Medien und Gesellschaft – eine zerrüttete Ehe   

Demokratie, so lautet der politische Psalm, benötigt den mündigen Bürger. Politisch mündig zu sein, setzt Information voraus. Auch die pure Neugier am Gang der Dinge ist ein triftiger Grund, sich den Medien anzuvertrauen. Mediennutzung hat jedoch einen hohen Preis. Beglichen wird er mit dem Ärger über das Geschriebene oder Gesagte. Je mehr Medien man konsumiert, umso größer ist der Verdruss am Gebotenen. Für die Ursachen des Unbehagens sind zwei unterschiedliche Motive bestimmend: zum einen das Berichtete, zum anderen das Verschwiegene.

Beweisstücke für beide Thesen lassen sich aus rezenten Geschehnissen in Deutschland ableiten. Dazu ist es nötig, die Zeit zunächst auf den 8. Jänner zurückzudrehen.

An diesem Tag wird der Bremer AfD-Chef Frank Magnitz von drei vermummten Gestalten von hinten überfallen, zu Boden gestoßen, nach ersten Meldungen mit einem Kantholz malträtiert und mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert. In den Teletexten und tags darauf auch in den Printmedien heißt es einhellig, dass die Polizei von einer politisch motivierten Tat mit Tötungsabsicht ausgeht. Die deutsche Regierung und Parteienvertreter überschlagen sich mit Bekundungen des Entsetzens. Gewalt dürfe niemals Mittel der politischen Auseinandersetzung sein, tönt es von überall. Bundespräsident Steinmeier sieht sogar den Rechtsstaat in Gefahr.

Schon einen Tag später ist es mit der melodramatischen Zerknirschung nicht mehr weit her, denn inzwischen trat in Bremen der Staatsanwalt Frank Passade vor die Kameras von ARD und ZDF und gab dem Geschehen eine neue Note. Zwar sei der AfD-Politiker attackiert worden, aber es sei nur einer der drei Vermummten gewesen, der ihn von hinten niedergerempelt habe. "Wir gehen davon aus, dass die gesamten Verletzungen dem Sturz gewidmet sind", verkündete der Staatsanwalt. Vermutlich habe der Politiker die Hände in den Manteltaschen gehabt und konnte sich daher nicht abstützen.

Der Vertreter der Anklagebehörde war sichtlich bemüht, der AfD eine übertriebene Darstellung des Attentats anzulasten und den Vorfall herunterzuspielen. Eine später veröffentlichte Videoaufzeichnung bestätigt: Kein Kantholz, nur von hinten mit großer Gewalt zu Boden gestoßen. Plötzlich ist auch keine Rede mehr von einem politischen Hintergrund. Die Polizei vermutet einen solchen zwar weiterhin, aber die Anklagebehörde ermittelt nur wegen Körperverletzung.

Entwarnung also und spürbare Erleichterung, denn die AfD sollte sich schließlich nicht als Verfolgte bezeichnen dürfen. Julia Emmerich hat es in der "Berliner Morgenpost" auf den Punkt gebracht: "Wer der AfD Gelegenheit gibt, sich als Opfer zu fühlen, hilft ihr."

Nicht genug damit, tauchte drei Tage nach dem Überfall urplötzlich eine Anzeige gegen den attackierten Mangnitz auf. Die Staatsanwaltschaft vermeldete, dass gegen ihn wegen angeblich unredlichen Umgangs mit Parteigeldern ermittelt werde. Über nähere Details hüllten sich die Ankläger in Schweigen. Ebenfalls aufgetaucht sind plötzlich ominöse Mails mit den Bombendrohungen einer "nationalsozialistischen Offensive" in sieben deutschen Städten. Gefunden werden konnten Sprengsätze dann allerdings nirgends. In jedem Fall geriet die schwere Tätlichkeit gegen den Bremer Funktionär der  gehassten Rechtspartei rasch in den ganz offenkundig herbeigesehnten Hintergrund.

In der Zwischenzeit ist der unbequeme Zwischenfall abgehakt. Niemand redet mehr darüber. Auch nicht über die Stichhaltigkeit der (von der AfD heftig bestrittenen) moralischen Verdächtigungen des schwer verletzten Politikers. 

Ungeachtet dessen lassen sich die vielen dem Bremer vorangegangenen Beispiele von Gewalt gegen rechts nicht wegradieren. Nur wenige Tage vor dem Bremer Vorfall explodierte vor dem AfD-Büro im sächsischen Döbeln ein Sprengsatz. In den letzten Jahren gab es immer wieder Angriffe auf AfD-Politiker: auf deren ehemalige Parteivorsitzende Frauke Petry und Prof. Lucke, auf die stellvertretende Vorsitzende Beatrix von Storch sowie auf eine ganze Reihe anderer Funktionäre. Auch einige ihrer Autos wurden abgefackelt.

Nach einem Bericht der "Welt" ("Häuserkampf gegen die Rechten", 10. Jänner) gab es allein in Sachsen seit 2014 insgesamt 143 Angriffe auf Parteibüros der AfD. Zum Vergleich: Auf Büros der Linken wurden in den vergangenen fünf Jahren 88 Attacken verübt, auf Einrichtungen der CDU 30; die SPD traf es 16 Mal und die Grünen 12 Mal. Als Faustregel kann gelten, dass die Rechten auch in den übrigen deutschen Bundesländern ungleich häufiger der Gewalt ausgesetzt sind als andere Parteien.

Dazu kommen Schmähungen, zu denen die Justiz auffallend gern ein Auge zudrückte. Verwunderung erregte beispielsweise, dass die Spitzenkandidatin Alice Weidel es hinnehmen musste, in einer Satiresendung als "Nazi-Schlampe" bezeichnet zu werden. Das Gericht wertete diese schwere Beleidigung erstaunlicherweise als durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Als AfD-Spitzenkandidatin stehe Weidel im Blickpunkt der Öffentlichkeit und müsse daher auch überspitzte Kritik akzeptieren, hieß es in der Begründung (SWR).

Auch hierzulande gab es schon mehrfach Grund, die Augenbrauen verwundert hochzuziehen. So etwa, als der Pfarrer von Mondsee die FPÖ ungestraft als "blaue Brut" verunglimpfen durfte. (SN, 10. Jänner 2017).

Die Bewertung politischer Rechtsverstöße befindet sich zweifellos in einer argen Schräglage. Der deutsche Politikwissenschaftler Prof. Mannewitz verwies in diesem Zusammenhang auf Defizite in der Erforschung des Linksextremismus. Die Präventivforschung dieses Bereichs sei sträflich vernachlässigt. Mannewitz beklagt, dass nur wenig über linksextreme Täter bekannt sei. (3 Sat, 10. Februar 2016).

Welche Rolle spielen die Medien?

Es stellt sich die Frage, welche Rolle die Medien bei all dem spielen und wo ganz allgemein die Gründe für die ungleichen Gewichtungen politischer Vorgänge zu suchen sind.

Ein wesentlicher Teil der Erklärung liegt in der politischen Asymmetrie der Medienlandschaft, die Andreas Unterberger kürzlich in einem scharfsinnigen Essay("Wieso sind die Medien so links?") am Beispiel Österreich dargestellt hat. Was der erdrückenden Links/Grün-Lastigkeit der Informationsvermittler ihre besondere Brisanz verleiht, ist die lebensnotwendige Bedeutung von Disharmonien zur Sicherung der journalistischen Existenz.

Medien benötigen nun einmal Gegensätze, Kontroversen und Ängste, um sich dem Publikum als interessant und verlockend zu präsentieren. Nichts wäre für ihre Auflagen und Reichweiten tödlicher als eine harmonische, konsonante, in sich konsistente, konfliktfreie und ereignislose Gesellschaft. Demgemäß werden viele Kriegsschauplätze herbeigeredet oder herbeigeschrieben, auch solche, die fernab der echten Schmerzen der Bürger liegen. So manch konstruierter Konflikt entspricht nicht dem wahren Schmerzempfinden der Bevölkerung, sondern der politischen Erwartung der Autoren. Medien sind letztendlich weit eher Brandbeschleuniger als Brandbekämpfer.

Verfehltes Funktionsverständnis, verfehlte Strategien

Der wirtschaftliche Wettbewerb hat freilich noch eine andere Komponente, die vor allem die Printmedien betrifft. Was den quasi bürgerlichen Blättern vorgehalten werden muss, ist, dass sie ihrer Aufgabe als Advokaten des bürgerlich-konservativen Wertekatalogs nicht mehr in befriedigender Weise nachkommen. Das liegt hauptsächlich an einem verqueren Funktionsverständnis, nämlich der Idee, sich als möglichst neutral und überparteilich zu stilisieren, um dadurch für eine größere Zahl von potenziellen Lesern attraktiv zu werden. Man versteckt folglich die eigene Überzeugung und inszeniert sich als Mäzen linksliberaler Zielsetzungen. Daraus entsteht unwillkürlich der Eindruck einer Wippe, bei der einmal diese und dann wieder jene Meinung nach oben schwebt. Dieses Schaukelkonzept ist weder ein demokratisches Muss noch ist es gewinnbringend für die Reichweite. Es ist kontraproduktiv. Und das hat seinen Grund.

Der Pferdefuß der Strategie steckt in der simplen Tatsache, dass sich die allermeisten Menschen gern einem bestimmten Lager, einem Verein, einer Partei, einer beruflichen Interessenvertretung u.ä. zugehörig fühlen, um daraus Sicherheit zu schöpfen. Wenn man sich irgendwo zu Hause fühlen kann, lassen sich Sorgen und Hader mit dem Gegenwartsgeschehen leichter verkraften. Dieses empirisch belegte Verhalten bot den Medien seit eh und je die Chance, sich als das Sprachrohr einer Bewusstseinsfamilie zu präsentieren und das Prädikat "meine Zeitung" zu erwerben.

Der beschriebene Mechanismus funktioniert indes nicht mehr wie früher. Das bürgerliche Lager ist in puncto medialer Betreuung heimatlos geworden. Die Kluft zwischen der Erwartungshaltung der Leser und der Orientierungsleistung des einstmals deutlich erkennbaren Stamm-Mediums ist zunehmend breiter geworden.

Zum Auseinanderdriften trägt maßgeblich auch die selektive Auswahl von Leserbriefen bei. Die zur Veröffentlichung durchgewunkenen Zuschriften geben nämlich sehr wenig Aufschluss über die im Publikum vorherrschenden Meinungen, hingegen besagen sie viel über die Überzeugungen des zuständigen Sachbearbeiters bzw. der verordneten Blattlinie. Die zur Veröffentlichung freigegebene Leserpost verformt die wahren Proportionen der Lesermeinungen bisweilen so sehr, dass ein geradezu gegenteiliges Bild vom faktischen Stimmungsklima entsteht.

Was besonders ins Gewicht fällt, ist, dass durch die Umgewichtung der Leserpost der bürgerlich gesinnten Mehrheit das Wissen um ihre zahlenmäßige Überlegenheit vorenthalten wird. Bürgerlich-konservative Leser erhalten manchmal sogar den Eindruck, eine Minderheitsmeinung zu vertreten. Dies ist von weitestreichender Bedeutung, denn wer sich unterlegen fühlt, glaubt sich isoliert und tendiert, wie Elisabeth Noelle-Neumann nachgewiesen hat, zum Verstecken des eigenen Standpunkts.

Kuscheln statt kritischem Diskurs

Eine folgenschwere Attitüde des Gegenwartsjournalismus ist der Verzicht der Journalisten auf Meinungsindividualität sowie ihre hohe Bereitschaft, in den Branchenkanon einzustimmen. Anstelle einer lebendigen Auseinandersetzung untereinander über Gegenwartsfragen besteht in der Medienwelt eine Tendenz zum Kuscheln und zu Konformismus. Charakteristisch dafür war die Gemeinschaftsaktion "AUFBRUCH", bei der sieben Bundesländerzeitungen plus Die Presse eine uniforme politische Beilage gestalteten und darin die Ansichten eines standardisierten Kreises von 66 Prominenten mit dem Multiplikator acht vervielfachten. Zusätzlich dazu durften einige der zu Opinion-Leadern hochstilisierten Personen wie Robert Menasse ihre Weltsicht in Einzelbeiträgen ausbreiten. Wo bleibt da die für eine funktionierende Demokratie so wichtige Meinungsvielfalt? Es scheint im heutigen Medienwesen ein Akt politischer Tollkühnheit zu sein, sich dem Denkschema der Branche zu widersetzen.

Vieles, was der bürgerlich-liberalen Leserschaft die Laune verdirbt, ist durch die Wienlastigkeit der Medienszene zu erklären. Alle überregionalen Zeitungen samt ORF-Hauptquartier haben schließlich ihren Sitz in Wien. Die Redakteure leben im urbanen Hauptstadtmilieu, haben ständig Tuchfühlung mit der linksgrünen Boheme und kommunizieren generell mit anderen Gesprächspartnern als ihre Kollegen in der Provinz. Hoch zu veranschlagen für die politischen Sichtweisen ist das in Wien präsente Gemisch aus internationalen Ethnien. Die Hauptstadtjournalisten haben im Schmelztigel der Kulturen demgemäß auch eine andere, nämlich geringere Heimatbezogenheit. Sie ticken in vielen Dingen grundsätzlich anders als ihre Kollegen fernab der Metropole.

Wo immer auch die Gründe für das Unbehagen zu suchen sein mögen: Es steht fest, dass die Medien ihren demokratiepolitischen Aufgaben in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht werden:

  • nicht als glaubwürdige Informationsquellen,
  • nicht als kompetente Interpreten des politischen Geschehens,
  • nicht als Ideenbringer oder Eintreiber politischer Konzepte,
  • nicht als Unterstützer der nationalen Sicherheit
  • und schon gar nicht als Korrektive der politischen Moral.

Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen erklärte unlängst, die Bürger seien (noch) nicht medienmündig. Wie wäre es, Herr Professor, wenn man Ihren Satz umdrehen würde: "Die Medien sind nicht (mehr) bürgertauglich". Ich meine, das käme der Wirklichkeit erheblich näher.

Andreas Kirschhofer-Bozenhardt war langjähriger Leiter des renommierten Meinungsforschungsinstituts Imas.

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