Dem österreichischen Journalismus fehlen die Selbstreinigungskräfte

Die Entscheidung des Senats 1 des Presserats, der zufolge die montierte Darstellung von Altkanzler Sebastian Kurz und seiner Lebensgefährtin Susanne Thier, Letztere mit entblößter Brust ein Kind stillend, keinen Verstoß gegen den Ehrenkodex der österreichischen Presse darstellen soll, ist höchst befremdlich und wirft Fragen im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit dieses Selbstkontrollorgans auf.

Zur Erinnerung: Erschienen ist die Abbildung auf dem Cover einer als "geilzeit" übertitelten Jahresendbeilage der Wochenzeitung "Falter", die neben ihren freundschaftlichen Beziehungen zur WKStA, aus deren an sich der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Ermittlungsakten sie regelmäßig exklusiv zitiert, vor allem dafür notorisch ist, dass sie wirtschaftlich vor allem durch freihändige Inseratenvergaben der Stadt Wien am Leben erhalten wird. In der genannten Beilage hat sich der "Falter" im Genre Satire versucht. Der Abgang auf Raten des unter Korruptionsverdacht stehenden Altkanzlers wurde mit dem Umstand, dass er vor kurzem erstmals Vater geworden war, einer satten Portion Sexismus und dem bei Journalisten vom Schlage und Bildungsstand der "Falter"-Redaktion zu erwartenden Religionshass zu einem eher unappetitlichen Kompott verrührt: Susanne Thier als Madonna lactans, Sebastian Kurz als Hl. Josef, daneben Außenminister Schallenberg und FPÖ-Chef Kickl als Hirten. Das Ganze mit dem Begleittext "Die liebe Familie".

So geht "Satire", wenn sie aus dem Hause Klenk stammt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die (nicht allzu zahlreiche) Leserschaft des "Falter" die politisch-weltanschauliche Grundausrichtung des Blattes vermutlich teilt, muss man sich fragen, ob wirklich irgendjemand über diesen Satireversuch gelacht hat. Die meisten werden sich wohl eher gefragt haben, was diese Montage denn nun eigentlich genau aussagen sollte – eine zündende Pointe war in ihr ja nun wirklich nicht enthalten. Es sei denn, man hielte Geschmacksverirrungen und Grenzüberschreitungen per se für "witzig".

Dass Vertreter der ÖVP und FPÖ den Cover kritisierten, überrascht nicht. Aber selbst der ORF-Anchorman Armin Wolf, der selbst nicht gerade dafür bekannt ist, Politiker der ÖVP und FPÖ mit Glacéhandschuhen anzufassen, äußerte sich kritisch und hat nur knapp danebengetroffen, wenn er dem "Falter" für dieses Titelblatt "Maturazeitungsniveau" attestiert. Diese Bewertung ist freilich um ein paar Nuancen zu milde, denn den meisten Maturanten darf man doch einen etwas höheren Reifegrad attestieren, als es sich für die Satiriker des "Falter" vermuten lässt. Auch von anderen Bannerträgern des linksliberalen Spektrums gab es Distanzierungsversuche. Justizministerin Alma Zadic kritisierte die "herabwürdigende Darstellung einer Privatperson" (gemeint war Susanne Thier), die Grünpolitikerinnen Eva Blimlinger und Meri Disoski bezeichneten die Montage als "sexistisch, herabwürdigend, ja geradezu empörend". Man kann also sagen, dass die Kritik im gesamten politischen Spektrum nahezu einhellig war.

Umso überraschender ist nunmehr der Standpunkt des Presserats, dass die Abbildung nicht als Verstoß gegen den journalistischen Ehrenkodex darstelle.

Wir müssen alle froh sein, in einem Land zu leben, in dem die Pressefreiheit geschützt ist; dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für ein funktionierendes demokratisches Staatswesen. Aus diesem Grund ist es vielleicht auch wünschenswert, wenn die Gerichtsbarkeit dazu neigt, journalistische Fehlleistungen eher mit zu großer Milde als mit zu großer Strenge zu ahnden. Vor diesem Hintergrund hat der Presserat, der ein privater Verein und keine Gerichtsinstanz ist, wohl die Aufgabe, der Öffentlichkeit den Eindruck zu vermitteln, dass Österreichs Journalisten ein hohes Berufsethos pflegen, um dessen Einhaltung sie selbst ernstlich bemüht sind.

Diesem Anspruch wird die Entscheidung in der Causa "geilzeit" nicht gerecht. Im Gegenteil, sie vermittelt den Eindruck, dass es dem Journalismus in Österreich an Selbstreflexion und an der Fähigkeit, eigene Fehlleistungen zu benennen, fehlt. Wenn es in der Folge zu Verschärfungen des Medienrechtes kommen sollte, dürfen sich die Journalisten dann aber nicht beschweren.

Klar ist natürlich, dass es nicht die Aufgabe des Presserats sein kann, bloße Geschmacksurteile zu fällen. Geschmackliche Entgleisungen fallen direkt und unmittelbar auf ihre Urheber zurück: Der "Falter" hat weniger Frau Thiers Brust, sondern eher sich selbst entblößt. Das Publikum denkt sich sein Teil, und wenn es tatsächlich Leute gibt, die so etwas komisch finden und es öffentlich verteidigen, dann bleibt wohl nichts anderes übrig, als sie gemeinsam mit der "Falter"-Redaktion dem Ghetto der intellektuell Unfrequentierbaren zuzuzählen.

Wenn es im Verfahren vor dem Presserat um die Frage geht, ob ein bestimmter Sachverhalt einen Verstoß gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse darstellt, dann ist wohl der Wortlaut dieses Ehrenkodex als Prüfungsmaßstab heranzuziehen. Es handelt sich also darum, in quasi-richterlicher Manier einen festzustellenden Sachverhalt mit einer vorgegebenen Norm abzugleichen, um zu prüfen, ob gegen die Norm verstoßen wurde. Im vorliegenden Fall scheinen vor allem die folgenden Vorschriften des Kodex einschlägig:

5.1. Jeder Mensch hat Anspruch auf Wahrung der Würde der Person und auf Persönlichkeitsschutz.

6.1. Die Intimsphäre jedes Menschen ist grundsätzlich geschützt.

Es ist nun keineswegs so, dass die Entscheidung des Presserats diese beiden Vorschriften schlicht ignoriert. Im Gegenteil, es wird sogar ausdrücklich festgehalten, dass von einem Verstoß gegen den Ehrenkodex insbesondere (!) dann auszugehen ist, "wenn eine satirische Darstellung in die Menschenwürde einer Person eingreift". Ferner wird ausgeführt, "dass die Darstellung mit entblößter Brust im Kontext mit der Überschrift "geilzeit" einen sexualisierten Gehalt aufweist. Die Gestaltung indiziert einen Eingriff in die Privatsphäre der Abgebildeten (Punkt 6 des Ehrenkodex). In der heutigen Zeit ist der gesellschaftliche Zugang zu Sexualität und Nacktheit zwar entspannter als noch vor einigen Jahrzehnten, dennoch hat jede Frau ein Anrecht darauf, selbst darüber zu bestimmen, ob sie mit entblößter Brust dargestellt wird. In der ursprünglichen Version des flämischen Malers geht es zwar bloß darum, dass eine Mutter ihrem Kind zum Stillen die Brust reicht. Durch die Überschrift "geilzeit" erhält die Bildkomposition jedoch eine weitere Deutungsmöglichkeit." Worin genau diese Deutungsmöglichkeit besteht, wird nicht näher erklärt, aber das ist wohl auch nicht notwendig.

Wenn jemand sagt, dass er "von … (irgendetwas) … ausgeht", dann heißt das normalerweise, dass hier eine Annahme getroffen, eine Prämisse gesetzt wird, auf der alles Weitere beruht. Die Menschenwürde einer Person darf nicht verletzt werden, auch nicht durch satirische Darstellungen. Die Darstellung einer jungen Frau mit entblößter Brust ist jedenfalls dann eine Verletzung ihrer Intimsphäre, wenn sie ihre Zustimmung dazu nicht erteilt hat. An beiden Feststellungen ist eigentlich nicht zu deuteln. Ein Verstoß gegen die beiden obengenannten Bestimmungen des Ehrenkodex liegt also ganz eindeutig vor.

Das Merkwürdige an der Argumentation des Presserats ist nun, dass sie darauf abzielt, die Prämisse, "von der auszugehen ist", und somit auch die Norm, die angewendet werden soll, außer Kraft zu setzen. Dies geschieht, in dem der satirische Charakter der Darstellung hervorgehoben und gleichsam als Rechtfertigungsgrund behandelt wird. "Satire darf alles" – das berühmte Diktum Kurt Tucholskys hat, wie es scheint, derogatorische Kraft.

Dagegen sind nun zwei Einwände vorzubringen.

Erstens: In dem Ehrenkodex, um dessen Anwendung es hier geht, kommt das Wort "Satire" kein einziges Mal vor. Es gibt keine Ausnahmeregel, der zufolge "Satire" einen objektiven Verstoß gegen die Menschenwürde und die Achtung der Intimsphäre rechtfertigen könnte. Dass "Satire" nicht dem Genre des Tatsachenberichts, sondern eher jenem der Meinungsäußerung zuzurechnen ist, ist schon klar; das ändert aber nichts daran, dass nach dem Wortlaut des Ehrenkodex für sie dieselben Maßstäbe gelten wie für jeden anderen Meinungsbeitrag. Somit ist auch nicht nachvollziehbar, inwiefern der umstrittene "Falter"-Beitrag durch den Umstand absolviert werden könnte, dass "sein satirischer Charakter offenkundig" ist. Wer so argumentiert, der wendet nicht den Ehrenkodex der österreichischen Presse an, sondern einen Ausnahmetatbestand, den er dazuerfunden hat. Das gilt natürlich auch dann, wenn man sich dabei auf eigene Vorjudikatur berufen kann, denn ein offenkundiger Unsinn wird nicht dadurch richtig, dass man ihn ständig wiederholt.

Zweitens stellt sich die Frage, ob wirklich alles "Satire" ist, was von seinen Urhebern als solche bezeichnet wird. Im besten Fall kann gesagt werden, dass der "Falter" einen Humor-Versuch unternommen hat, der aber leider fehlgeschlagen ist. Wenn der Presserat schon contra legem ein besonderes Privileg für satirische Beiträge schaffen will, dann sollte er wenigstens einen strengeren Maßstab anlegen: "Satire" kann nur etwas sein, das wirklich witzig ist. Wenn niemand lacht und alle sich wundern, dann war es keine Satire. Eine der Öffentlichkeit nur mäßig bekannte junge Frau ohne ihre Zustimmung mit nackter Brust auf einer Hochglanztitelseite abzubilden ist nicht komisch, sondern dumm, geschmacklos und zutiefst unanständig.

Generell gilt für Satire, dass sie ein Wagnis darstellt. Wenn ein Beitrag wirklich witzig ist, dann wird auch derjenige, gegen den er sich richtet, eher geneigt sein, gewisse Grenzüberschreitungen zu verzeihen. Bringt er jedoch (fast) niemanden zum Lachen, dann ist die lahme Ausrede, es habe sich dabei um Satire gehandelt, wohl nur eine Schutzbehauptung. Es wäre eine Fehlentwicklung des Journalismus, wenn die bloße Behauptung, eine "Satire" versucht zu haben, als Rechtfertigung für schwerwiegende Verstöße gegen das journalistische Berufsethos herangezogen werden könnte. Auch wenn das "Falter"-Cover vielleicht ein paar Schüler zum Lachen gebracht haben sollte, dann reicht dies nicht aus, offenkundige Verletzungen der Menschenwürde und Intimsphäre zu rechtfertigen.

Auch ist gelungene Satire nie darauf angewiesen, Menschenwürde und Intimsphäre zu verletzen. Als Beispiel kann hier ausgerechnet Jan Böhmermann dienen: Seine satirischen Versuche misslingen zwar fast immer, verletzen verlässlich die Grenzen des guten Geschmacks und bringen (außer den Lautsprechern im Hintergrund) fast niemanden zum Lachen – aber seine Aktion, mit der er die Welt ein paar Tage lang glauben ließ, das Fernsehinterview des griechischen Finanzministers Giannis Varoufakis, in dem dieser der ganzen deutschen Nation den Mittelfinger zeigte, sei eine von Böhmermann fabrizierte Fälschung gewesen, war ein Beispiel für wirklich geglückte Satire. Dadurch wurde auch niemand in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt, denn Varoufakis hatte die verpönte Geste tatsächlich gezeigt. Das Beispiel zeigt aber auch, wie delikat die Grenzwanderung sein kann: Denn bei jedem anderen Politiker als Varoufakis wäre der Einfall gar nicht komisch, sondern nur geschmacklos und ehrenrührig gewesen.

Zuletzt muss noch auf einen weiteren Punkt eingegangen werden, der in der Entscheidung des Presserats überhaupt nicht vorkommt. Neben den beiden bereits erwähnten Bestimmungen scheint der "Falter"-Cover auch gegen Artikel 7 des Ehrenkodex zu verstoßen. Dort heißt es unter anderem:

7.3. Eine Herabwürdigung oder Verspottung von religiösen Lehren oder anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften, die geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, ist unzulässig.

Die vom "Falter" gewählte Darstellung von Sebastian Kurz, Susanne Thier und ihrem neugeborenen Kind als "Heilige Familie" bedient sich aus der christlichen Glaubensüberlieferung und würdigt diese herab. Sie macht das Christentum zu einem Fundus kultureller Versatzstücke, aus dem sich jedermann nach Belieben bedienen darf, um sich daraus eine "Satire" zu basteln, auch wenn diese überhaupt keinen Bezug zu dem thematisierten Glaubensinhalt hat, sodass letztlich unklar bleibt, wo hier eigentlich die Pointe liegen soll. Hat Frau Thier ihr Kind nicht von Kurz, sondern vom Heiligen Geist empfangen? Ist der Kurz-Sohn der langersehnte Messias, der Österreich erlösen wird? Oder geht es nur darum, das Bild einer heilen, glücklichen Familie generell zu relativieren und auf diese Weise über all jene Spott und Häme auszuschütten, die (wie Kurz es von sich behauptet) im Familienleben einen Wert erblicken, für den es sich lohnt, eine Karriere als Berufspolitiker aufzugeben? Geht es also schlicht um eine dümmliche Bespöttelung der bürgerlichen Kernfamilie, die dem modernen Ideal des LGBT-Regenbogen-Patchwork mit drei Bonuseltern nicht das Wasser reichen kann?

Wenn der hehre Ehrenkodex überhaupt irgendeinen Sinn haben soll, dann müssen seine Kriterien strenger sein als jene, die bereits durch das Kriminalstrafrecht vorgegeben sind. Die obzitierte Passage des Ehrenkodex ist zwar fast gleichlautend mit § 188 StGB, der hierfür Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten vorsieht; sie wäre aber verzichtbar, wenn nur ein Verhalten, das bereits mit gerichtlichen Strafen bedroht ist, als Verstoß qualifiziert werden könnte.

Es liegt auf der Hand, dass der "Falter" es niemals wagen würde, den Islam oder den jüdischen Glauben als Steinbruch für seine mittelmäßigen Satire-Ideen zu verwenden. Warum aber dann das Christentum? Wirklich nur deswegen, weil Christen heutzutage im Allgemeinen nicht dazu neigen, bei (tatsächlichen oder vermeintlichen) Herabwürdigungen ihres Glaubens zur Selbstjustiz zu schreiten? Wirklich nur deswegen, weil sich die Journalisten des "Falter" zwar davor fürchten, als "islamophob" oder "antisemitisch" gebrandmarkt zu werden, gleichzeitig aber der Meinung sind, sich für ihren Hass auf das Christentum nicht schämen zu müssen? Kann es sein, dass für den Schutz religiöser Lehren gegen Herabwürdigung nicht dasselbe Recht für alle gilt, sondern das derjenige am besten geschützt ist, dem die größte Bereitschaft zur Selbstjustiz zugetraut wird, dass das Gesetz mithin nicht die Friedfertigen schützt, sondern nur die Gewaltbereiten? Auch hier hätte der Presserat Rede und Antwort zu stehen.

Die Entscheidung des Presserats in Sachen "geilzeit" sagt letztlich wenig über den umstrittenen (oder, wie man eigentlich sagen muss: unumstritten dummen und geschmacklosen) Cover der "Falter"-Beilage aus, dafür aber umso mehr über den Presserat. Wenn es wirklich so wäre, dass dieses Machwerk den Ehrenkodex der österreichischen Presse nicht verletzte, dann wäre es höchste Zeit, diesen Kodex zu überarbeiten. Tatsächlich aber besteht – wie gezeigt – der Eindruck, dass der Presserat sich nicht wirklich darum bemüht, diesen Kodex tatsächlich durchzusetzen, sondern dass in diesem politisierten Gremium unter Vorsitz einer Person, die keinen einzigen Tag als Richterin gearbeitet hatte, bevor sie plötzlich zum Richter am höchsten Gericht der Europäischen Union ernannt wurde (Maria Berger), eine Hand die andere wäscht, eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, oder was immer sonst man hier an einschlägigen Phrasen bemühen kann.

Die Unfähigkeit des Presserats, den "Falter" in angemessenen Worten zu verurteilen, wird dem "Falter" nicht nützen – aber der bereits schlechten Reputation der Journalistenzunft weiteren Schaden zufügen. 

Dr. Jakob Cornides ist Beamter der Europäischen Kommission, Generaldirektion für Außenhandel. Dieser Beitrag gibt die Privatmeinung des Autors wieder und ist der Institution, für die er arbeitet, in keiner Weise zurechenbar.

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