Widerstand, Rechtsstaat, Menschenrechte - wie sie in Österreich verstanden werden

Bis zum 19. Mai ist die Ausstellung „Widerstand, Rechtsstaat und Menschenrechte“ in der Sala Terrena im Innenministerium zu sehen. In der Ausstellung wird auf das „Stauffenberg-Attentat“ auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944, Formen des österreichischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus sowie Folgerungen daraus für die Themen Rechtsstaat und Menschenrechte dargestellt.

Bei den Impulsreferaten zur Ausstellungseröffnung sprach unter anderem Berthold Goerdeler, der Enkelsohn eines der wichtigsten Männer im Widerstand gegen Hitler, Carl Friedrich Goerdeler. Er zeigte auf, welchem Dilemma die Akteure des 20. Juli gegenüberstanden. Im Osten Europas befand sich das kommunistische Regime der Sowjetunion, im Westen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Die Widerständler gegen Hitler optierten für die Errichtung eines Rechtsstaates, der die Menschenrechte und die Sicherung des Eigentums vorsehen sollte — sie lehnten also beide totalitäre Systeme ab.

Rechtsprofessor Hannes Tretter sprach über die Herausbildung der Menschenrechte und betonte dabei die Bedeutung der Französischen Revolution. Er vergaß aber darauf hinzuweisen, dass sich diese Revolution zu einem unmenschlichen Terrorregime entwickelt hat. Über die viel weniger blutige amerikanische Revolution gegen die britische Kolonialherrschaft verlor Tretter kein Wort. Diese führte bekanntlich zur Gründung der USA; in ihrer noch heute geltenden Verfassung mit den zehn Zusatzartikeln aus 1791 (Bill of Rights) sind wichtige Grundrechte niedergelegt worden.

Schließlich befasste sich Innenminister Wolfgang Sobotka mit der Thematik. Europa fußt ihm zufolge auf Freiheit und Menschenrechten, die durch den Rechtsstaat verwirklicht werden. „Lernen aus der Geschichte heißt auch, sich rechtzeitig mit aktuellen Herausforderungen für den Rechtsstaat zu beschäftigen“, sagte Wolfgang Sobotka (zitiert nach der Aussendung Nr. 14533 des Innenministeriums). Als negatives Beispiel erwähnte Sobotka in seiner Rede dabei auch den „Austrofaschismus“.

Unter den gegenwärtigen Gefährdern sah er vor allem Rechtsextreme, wobei er insbesondere die Gruppe der „Identitären“ hervorhob. Mit keinem Wort ging Sobotka auf gewalttätige Demonstrationen von linken Antifa-Gruppen ein, die etwa im Jänner 2014 Teile der Wiener Innenstadt devastiert haben.

Das erste Modul in der Ausstellung zeigt unter anderem die Geschehnisse um das „Stauffenberg-Attentat“ auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 sowie die österreichische Beteiligung daran. Im Modul „Lob des Ungehorsams“ werden zusätzliche Formen des österreichischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus beschrieben. Am Beginn wird ein Spruch von Bert Brecht hervorgehoben: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“. Dass ein dem Kommunismus nahestehender Schriftsteller für ein Motto der Ausstellung herangezogen wird, erscheint anfänglich einigermaßen überraschend — wenn man die Position der Widerständler des 20. Juli 1944 beachtet.

Es ist dann aber nicht so erstaunlich, wurde dieser Teil doch vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (und der Kategorialen Seelsorge der Erzdiözese Wien) zusammengestellt. Es wird etwa das Leben des seligen Franz Jägerstätter gezeigt, der seine Wehrdienstverweigerung bei der Nazi-Wehrmacht mit dem Leben bezahlen musste. Weiters wird vom Widerstand des „Jungkommunisten“ Alfred Rabofsky berichtet, über den der spätere SPÖ-Justizminister Christian Broda im September 1945 sagte: „Sein Leben und sein Wirken ist ein Ausdruck der sieghaften Kraft unserer kommunistischen Bewegung!“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Rabofsky). Friedl Hartmann wird in der Ausstellung als „eine der faszinierenden Persönlichkeiten im illegalen kommunistischen Jugendwiderstand“ bezeichnet. Beide wurden von den Nazis hingerichtet.

Der Widerstand Österreichs gegen Nazi-Deutschland zwischen 1934 und 1938 wird nicht erwähnt, ja als „Austrofaschismus“ sogar vom ÖVP-Minister Sobotka denunziert. Viele Vertreter des „Ständestaates“ wurden von den Nazis 1938 verhaftet, in KZs gesteckt und ermordet. Als Beispiel sei Karl Tuppy angeführt, der Vater des nachmaligen ÖVP-Ministers Hans Tuppy. Ohne Anhänger des Systems zu sein, klagte er als Staatsanwalt die Mörder von Bundeskanzler Dollfuß an. Er wurde 1938 verhaftet und auf grässliche Weise im November 1939 im KZ Sachsenhausen umgebracht. Hingegen verbrachte einer der prominentesten Sozialdemokraten, Karl Renner, die Nazi-Zeit unbehelligt unter „Hausarrest“ in seiner Villa in Gloggnitz.

Nun kann man darauf hinweisen, dass der Widerstand des „Ständestaates“, da von einem nicht-demokratischen Regime kommend, keine „Legitimität“ hatte. Dagegen spricht jedoch, dass in der Ausstellung Kommunisten und ihre Freunde prominent hervorgehoben werden. Der bedeutende Schriftsteller Bert Brecht „floh“ 1947 von den USA über die Schweiz in die DDR. Durch seinen Aufenthalt dort (seit 1950 übrigens österreichischer Staatsbürger) legitimierte er eines der grauslichsten Regime im Europa des 20. Jahrhunderts. Seinen in der Ausstellung verwendeten Spruch über Unrecht hätte er vorrangig auf sich anwenden müssen, denn die DDR war ein monströser Unrechtsstaat.

Auch ein anderer Widerstand wird „vergessen“, die Ablehnung der sowjetischen Besatzung im Osten Österreichs zwischen 1945 und 1955. Viele Österreicher, darunter Dutzende Beamte, wurden von der russischen Besatzungsmacht in den Gulag entführt; sie kamen, wenn sie die Qualen überlebten, erst 1955 nach Österreich zurück. Die Bevölkerung im Osten machte den Besatzern den Widerstand auf verschiedene Weise deutlich. So wurden durch den Boykott der russisch administrierten USIA-Betriebe diese weitgehend insolvent. Offensichtlich gibt es kaum eingehende wissenschaftliche Analysen dieses Widerstands.

Im Anschluss an die Ausstellungseröffnung gab es in den Räumlichkeiten des Innenministeriums einen Empfang. In einem dieser Räume sind die Fotos der Innenminister Österreichs angebracht. Darunter befindet sich etwa ein Foto von Franz Soronics, Innenminister in der ÖVP-Alleinregierung zwischen 1968 und 1970. Meine Mutter erzählte mir, dass sie von Soronics’ Verhalten beeindruckt war, als er nach dem Anschluss Österreichs 1938 weiterhin als Ministrant bei katholischen Messfeiern mitwirkte und so (bewusst oder unbewusst) seiner Opposition zum Nazi-Regime Ausdruck gab.

Ein weiteres Foto zeigt Otto Rösch, den Nachfolger von Soronics in der ersten SPÖ-Alleinregierung 1970. Rösch trat nach dem Anschluss der NSDAP bei und wurde Lehrer an einer Napola (Nationalpolitischen Erziehungsanstalt), einer Schule zur Heranbildung des nationalsozialistischen Führernachwuchses.

Zusammenfassend: Es ist erschütternd, wie Aspekte der Geschichte Österreichs in einem ÖVP-Ministerium dargestellt werden. Die Akteure des 20. Juli lehnten sowohl den Nationalsozialismus als auch den Kommunismus ab – zurecht, wie wir heute wissen. Diese Regime haben im 20. Jahrhundert den Tod von Millionen von unschuldigen Menschen verursacht. Im Österreich des 21. Jahrhunderts wird diese Lehre ignoriert. Wenn es der Ideologie der Ausstellungsmacher passt, werden Vertreter eines dieser Mörderregime besonders positiv hervorgehoben – und Österreicher vergessen, die sich sowohl dem Nazi-Regime wie auch den kommunistischen Besatzern entgegenstellten.

Ich widme diese Zeilen dem Andenken an meinen Onkel Josef (Sieber), der als junger Mann in die Wehrmacht eingezogen wurde und dort „verrückt“ spielte. Offensichtlich hat ihn eine Arzt beschützt und er wurde nicht als „Geisteskranker“ ermordet. Er überlebte den Krieg versteckt im Bauernhaus seiner Eltern, ohne in der Wehrmacht gedient zu haben. Außerdem will ich meinem Vater gedenken, der in jungen Jahren als Anti-Nazi 1945 Bezirkshauptmann in Mattersburg, Burgenland, wurde. Bei seinen häufigen „Besuchen“ in der sowjetischen Kommandantur stand er, zumindest bis zum Tode Stalins 1953, mit einem Fuß im Gulag.

Dr. Paul Luif ist Jurist und Dozent für Politikwissenschaft. Er lebt in Müllendorf bei Eisenstadt.

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