts entgegen.

Am ehesten sollte diese Sanierung übrigens von den Ländern getragen werden. Erstens funktioniert der Demokratieladen Österreich dort noch – mit Abstand! – besser und zweitens ist das Klima auf Bundesebene derzeit so ungeheuer verfahren, dass hier wohl keine Seite einen gelingenden Auftaktimpuls zusammenbringen kann. Unsere Landeshauptleute könnten sich in Klausur begeben, und unsere Bundespolitik endlich für das dritte Jahrtausend fitmachen. Sprich Strukturen präsentieren, die diese Generalsanierung ernsthaft angehen. Oder dubiose wie mediokre »Klimaräte« werden endgültig das Kommando übernehmen. Davor bewahre uns der Verstand.

 

Christian Klepej ist Unternehmer und gibt in Graz das Monatsmagazin Fazit heraus. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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